Das BSG bleibt seinem bisherigen Kurs treu und festigt mit seiner Entscheidung vom 30. Januar 2020 seine bisherige Rechtsprechung zum Unfallversicherungsschutz im Homeoffice (Urteil vom 30.01.2020 – B 2 U 19/18 R). Ein Fall aus dem Jahr 2013 diente dem BSG dazu, erneut die Maßstäbe für die Begründung eines sozialversicherungsrechtlichen Unfallschutzes zu skizzieren – nicht ahnend, wie relevant das Thema Homeoffice im Jahr 2020 angesichts der COVID19-Pandemie für die Arbeitswelt werden würde.
Hintergrund
Die gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmerin arbeitete bei ihrem Arbeitgeber im Rahmen des „Teleworkings“ von zu Hause aus. Im November 2013 brachte sie ihre Tochter morgens zum Kindergarten, um danach zu Hause ihrer Beschäftigung im „Teleworking“ nachzugehen. Auf dem Rückweg vom Kindergarten stürzte sie und brach sich das rechte Ellenbogengelenk. Die Berufsgenossenschaft verneinte gegenüber der Arbeitnehmerin einen Arbeitsunfall und lehnte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab.
Die Entscheidung
Das BSG prüfte die Voraussetzungen des sozialversicherungsrechtlichen Unfallschutzes bei Wegeunfällen gem. § 8 Abs. 2 SGB VII systematisch und verneinte diesen im Ergebnis.
Mangels eines räumlichen Auseinanderfallens des Ortes des privaten Aufenthalts und des Ortes der versicherten Tätigkeit liegen die Voraussetzungen für einen den sozialversicherungsrechtlichen Unfallschutz begründenden Wegeunfall nicht vor; für eine analoge Anwendung des § 8 Abs. 2 SGB VII sei kein Raum. Auch könne der Kindergarten nicht als „dritter Ort“ qualifiziert werden, weil es an einem zweistündigen Aufenthalt fehlte.
Die Basics
§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII
Nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII ist auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit als versicherte Tätigkeit zu bewerten – der Weg von und zur Arbeit unterliegt daher dem Unfallversicherungsschutz.
Voraussetzung für den Unfallversicherungsschutz ist ein sachlicher Zusammenhang des unfallbringenden Weges mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit, wobei es entscheidend auf den Vorgang des Sichfortbewegens auf einer Strecke, die durch einen Ausgangs- und einen Zielpunkt begrenzt ist, ankommt (BSG vom 23.01.2018 – B 2 U 3/16 R). Maßgebendes Kriterium für den sachlichen Zusammenhang ist, ob der Wille des Versicherten beim Zurücklegen des Weges darauf gerichtet ist, eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung auszuüben, d. h. ob sein Handeln auf das Zurücklegen des direkten Weges zu oder von der Arbeitsstätte gerichtet ist.
Zudem ist es für das Zurücklegen eines versicherten Weges i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII entscheidend, dass die Orte des privaten Aufenthalts und der versicherten Tätigkeit, zwischen denen der Weg zurückgelegt wird, räumlich auseinanderfallen.
Grundsätzlich kann ein versicherter Weg zur Arbeitsstätte auch von einem anderen Ort als der Wohnung angetreten werden, ohne dass es dabei darauf ankommt, aus welchen Gründen sich der Versicherte an jenem Ort aufhält (BSG vom 30.01.2020 – B 2 U 2/18 R). Zur Abgrenzung des Versicherungsschutzes stellt die Rechtsprechung aus Gründen der Rechtssicherheit auf die Dauer des Aufenthalts an dem sog. dritten Ort ab und fordert, dass der Aufenthalt dort mindestens zwei Stunden gedauert haben muss, um den von dem dritten Ort beginnenden Weg wieder unter den Schutz der Wegeunfallversicherung stellen zu können (BSG, Urt. v. 5.7.2016 – B 2 U 16/14 R).
§ 8 Abs. 2 Nr. 2 a) SGB VII
Gem. § 8 Abs. 2 Nr. 2 a) SGB VII liegt eine versicherte Tätigkeiten auch bei einem Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges vor, um Kinder von Versicherten, die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen.
Der Gesetzeswortlaut erfasst in diesen Fällen ausdrücklich nur die Verbindung des eigenen versicherten Weges zum Ort der Tätigkeit nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII mit dem unmittelbar vorangehenden oder eingeschobenen Abweg (abweichenden Weg) zur Kinderbetreuung. Liegen die Voraussetzungen für einen versicherten Weg nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII nicht vor, weil wie im hiesigen Fall die Orte des privaten Aufenthalts und der versicherten Tätigkeit räumlich nicht auseinanderfallen, besteht auch für den abweichenden Weg zur Kinderbetreuung kein Versicherungsschutz.
Fazit
Mit der Entscheidung bestätigt das BSG seine bisherige Rechtsprechung. Eine Erweiterung des Unfallversicherungsschutzes bei einer Tätigkeit im Homeoffice ist ohne eine Gesetzesänderung nicht zu erwarten. Ob und inwieweit sich der Gesetzgeber dazu entscheidet, auf die stets lauter werdende Forderung nach einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch auf die aktuelle Situation der COVID19-Pandemie und den damit verbundenen Wandel der Arbeitswelt zu reagieren, bleibt abzuwarten.