open search
close
Neueste Beiträge Tarifvertrag

Günstigkeitsprinzip sticht Tarifautonomie – BAG zu den Grenzen tariflicher Regelungsmacht

Print Friendly, PDF & Email

Eine Vielzahl von Unternehmen ist bemüht, ihre Arbeitsbedingungen nach Möglichkeit zu harmonisieren. Dies vereinfacht die Personalverwaltung und führt so zu Effizienzgewinnen im Unternehmen. Die Harmonisierung von Arbeitsbedingungen ist aber nicht immer ein einfaches Unterfangen. Dies gilt insbesondere dann, wenn im Unternehmen über die Jahre eine Vielzahl verschiedener Arbeitsvertragsmuster zum Einsatz gekommen ist und/oder Arbeitnehmer mit veralteten Arbeitsverträgen beschäftigt werden. Als Mittel zur Harmonisierung wurden mitunter Firmentarifverträge abgeschlossen, in denen vorgesehen war, dass die tariflichen Rechte nur dann gewährt werden, wenn der Tarifvertrag arbeitsvertraglich nachvollzogen, also in Bezug genommen wird. Eine jüngst ergangene Entscheidung des BAG vom 13.5.2020 (Az. 4 AZR 489/19) hat dieser Vorgehensweise aber eine Absage erteilt:

Sachverhalt

In dem vom BAG entschiedenem Fall war die Klägerin Mitglied der IG-Metall und seit 1999 bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt. Ihr Arbeitsvertrag sah keine Inbezugnahme von Tarifverträgen vor. Die Beklagte war zunächst nicht tarifgebunden, schloss aber im Jahre 2015 einen Entgeltrahmen- und einen Manteltarifvertrag ab. In dem Tarifwerk war jeweils geregelt: „Tarifvertragliche Ansprüche aus diesem Tarifvertrag setzen voraus, dass die Einführung des Tarifwerks arbeitsvertraglich  nachvollzogen wird“.

Der Klägerin wurde daraufhin ein entsprechendes Änderungsangebot unterbreitet, wonach der Arbeitsvertrag eine Bezugnahmeklausel auf das Tarifwerk enthalten sollte. Dieses Angebot nahm die Klägerin allerdings nicht an. Sie war gleichwohl der Auffassung, sich auf die (höheren) Tarifentgelte berufen zu können und verlangte Zahlung des entsprechenden Differenzentgelts auf der Grundlage der Bestimmungen des Tarifwerks.

Entscheidung des BAG

Die entscheidende Frage in diesem Fall war, ob die durch die Tarifparteien vorgesehene Einschränkung der Tarifgeltung wirksam war. Es ging also darum, zu entscheiden, ob die Tarifparteien befugt sind, die (normative) Geltung von Tarifverträgen von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig zu machen als der beiderseitigen Tarifbindung.

Das BAG hielt die von den Tarifparteien vorgesehene Einschränkung für unwirksam. Die Geltung eines Tarifvertrages aufgrund beiderseitiger Tarifbindung könne nicht von Umsetzungsmaßnahmen der Arbeitsvertragsparteien abhängig gemacht werden, da hierin ein Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz aus § 4 Abs. 1 TVG liege. Außerdem verstoße die streitgegenständliche Vorschrift des Tarifwerks gegen das Günstigkeitsprinzip aus § 4 Abs. 3 TVG.

In der Konsequenz fand das Tarifwerk auf die Klägerin aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der IG-Metall Anwendung, sodass ihr ein Anspruch auf Zahlung des Differenzentgelts zustand.

Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung gibt für Unternehmen Anlass zur Überprüfung, ob die von ihnen abgeschlossenen Tarifverträge entsprechende Klauseln enthalten. Ist dies der Fall, besteht das Risiko, dass gewerkschaftsangehörige Arbeitnehmer einen Anspruch auf das höhere tarifliche Differenzentgelt haben, ohne dass eine arbeitsvertragliche Nachvollziehung des Tarifwerks stattgefunden hat.

Für eine künftig angestrebte Anpassung und/oder Harmonisierung von Arbeitsbedingungen bedeutet dies, dass auf einen Firmentarifvertrag in dieser Gestalt nicht mehr zurückgegriffen werden sollte.

KLIEMT.Arbeitsrecht




Wir sind Deutsch­lands führende Spe­zi­al­kanz­lei für Arbeits­recht (bereits vier Mal vom JUVE-Handbuch als „Kanzlei des Jahres für Arbeitsrecht“ ausgezeichnet). Rund 90 erst­klas­sige Arbeits­rechts­exper­ten beraten Sie bundesweit von unseren Büros in Düs­sel­dorf, Berlin, Frankfurt, München und Hamburg aus. Kompetent, persönlich und mit Blick für das Wesent­li­che. Schnell und effektiv sind wir auch bei komplexen und grenz­über­schrei­ten­den Projekten: Als einziges deutsches Mitglied von Ius Laboris, der weltweiten Allianz der führenden Arbeitsrechtskanzleien bieten wir eine erstklassige globale Rechtsberatung in allen HR-relevanten Bereichen.
Verwandte Beiträge
Kollektivarbeitsrecht Neueste Beiträge Restrukturierung

Sanierungstarifverträge und tarifliche Sonderlösungen – bald gefragter denn je?

Hohe Tarifabschlüsse bei sich verschärfender wirtschaftlicher Lage: Eine Situation, die viele Unternehmen mit der Frage konfrontiert, ob sie sich den Tarif noch leisten können oder wollen. Hinzu kommen weitere Unsicherheiten durch den Inhalt des neuen Koalitionsvertrages, in dem die Union der SPD den Wunsch nach dem Tariftreuegesetz erfüllt hat (siehe hierzu S. 18 des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSU und SPD). Bedeutung der tariflichen Sonderlösungen wächst…
Kollektivarbeitsrecht Neueste Beiträge Vergütung

Bundesverfassungsgericht erteilt Absage an „Anpassung nach oben“ von Nachtzuschlägen

Laut der Arbeitskräfteerhebung des Statistischen Bundesamtes arbeiteten 4,6 % der Arbeitnehmer im Jahr 2023 nachts, d.h. in der Zeit von 23 Uhr bis 6 Uhr (§ 2 ArbZG). Tarifverträge sehen für diese Nachtarbeit in der Regel die Zahlung von Zuschlägen vor, wobei für deren Höhe oftmals zwischen unregelmäßiger, anlassbezogener Nachtarbeit und regelmäßig zu leistender Nachtschichtarbeit unterschieden wird. Diese Differenzierung beschäftigt das Bundesarbeitsgericht schon seit längerer…
Internationales Arbeitsrecht Neueste Beiträge Wettbewerb

‘Made in Canada’: Workforce considerations in times of tariffs

For businesses, the past several weeks have been amongst the most unpredictable in recent memory. The tariffs imposed by the United States have created new challenges and opportunities for companies across the globe. We take a look at the key legal considerations for employers in Canada as they weigh-up changes in their workforce to respond to an uncertain economic and business environment. On a sometimes-daily…
Abonnieren Sie den kostenfreien KLIEMT-Newsletter.
Jetzt anmelden und informiert bleiben.

 

Die Abmeldung ist jederzeit möglich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert