Das neue Verbandssanktionengesetz soll die Sanktionen für Unternehmen in Wirtschaftsstraffällen erheblich verschärfen. Zudem sieht der Entwurf auch zahlreiche Verfahrensregeln für interne Ermittlungen vor. Unter anderem will der Gesetzgeber in Ablauf und Inhalt von Mitarbeiterbefragungen eingreifen und wendet dabei Prinzipien an, die sonst für Ermittlungsbehörden gelten. Ist das das Ende eines freien, im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis geführten Personalgesprächs?
Sanktionsmilderung durch interne Ermittlungen
Das VerSanG (wir berichteten über den Entwurf bereits am 5. November 2019 und am 12. November 2019) erhöht die Obergrenzen einer Geldbuße bei Vorsatztaten auf bis zu 10 %, bei Fahrlässigkeitstaten auf 5 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes. Dies führt bei Großkonzernen dazu, dass Sanktionen in Milliardenhöhe zu zahlen sind. Der Gesetzesentwurf enthält aber auch Maßstäbe zur Bemessung der Sanktion. Compliance-Vorkehrungen, die Implementierung eines Compliance-Systems oder Wiedergutmachungsbemühungen des Unternehmens müssen im Rahmen der Sanktionsbemessung zu Gunsten des Unternehmens gewertet werden. So enthält das VerSanG konkrete Vorgaben zu (verbands-)internen Untersuchungen. Durch eine „richtig“ durchgeführte, das heißt gesetzeskonform ablaufende interne Untersuchung kann das Unternehmen auf die Sanktionshöhe Einfluss nehmen.
Ausgangspunkt der internen Ermittlung: Die Mitarbeiterbefragung
Der Ausgangspunkt der internen Untersuchung ist häufig die Befragung der Mitarbeiter. Ihr kommt eine tragende Rolle zu, weil der (meist komplexe) Sachverhalt eines vermeintlichen Verstoßes neben der Sichtung von Dokumenten in der Regel effektiv durch Beobachtungen und Aussagen von Mitarbeitern ermittelt und aufgeklärt werden kann.
Arbeitsrechtlich handelt es sich bei der Mitarbeiterbefragung um ein Personalgespräch, zu dessen Teilnahme der Mitarbeiter verpflichtet ist. Mit der Pflicht zur Teilnahme an einer Mitarbeiterbefragung geht die Verpflichtung des Mitarbeiters einher, dem Arbeitgeber gegenüber stets vollständig und wahrheitsgemäß auszusagen. Nach der überwiegenden arbeitsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur ist von einer Auskunftspflicht des Arbeitnehmers auszugehen, auch wenn er sich dadurch selbst oder einen nahen Angehörigen belasten würde. Dies ergibt sich zum einen aus der arbeitsvertraglichen Loyalitäts- und Rücksichtnahmepflicht (§§ 242, 241 Abs. 2 BGB), die Arbeitnehmer zur Schadensverhinderung bzw. Minderung verpflichten und zum anderen, dass der Nemo-tenetur-Grundsatz vor Aussagezwang bei staatlichen Befragungen, nicht aber im privaten Bereich, schützen möchte.
Nach geltender Rechtslage existiert kein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der in der Mitarbeiterbefragung getätigten Aussagen. Eine Belehrung hierüber ist auch nicht erforderlich.
Änderungen durch das VerSanG
Der Entwurf des VerSanG normiert erstmals, dass die Befragung zwingend dem Gebot eines „fairen Verfahrens“ entsprechen muss. Der Mitarbeiter hat das Recht einen Rechtsanwalt oder ein Betriebsratsmitglied hinzuziehen. Zudem hat der Mitarbeiter das Recht, Auskünfte auf solche Fragen verweigern, durch deren Beantwortung er riskieren würde, sich selbst oder Angehörige zu belasten. Auf diese Rechte sowie auf die Verwendung seiner Aussagen in einem späteren Strafverfahren muss vorab hingewiesen werden. Nur wenn der Arbeitgeber dieses Verfahren eingehalten (und dokumentiert) hat, kann er von etwaigen Sanktionsmilderungen Gebrauch machen.
Kritik: Ende des Personalgesprächs
Die neuen Regelungen zum Verfahren bei Mitarbeiterbefragungen sollen sicherstellen, dass Mitarbeiter nicht unter Druck gesetzt oder anderweitig beeinflusst werden. Jedoch gehen diese viel zu weit. Die Anerkennung eines Schweigerechts für Mitarbeiter im Rahmen von internen Untersuchungen wird dazu führen, dass die Aufklärung des Sachverhalts durch Unternehmen erheblich erschwert, wenn nicht völlig verhindert wird. Das Berufen des Mitarbeiters auf sein Verweigerungsrecht reicht aus, um ohne weitere Prüfungsmöglichkeit durch das Unternehmen der Befragung zu entkommen. Dem Arbeitgeber ist es nicht möglich, das Bestehen eines Aussageverweigerungsrechts nachzuprüfen.
Die Regelungen kollidieren darüber hinaus mit den arbeitsrechtlichen Grundsätzen. Der Entwurf überträgt die Zwangslage einer staatsanwaltlichen Befragung auf den geschützten Raum im Arbeitsverhältnis. Dabei handelt es sich bei einem Arbeitsverhältnis im Gegensatz zu einer Vernehmung im Strafverfahren um ein freiwilliges Privatrechtsverhältnis, das durch gegenseitige Treue- und Sorgfaltspflichten geprägt ist. Der Arbeitnehmer ist arbeitsvertraglich zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Auskunft verpflichtet. Diese Pflicht kollidiert mit dem im VerSanG vorgesehenen Recht, die Aussage zu verweigern.
Fazit
Das Mitarbeitergespräch im Rahmen der internen Ermittlung wird sich wandeln und die Sachverhaltsaufklärung bei internen Ermittlungen nicht mehr so voranbringen, wie es in der Praxis üblich war. Die Übertragung einer (strafprozessualen) Zwangslage auf den geschützten Raum eines Arbeitsverhältnisses greift zu weit und verkennt, dass es sich bei einem Arbeitsverhältnis um ein soziales Verhältnis mit Treuepflichten handelt, das freiwillig eingegangen wurde und auf Vertrauen beruht. Zwar steht es dem Arbeitgeber frei, ob er die für eine Milderung notwendige Handlung durchführt. Um jedoch die Milderungsmöglichkeiten vollständig ausschöpfen zu können, müssen alle Verfahrensschritte eingehalten und dokumentiert werden. Es besteht für die Geschäftsführung faktisch eine Milderungs- und Kooperationspflicht. Es empfiehlt sich deshalb allein schon aus Haftungsgründen, auf externe Berater bei der Durchführung interner Ermittler zurückzugreifen.
Siehe dazu: Giese/Dachner „Arbeitsrechtliche Folgen des VerSanG: Das Ende des Personalgesprächs bei internen Ermittlungen“), Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ZIP), Heft 11, S. 498.