Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Verstößt eine tarifvertragliche Regelung gegen das Diskriminierungsverbot, wenn in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer, deren Arbeitszeit um zweieinhalb Stunden oder mehr unter der tariflichen Arbeitszeit liegt, von der Gewährung von Altersfreizeit ausgenommen werden? Das BAG hat diese Frage zu Recht bejaht und einer in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmerin durch eine „Anpassung nach oben“ anteilige bezahlte Altersfreizeit gewährt.
Der Ausgangsfall
Die 1959 geborene Klägerin ist bei der beklagten Arbeitgeberin mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der MTV Chemie Anwendung. Die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit beträgt Chemie 37,5 Stunden. Nach Vollendung des 57. Lebensjahres hat die Klägerin bei ihrer Arbeitgeberin eine anteilige tarifliche Altersfreizeit nach § 2a Ziffer 1 MTV Chemie geltend gemacht, wonach Arbeitnehmer, die das 57. Lebensjahr vollendet haben, eine zweieinhalbstündige bezahlte Altersfreizeit je Woche erhalten. Bei Arbeitnehmern mit einer verringerten Arbeitszeit von bis zu zweieinhalb Stunden vermindert sich die Altersfreizeit entsprechend. Die Arbeitgeberin berief sich in ihrer Ablehnung auf § 2a Ziffer 1 Abs. 2 Satz 2 MTV Chemie. Danach entfällt die Altersfreizeit, wenn die Arbeitszeit zweieinhalb Stunden oder mehr unter der tariflichen Arbeitszeit liegt.
Die Entscheidungen der Instanzgerichte
Zu Recht sei der Klägerin keine Altersteilzeit zu gewähren, so die Auffassung des LAG Hamburg und hob durch Urteil vom 3. April 2018 (4 Sa 127/17) die erstinstanzliche Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamburg auf. Zur Begründung führte es aus, die aus § 2a Ziffer 1 Abs. 2 Satz MTV Chemie folgende Schlechterstellung der teilzeitbeschäftigten Klägerin im Verhältnis zu vollzeitbeschäftigten Mitarbeitern sei durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Die Verringerung der Arbeitszeit nach Vollendung des 57. Lebensjahres solle das altersbedingte Absinken des Leistungsvermögens kompensieren und dem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Arbeitnehmer Rechnung tragen. Die Tarifvertragsparteien hätten im Rahmen der ihnen nach Art. 9 Abs. 3 GG zustehenden Normsetzungskompetenz und Einschätzungsprärogative einen auf den Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit abstellenden Schwellenwert für die Teilhabe an der Gewährung von Altersfreizeit festlegen können. Das gesteigerte Erholungsbedürfnis älterer Mitarbeiter und das geringere Erholungsbedürfnis von Teilzeitkräften seien im Rahmen einer schlüssigen Gesamtkonzeption in einem verhältnismäßigen, abgestuften Regelungskonzept aufgegangen.
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Das BAG (9 AZR 372/18) hat sich in der Entscheidung vom 23. Juli 2019 der Auffassung des LAG Hamburg nicht angeschlossen und die tarifvertragliche Regelung in § 2a Ziffer 1 Abs. 2 Satz 2 MTV Chemie, wonach die Altersfreizeit entfällt, wenn die Arbeitszeit zweieinhalb Stunden oder mehr unter der regelmäßigen tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit liegt, wegen eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot nach § 134 BGB als nichtig angesehen. Die tarifliche Vorschrift sehe eine an die Dauer der Arbeitszeit anknüpfende Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigen vor mit der Folge, dass die ausgeschlossene Gruppe teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer bei gleicher Arbeitsleistung schlechter vergütet werde als in Vollzeit tätige Arbeitnehmer. Denn die Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit unter Fortzahlung des Entgelts führe bei den Begünstigten zu einer Erhöhung des Arbeitsentgelts pro Arbeitsstunde. Obwohl § 4 Abs. 1 TzBfG kein absolutes Benachteiligungsverbot regele, berechtige allein das unterschiedliche Arbeitspensum nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung von Vollzeit- und Teilzeitkräften. Zwar stehe den Tarifvertragsparteien aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum bei der Festlegung des Zwecks einer tariflichen Leistung zu. Grenze sei jedoch zwingendes Gesetzesrecht. Als Rechtsfolge des Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot von Teilzeitbeschäftigten sei der Klägerin vergütete Altersfreizeit in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil ihrer Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspreche.
Praxishinweis
Die Korrektur durch das BAG ist zu begrüßen. Die tarifvertraglich festgesetzte Gewährung bezahlter Altersfreizeit soll der Entlastung älterer Arbeitnehmer dienen. Der MTV Chemie bestimmt jedoch allein in Abhängigkeit von der geschuldeten Wochenarbeitszeit differenzierte Regelungen und legt damit ohne sachliche Rechtfertigung für Arbeitnehmer ab 57 Jahren unterschiedliche individuelle Belastungsgrenzen fest. Das BAG hat durch seine Entscheidung Klarheit über einen Altersfreizeitanspruch bei Teilzeitbeschäftigung nach den Regelungen des MTV Chemie geschaffen. Die Unsicherheit für Arbeitgeber, ob alle (Teilzeit-)Beschäftigten einen anteiligen Anspruch auf Altersfreizeit haben, dürfte nunmehr beseitigt worden sein. Diese war nicht zuletzt durch divergierende erst- und zweitinstanzliche Entscheidungen hervorgerufen worden. Die Gewährung von Altersfreizeit wird durch die Entscheidung des BAG nicht insgesamt in Frage gestellt. Sie verlangt jedoch raschen Handlungs- und Anpassungsbedarf durch die Tarifvertragsparteien und eine diskriminierungsfreie Neugestaltung der tariflichen Regelungen zur Altersfreizeit.