Die Reihen der ungeklärten Fragen im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Mindestlohn lichten sich kontinuierlich. Dies betrifft insbesondere die Frage, welche Zahlungen des Arbeitgebers auf den Mindestlohnanspruch des Arbeitnehmers anrechenbar sind, diesen also erfüllen. Mit dieser hat sich nun das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer Entscheidung vom 24.05.2017 (5 AZR 431/16) befasst, und zwar konkret im Hinblick auf arbeitsvertragliche Sonn- und Feiertagszuschläge. Für die Praxis ein wichtiges Thema, sichert die feststehende Anrechenbarkeit doch bestehende Vergütungssysteme ab und vermeidet bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeiten wegen verspäteter Mindestlohnzahlung. Doch was wurde genau entschieden?
Zuschlag gibt’s in der Küche
Der Fall stammt aus den Anfängen der Mindestlohnära und spielt im Jahr 2015. Die Klägerin war als Küchenkraft in einem Seniorenheim mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden beschäftigt. Für Sonn- und Feiertage erhielt sie aufgrund betrieblicher Übung einen Zuschlag in Höhe von EUR 2,00 brutto pro Stunde. Ab Januar 2015 zahlte der Arbeitgeber ein Entgelt exakt in Höhe des Mindestlohns, ohne die Zuschläge dabei gesondert auszuweisen. Im Mai 2015 und Juni 2015 leistete die Klägerin insgesamt 48 Stunden an Sonn- und Feiertagen, woraus sich für Mai 2015 ein Anspruch auf EUR 64,00 brutto und für Juni 2015 ein Anspruch auf EUR 32,00 brutto ergab. Nunmehr begehrte sie zusätzlich zu dem bereits geleisteten monatlichen Entgelt in Höhe von jeweils EUR 1.473,31 brutto die Auszahlung von Zuschlägen in Höhe von insgesamt EUR 96,00 brutto. Zur Begründung verwies sie darauf, dass die Zuschläge nicht auf den gesetzlichen Mindestlohnanspruch angerechnet werden könnten. Nachdem die Klage durch das Arbeitsgericht abgewiesen worden war, hatte das Landesarbeitsgericht auch die gegen diese Entscheidung eingelegte Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Anrechenbar oder nicht?
Die damit angesprochene Frage der Anrechenbarkeit von Zahlungen auf den gesetzlichen Mindestlohnanspruch gem. § 1 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 MiLoG ist für die Praxis von erheblicher Bedeutung. Der Mindestlohn ist gem. § 2 Abs. 1 MiLoG zum Zeitpunkt der vereinbarten Fälligkeit, spätestens aber am letzten Bankarbeitstag (Frankfurt am Main) des Monats zu zahlen, der auf den Monat folgt, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde. Verspätete Zahlungen stellen gem. § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG eine Ordnungswidrigkeit dar, die gem. § 21 Abs. 3 MiLoG mit einem Bußgeld von bis zu EUR 500.000,00 geahndet werden können. Die Feststellung des BAG, dass auch verspätete Zahlungen Erfüllungswirkung haben können (vgl. BAG, Urt. v. 25.05.2016 – 5 AZR 135/16), hilft also nicht weiter, weil es dennoch zur Verwirkung eines Bußgelds kommen kann. Umso wichtiger ist es deswegen, dass der Arbeitgeber verlässlich von der Anrechenbarkeit ausgehen kann, um sich auf die rechtzeitige Erfüllung der ihm aus dem Mindestlohngesetz obliegenden Verpflichtungen berufen zu können. In diesem Zusammenhang kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass das Mindestlohngesetz dem Grunde nach auch auf solche Arbeitsverhältnisse Anwendung findet, in denen weit oberhalb des Mindestlohns verdient wird. Auch dort kann sich also z.B. die Frage nach einer Ordnungswidrigkeit bei verspäteten oder ausbleibenden Entgeltzahlungen stellen. Vor diesem Hintergrund hatte das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 24.05.2017 zu klären, ob die Sonn- und Feiertagszuschläge auf den Mindestlohnanspruch der Klägerin angerechnet werden konnten.
Die Entscheidung des BAG
Diese Gelegenheit nutzte das BAG und führte allerdings zunächst aus, dass mit der Zahlung von EUR 1.473,33 brutto pro Monat der vertragliche Entgeltanspruch in Höhe von EUR 1.340,00 brutto sowie die Ansprüche auf Sonn- und Feiertagszuschläge im Mai 2015 und Juni 2015 in Höhe von insgesamt EUR 96,00 brutto erfüllt worden wären. Die Tilgungsbestimmung des Arbeitgebers habe sich nicht nur auf die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns, sondern auf alles Geschuldete und damit auch die arbeitsvertraglichen Ansprüche bezogen. Auch ein Anspruch auf Auszahlung der Zuschläge zusätzlich zum gesetzlichen Mindestlohn bestünde nicht. So seien sämtliche in diesen beiden Monaten tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden der Klägerin durch die Zahlung von je EUR 1.473,33 brutto mit mindestens EUR 8,50 brutto vergütet worden und der gesetzliche Mindestlohnanspruch damit erfüllt. Das Mindestlohngesetz stelle eine eigenständige Anspruchsgrundlage für eine Differenzvergütung dar, wenn nicht alle tatsächlich geleisteten Stunden mit EUR 8,50 brutto vergütet worden wären. Auf diesen Anspruch könnten auch die Sonn- und Feiertagszuschläge angerechnet werden. Denn das Mindestlohngesetz mache den Anspruch nicht von der zeitlichen Lage der Arbeit oder den mit der Arbeitsleistung verbundenen Umständen oder Erfolgen abhängig. Mindestlohnwirksam seien daher alle im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachten Entgeltzahlungen mit Ausnahme solcher Zahlungen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung erbringe oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung beruhten (unter Verweis auf BAG, Urt. v. 25.05.2016 – 5 AZR 135/16; BAG, Urt. v. 21.12.2016 – 6 AZR 374/16). Sonn- und Feiertagszuschläge würden für tatsächlich geleistete Arbeit gezahlt und unterlägen keiner besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung. Das Arbeitszeitgesetz begründe, anders als für Nachtarbeit, keine besonderen Zahlungspflichten des Arbeitgebers für Arbeit an Sonn- und Feiertagen. Neben einer Mindestzahl beschäftigungsfreier Sonntage gem. § 11 Abs. 1 ArbZG sehe § 11 Abs. 3 ArbZG als Ausgleich für Sonn- und Feiertage lediglich Ersatzruhetage vor.
Festigung der Anrechenbarkeits-Rechtsprechung
Die Entscheidung des BAG vom 24.05.2017 bestätigt und festigt dessen überzeugende „Anrechnungsrechtsprechung“, wie sie bereits in der Grundsatzentscheidung zum Mindestlohnanspruch vom 25.05.2016 (5 AZR 135/16) niedergelegt wurde. Das Mindestlohngesetz verfolgt einen Sicherungszweck. Es soll gewährleisten, dass für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde spätestens am Ende des Folgemonats auch tatsächlich etwas gezahlt wird. Dabei differenziert das Gesetz nicht danach, wann, wo und unter welchen Umständen die Arbeit erbracht wurde. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass lediglich eine „Normalleistung“ abgegolten werden sollte. Deswegen ist es, von Ausnahmen bzw. insbesondere dem Nachtarbeitszuschlag gem. § 6 Abs. 5 ArbZG abgesehen, auch nicht systemwidrig, Zuschläge für zu besonderen Zeiten geleistete Arbeit auf diesen Anspruch anzurechnen. Entscheidend ist im Ergebnis, dass jede tatsächlich geleistete Stunde rechtzeitig auch tatsächlich mit dem jeweils geltenden Mindestlohn (derzeit EUR 8,84 brutto) vergütet wird. Darüber hinaus wird der Entscheidung des BAG vom 24.05.2017 eine weitere wichtige Feststellung zu entnehmen sein. Wird nämlich, wie im vorliegenden Fall, exakt der gesetzliche Mindestlohn gezahlt, kann der Arbeitnehmer nicht argumentieren, damit habe der Arbeitgeber nicht auch zugleich seine vertraglichen Zahlungsverpflichtungen erfüllen wollen. Ein besonderer Hinweis des Arbeitgebers darauf, dass Zahlungen an den Arbeitnehmer selbstverständlich stets alle Ansprüche unabhängig von deren Rechtsgrund erfüllen sollen, wird deswegen nicht erforderlich sein. Hintergrund ist, dass das Mindestlohngesetz nach der Rechtsprechung des BAG neben dem Arbeitsvertrag eine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellt. Reichen die nach dem Arbeitsvertrag geleisteten Zahlungen nicht aus, begründet das Mindestlohngesetz einen Differenzanspruch auf den Mindestlohn (nicht jedoch auf die übliche Vergütung gem. § 612 Abs. 2 BGB, die wesentlich darüber liegen kann). Wären die Zuschläge nicht anrechenbar gewesen, hätte die Klägerin aus der Entscheidung vom 24.05.2017 dogmatisch gesehen deswegen auch keinen Anspruch auf „zusätzliche“ Zahlung der Zuschläge, sondern eben „nur“ einen solchen Differenzanspruch gehabt.