Die Corona-Krise macht‘s möglich: Betriebsratssitzungen können in Form einer Video- oder Telefonkonferenz stattfinden. Dürfen Arbeitgeber deshalb Präsenzsitzungen des Gesamtbetriebsrats wegen gesteigerten Corona-Risikos untersagen und das Gremium auf eine digitale Durchführungsform verweisen? Nein – meinte kürzlich das LAG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 24. August 2020 – 12 TaBVGa 1015/20). Insbesondere dann nicht, wenn geheim durchzuführende Wahlen anstehen.
Worum ging es?
Beim Arbeitgeber, ein Unternehmen mit etwa 1.800 Mitarbeitern, das überregional Rehabilitationskliniken betreibt, traten Mitte Juli 2020 Corona-Infektionen bei Ärzten auf; über 100 Patienten wurden unter Quarantäne gestellt. Daraufhin beschloss der Arbeitgeber, allen Mitarbeitern die Teilnahme an klinikübergreifenden Präsenzveranstaltungen zu untersagen.
Trotzdem beschlossen Vorsitzender und Stellvertreter des Gesamtbetriebsrats, die für Mitte August 2020 vorgesehene mehrtägige Sitzung des Gesamtbetriebsausschusses als Präsenzsitzung durchzuführen. Vorherige Sitzungen hatten der Gesamtbetriebsrat und seine Ausschüsse schon seit März 2020 als Telefonkonferenzen durchgeführt.
Daraufhin teilte der Arbeitgeber Ende Juli 2020 dem Gesamtbetriebsrat und weiteren Arbeitnehmervertretungen mit, die Geschäftsleitung habe beschlossen, jegliche klinikübergreifenden Treffen weiterhin nicht zu gestatten. Dies umfasse auch Betriebsrats- und Ausschusssitzungen, die über die Zusammenkunft von Mitarbeitern von mehr als einer Klinik hinausgingen. Eine zuvor für die Sitzung erteilte Kostenzusage widerrief der Arbeitgeber.
Der Gesamtbetriebsrat begehrte daraufhin einstweiligen Rechtsschutz. Der Arbeitgeber solle es unterlassen, ihm die Durchführung von Präsenzsitzungen zu untersagen. Auf der Tagesordnung stehe die Wahl eines stellvertretenden Vorsitzenden. Außerdem fänden Nachwahlen zum Gesamtbetriebs- und zum Wirtschaftsausschuss statt. Die Durchführung einer Präsenzsitzung sei erforderlich, da bei einer virtuellen Sitzung keine Wahlen, jedenfalls keine geheimen Wahlen, durchgeführt werden könnten. Die am Veranstaltungsort geltenden gesetzlichen Maßgaben zum Infektionsschutz würden eingehalten. Demgegenüber berief sich der Arbeitgeber auf einen Anspruch auf Durchführung der Sitzung als Video- oder Telefonkonferenz, der sich aus der Neuregelung des § 129 BetrVG ergebe.
Virtuelle Betriebsratssitzungen – nicht bei Wahlen
§ 129 BetrVG wurde im Zuge der COVID-19-Pandemie neu in das Gesetz aufgenommen. Danach können die Teilnahme an Sitzungen des Betriebsrats, Gesamtbetriebsrats, Konzernbetriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung und der Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung sowie die Beschlussfassung mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. (Weiteres zum Neuland digitaler Betriebsratsarbeit finden Sie hier.) Die Regelung soll zum 31.12.2020 außer Kraft treten.
Das LAG verneinte einen sich hieraus ergebenden Anspruch des Arbeitgebers auf Durchführung der Sitzung als Video- oder Telefonkonferenz. Der Arbeitgeber müsse die geplante Präsenzsitzung hinnehmen. Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats entscheide über die Einberufung der Sitzung und damit zugleich über den Sitzungsort. Auf der Tagesordnung stünden außerdem geheime Wahlen, deren Durchführung über Video- oder Telefonkonferenzen nicht möglich sei. Das – trotz Einhaltung der Maßgaben zum Infektionsschutz – möglicherweise erhöhte Risiko berechtige den Arbeitgeber ebenfalls nicht zur Untersagung der Sitzung.
Ausblick
Ausdrücklich offen ließ das Gericht, ob im Einzelfall und unter außergewöhnlichen Umständen der Betriebsrat oder eine der übrigen im § 129 Abs. 1 BetrVG genannten Arbeitnehmervertretungen zu einer Sitzungsdurchführung unter Nutzung von Teilnahmemöglichkeiten mittels Telefon- oder Videokonferenz angehalten sein kann. Dies müsse immer im Einzelfall abgewogen werden. Aus diesem Grunde wurde in der Entscheidung ein Antrag des Gesamtbetriebsrats zurückgewiesen, der auf eine generelle Erlaubnis von Präsenzsitzungen abzielte.