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Versetzung – ein beliebtes Mittel, um Streit am Arbeitsplatz zu beenden

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Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte – in diesem Fall der Arbeitgeber. Dass durch eine Versetzung ein Konflikt zwischen Mitarbeitern gelöst werden kann, entschied jüngst das Landesarbeitsgericht Hessen.

Eine Versetzung ist für Arbeitnehmer ein unliebsames Thema – für Arbeitgeber hingegen ein beliebtes Instrument, um beispielsweise eine Konfliktsituation am Arbeitsplatz zu lösen. Geht der Arbeitnehmer gegen die Versetzung vor, bevorzugt er meist zugleich eine rasche Klärung im einstweiligen Verfügungsverfahren. Dass der Arbeitnehmer damit Erfolg hat, ist die Ausnahme. Das veranschaulichte zuletzt das Landesarbeitsgericht Hessen (Urteil vom 23.10.2020 – 10 SaGa 863/20).

Was war passiert?

Die Mitarbeiterin teilte dem Arbeitgeber mit, dass sie sich von ihrer Vorgesetzten gemobbt fühle. Zur Klärung der Situation zog der Arbeitgeber einen Coach hinzu – ohne Erfolg. Anschließend versetzte der Arbeitgeber die Mitarbeiterin nach Beteiligung des Betriebsrates auf einen anderen Arbeitsplatz an einem neuen Arbeitsort. Die Mitarbeiterin war mit dem neuen Tätigkeitsgebiet, der Büroeinrichtung am neuen Arbeitsort, dessen Lage und dem geringfügig längeren Arbeitsweg nicht einverstanden. Im Laufe des Prozesses folgte aufgrund ihres Verhaltens im Prozess nach Beteiligung des Betriebsrates die außerordentliche hilfsweise ordentliche Kündigung. Die Mitarbeiterin klagte zunächst gegen die Versetzung. Im einstweiligen Verfügungsverfahren hatte sie damit weder vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main noch vor dem Landesarbeitsgericht Hessen Erfolg.

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts

Das Landesarbeitsgericht verneinte einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund der Mitarbeiterin. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache ist sie verpflichtet, auf der neuen Position tätig zu werden.

Das Beschäftigungsinteresse der Mitarbeiterin hat nur in einem bestehenden Arbeitsverhältnis grundsätzlich Vorrang. Anders gewendet: Besteht kein Arbeitsverhältnis mehr, gibt es auch keinen grundsätzlichen Beschäftigungsvorrang der Mitarbeiterin. Das Landesarbeitsgericht stützte sich darauf, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der ausgesprochenen außerordentlichen hilfsweise ordentlichen Kündigung nicht mehr besteht. Diese Kündigung war nach den Feststellungen des Gerichts nicht evident unwirksam. Der Betriebsrat wurde angehört, die Kündigungsgründe erschienen plausibel.

Das Beschäftigungsinteresse der Mitarbeiterin zu den alten Konditionen hätte auch dann Vorrang, wenn die Versetzung offensichtlich rechtswidrig gewesen wäre. Das erkennende Gericht hielt die Versetzung in einen anderen Tätigkeitsbereich und an einen anderen Ort im vorliegenden Fall für offenbar wirksam. Der Betriebsrat wurde beteiligt. Es sei nicht ersichtlich, dass die neuen Tätigkeiten von der Tätigkeitsbeschreibung im Arbeitsvertrag offensichtlich abweichen. Mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stellte das Landesarbeitsgericht erneut klar, dass an eine Konkretisierung einer Tätigkeit hohe Anforderungen gestellt werden. Führt ein Mitarbeiter eine gleichbleibende Tätigkeit über einen längeren Zeitraum aus, führt dies nicht zu einer Konkretisierung eines Beschäftigungsanspruches mit der Folge, dass jede andere Ausübung des Direktionsrechts nicht mehr der Billigkeit entspräche. Eine örtliche Versetzung ist auch möglich, um eine Konfliktsituation am Arbeitsplatz zu lösen. Es ist Sache des Arbeitgebers, wie er mit Konfliktsituationen umgeht. Personalorganisatorisch ist es nachvollziehbar, wenn Konfliktparteien räumlich getrennt werden. Der Arbeitgeber ist zunächst gehalten, die Ursachen und die Verantwortlichen für den entstandenen Konflikt aufzuklären. Ist eine Versetzung zur Lösung möglich, ist dies grundsätzlich eine geeignete Maßnahme. Ein geringfügig längerer Arbeitsweg und eine andere Arbeitsumgebung sind hinnehmbar.

Die Mitarbeiterin konnte schützenswerte Interessen, die nur eine Beschäftigung auf der alten Position zulassen, nicht darlegen. Schützenswerte Interessen wären beispielsweise gegeben, wenn auf der neuen Position ein erheblicher Reputationsverlust oder ein unwiederbringlicher Verlust spezifischer Fachkenntnisse drohen.

Fazit

Das Landesarbeitsgericht Hessen bestätigte wieder einmal, dass ein einstweiliges Verfügungsverfahren nicht dafür gedacht ist, eine Entscheidung in der Hauptsache vorwegzunehmen. Bis zur Entscheidung in der Hauptsache ist der Mitarbeiter grundsätzlich gehalten, zu den neuen Konditionen tätig zu werden. So kann der Arbeitgeber bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, was sich über Jahre ziehen kann, zumindest vorläufig Konflikte lösen. Begrüßenswert ist, dass das Landesarbeitsgericht Hessen dem Arbeitgeber einen weiten Spielraum einräumt, wie er eine Versetzung ausgestaltet und vor allem gegenüber wem er eine solche ausspricht.

Anabel Weinzierl

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Senior Associate
Anabel Weinzierl berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Ihr Schwerpunkt liegt dabei in der laufenden Mandatsbetreuung sowie in der Beratung von Kündigungsrechtsstreitigkeiten. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe "ESG".
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