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Kurzarbeit reloaded – was nach dem Wegfall der Corona-Erleichterungen zu beachten ist

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Die schwache Konjunktur wirkt sich zunehmend auf die Beschäftigungssituation aus. Die Zahl der Kurzarbeiter ist so hoch wie seit zwei Jahren nicht mehr. Doch während Unternehmen in Corona-Zeiten von großzügigen Erleichterungen profitieren konnten, gelten mittlerweile wieder strenge Maßstäbe. Wer hier unbedacht vorgeht, riskiert, im Ergebnis keinen einzigen Cent von der Arbeitsagentur zu erhalten. Was gilt es also zu beachten, um Kurzarbeit erfolgreich einzuführen?

Diese Erleichterungen gelten nicht mehr

Pandemiebedingt wurden verschiedene Zugangserleichterungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld eingeführt, die teilweise noch bis zum 30. Juni 2023 in Kraft waren. Doch spätestens seit Juli 2023 gelten wieder die regulären Voraussetzungen. Dies betrifft insbesondere folgende Punkte:

  • Schwellenwert: Zeitweilig reichte es aus, wenn mindestens 10 Prozent der Beschäftigten einen Arbeitsausfall von mehr als 10 Prozent hatten. Jetzt muss wieder mindestens ein Drittel der Beschäftigten betroffen sein.
  • Arbeitszeitkonten: Der Aufbau negativer Arbeitszeitsalden („Minusstunden“) war zeitweilig nicht erforderlich. Jetzt besteht wieder ein Zwang zum Ausschöpfen der Minusstunden, bevor Kurzarbeitergeld bezogen werden.
  • Bezugsdauer: Während der Pandemie konnten Unternehmen bis zu 28 Monate ununterbrochen Kurzarbeit durchführen. Jetzt ist die Bezugsdauer wieder auf maximal 12 Monate begrenzt.
  • Bezugshöhe: Zeitweise betrug die Höhe des Kurzarbeitergeldes bis zu 80 % (ohne Kind) bzw. 87 % (mit Kind) des entfallenen Netto-Entgelts. Jetzt sind es wieder 60/67 %, so dass den von Unternehmen aus eigenen Mitteln zu finanzierenden Aufstockungsbeträgen eine hohe Bedeutung zukommt.
  • Sozialversicherungsbeiträge: Vorübergehend wurden die Sozialversicherungsbeiträge während der Kurzarbeit vollständig bzw. zumindest hälftig erstattet. Die Möglichkeit zur hälftigen Erstattung bestand zuletzt nur noch, wenn die Beschäftigten während der Kurzarbeit an einer Weiterbildung teilnahmen. Doch auch diese Erleichterung ist zum 31. Juli 2024 ausgelaufen. Somit müssen Unternehmen die Sozialversicherungsbeiträge während der Kurzarbeit nun wieder vollständig selbst tragen.

In Summe heißt dies: Es ist nicht nur deutlich schwieriger geworden, die Voraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld tatsächlich zu erfüllen. Auch die finanzielle Entlastung durch Kurzarbeit ist geringer.

Diese Fallstricke sind besonders tückisch

Kurzarbeit sollte daher nicht überhastet eingeführt, sondern sorgfältig vorbereitet werden. Denn wer Kurzarbeit einführt, muss erst einmal in Vorleistung treten und das Kurzarbeitergeld selbst an die Arbeitnehmer auszahlen. Erst nachträglich kann man sich diese Beträge von der Arbeitsagentur erstatten lassen. Wer dann eine böse Überraschung in Form eines abgelehnten Antrags erlebt, bleibt im Zweifel auf den Kosten sitzen, die sich schnell in sechs- oder siebenstelliger Höhe bewegen können. Besonderes Augenmerk verdienen dabei u.a. folgende Punkte:

Schwellenwerte

Der Schwellenwert hat zwei Dimensionen: Erstens muss mindestens ein Drittel der Beschäftigten betroffen sein, zweitens muss der Arbeitsausfall bei diesen Beschäftigten mehr als 10 Prozent betragen. Bezugszeitraum ist hierbei jeweils der Kalendermonat.

Zur ersten Dimension: Hier müssen Unternehmen entscheiden, ob sie als Anknüpfungspunkt den Gesamtbetrieb wählen, z.B. einen Produktionsstandort inklusive aller dort beschäftigten 300 Arbeitnehmer, oder nur eine bestimmte Betriebsabteilung, z.B. einen abgegrenzten Produktionsbereich mit 60 Arbeitnehmern. Der Schwellenwert von mindestens einem Drittel der Beschäftigten muss dann entweder bezogen auf den gesamten Standort (im Beispiel: 100 von 300 Mitarbeitern) oder aber nur bezogen auf eine/mehrere ausgewählte Abteilungen (im Beispiel: 20 von 60 Mitarbeitern) erfüllt sein.

Vorsicht Falle: Wer zunächst für den Gesamtbetrieb Kurzarbeit anmeldet (sog. Anzeige über Arbeitsausfall), kann diese Anzeige – nach einer rechtlich fragwürdigen, aber von einigen Arbeitsagenturen vehement vertretenen Ansicht – nicht nachträglich auf eine Betriebsabteilung reduzieren.

Dies ist von großer praktischer Relevanz, wenn sich die Auftragslage nach Beginn der Kurzarbeit verbessert und dadurch weniger Mitarbeiter in Kurzarbeit bleiben als ursprünglich geplant. Sinkt deren Anzahl hierdurch unter den auf den Gesamtbetrieb bezogenen Schwellenwert, also beispielsweise auf 90 von 300, kann die Arbeitsagentur – von einem Monat auf den anderen – für alle Arbeitnehmer die Zahlung von Kurzarbeitergeld einstellen, selbst wenn in einzelnen Abteilungen weiterhin ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt. Der sicherere Weg kann daher sein, von Anfang an Kurzarbeit für jede betroffene Betriebsabteilung separat anzumelden, da der abteilungsbezogene Ansatz eine größere Flexibilität ermöglicht.

Zur zweiten Dimension: Der Arbeitsausfall muss mit einem Entgeltausfall von mehr als 10 Prozent des monatlichen Bruttoentgelts einhergehen. Beträgt die reguläre monatliche Arbeitszeit z.B. 174 Stunden, müssen durch die Kurzarbeit also mehr als 17,4 Stunden im jeweiligen Monat ausfallen und zu einer entsprechenden Kürzung des Entgeltes führen. Daher empfiehlt sich, die Kurzarbeit möglichst zu Beginn eines Kalendermonats einzuführen. Wie die ausfallende Arbeitszeit dann auf den Monat verteilt wird, spielt keine Rolle, solange am Ende des Monats die 10-Prozent-Schwelle übertroffen wird. Ausreichend wäre beispielsweise, die Arbeit von einer 5-Tage-Woche auf eine 4-Tage-Woche zu reduzieren. Da eine gleichmäßige Verteilung der Ausfallzeit nicht erforderlich ist, könnte aber z.B. auch drei Wochen voll gearbeitet werden und anschließend eine Woche lang gar nicht. Wichtig: Sofern ein Betriebsrat vorhanden ist, sind sowohl die vorübergehende Verkürzung der Arbeitszeit als auch die Verteilung der Ausfallzeiten mitbestimmungspflichtig und sollten in der Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit geregelt werden.

Arbeitszeitkonten

Die Arbeitsagenturen sind nach Wegfall der Corona-Erleichterungen wieder dazu übergegangen, sich von den Unternehmen genau darlegen zu lassen, welche Regelungen zu Arbeitszeitkonten im betroffenen Betrieb existieren und inwieweit Minusstunden aufgebaut worden sind.

Reichte es während der Pandemie noch aus, wenn vor Beginn der Kurzarbeit Plusstunden abgebaut wurden, müssen nunmehr zunächst sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft werden, auch negative Zeitsalden aufzubauen. Hier kommt es dann auf die konkreten betrieblichen Regelungen an, die üblicherweise in Betriebsvereinbarungen zu Arbeitszeit (seltener: in individuellen Arbeitsverträgen) festgelegt sind. Ungünstig sind in diesem Zusammenhang Regelungen, die ein symmetrischen Korridor für Arbeitszeitkonten vorsehen, z.B. zwischen +80 und -80 Stunden. Denn in diesem Beispiel müssten alle Mitarbeiter, für die Kurzarbeit gelten soll, zunächst 80 Minusstunden aufbauen. Dies stellt eine erhebliche Belastung dar, da Mitarbeiter vorübergehend bei voller Bezahlung freigestellt werden müssen, also wie Kurzarbeit ohne Kurzarbeitergeld. Mitunter ist dann auch fraglich, ob negative Zeitsalden in einem solch erheblichen Umfang überhaupt jemals wieder ausgeglichen werden können oder, z.B. im Fall des Ausscheides des Mitarbeiters, ersatzlos verfallen.

Gerade wenn der Zeitraum, für den Kurzarbeit erwogen wird, eher kurz ist, sollten die vorhandenen Arbeitszeitguthaben betroffener Mitarbeiter sowie die einschlägigen Regelungen und Handlungsoptionen zur Steuerung der Arbeitszeitkonten gründlich geprüft werden, um dann aus betriebswirtschaftlicher Sicht entscheiden zu können, ob sich Kurzarbeit überhaupt lohnt.

Gestaltungshinweis: Vorausschauend planende Unternehmen sind gut beraten, den Aufbau von Minusstunden möglichst zu begrenzen und asymmetrische Korridore für Arbeitszeitkonten (z.B. zwischen +80 und -20 Stunden) festzulegen.

Kurzarbeit und Personalabbau

Ein „Dauerbrenner“ in unserer Beratungspraxis ist schließlich die Frage, inwieweit sich Kurzarbeit und Personalabbau miteinander kombinieren lassen.

Denn vom Ansatz her stehen sich beide Instrumente diametral entgegen: Während Kurzarbeit eine positive Prognose erfordert, wonach der Arbeitsausfall nur vorübergehender Natur ist, muss für betriebsbedingte Kündigungen die Annahme gerechtfertigt sein, dass der Arbeitsplatz dauerhaft entfällt. Wollen kurzarbeitende Unternehmen zu einem Personalabbau übergehen, müssen somit qualitativ stärkere Gründe hinzukommen (z.B. weiterer Auftragsrückgang, der Anlass für eine Reorganisationsentscheidung ist).

Insbesondere sobald der Personalabbau greifbare Formen annimmt (Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste, Ausspruch von Kündigungen), ist es allenfalls bei einer sehr sorgfältigen Abgrenzung nicht betroffener Bereiche möglich, weiterhin Kurzarbeitergeld zu beziehen. Mitarbeiter, die durch eine Kündigung oder einen Aufhebungsvertrag ausscheiden, sind während ihrer Kündigungsfrist jedenfalls vom Kurzarbeitergeldbezug ausgeschlossen.

Der Übergang von Kurzarbeit zu Personalabbau muss daher klug geplant und insbesondere in der Kommunikation gegenüber der Agentur für Arbeit mit Fingerspitzengefühl erfolgen.

Fazit

Kurzarbeit bleibt auch weiterhin ein Instrument, das in der Unternehmenskrise vorübergehend für Entlastung sorgen kann. Damit der Schuss nicht nach hinten losgeht, ist von einer überhasteten Umsetzung dringend abzuraten. Denn nach Wegfall der Corona-Erleichterungen sind die Anforderungen deutlich gestiegen und werden durch die Arbeitsagenturen auch konsequent angewandt. Wer Fallstricke übersieht, begibt sich daher schnell in erhebliche rechtliche und finanzielle Risiken.

Jörn-Philipp Klimburg LL.M.

Rechts­an­walt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Principal Counsel
Jörn-Philipp Klimburg berät deutsche und internationale Unternehmen sowie öffentlich-rechtliche Institutionen umfassend in allen Fragen des Arbeitsrechts. Schwerpunkte bilden die Gestaltung und Begleitung von Restrukturierungen, Outsourcing-Projekten und M&A-Transaktionen sowie die Vertretung in Arbeitsgerichtsprozessen. Besondere Expertise hat er zudem im Betriebsverfassungs- und Tarifvertragsrecht sowie im Bereich der Anstellungsverhältnisse von Vorständen und Geschäftsführern. Jörn-Philipp Klimburg ist bei KLIEMT.Arbeitsrecht verantwortlich in der Fokusgruppe "Whistleblowing und Compliance".
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