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Also doch! – Die EU-Richtlinie über Plattformarbeit kommt

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Die EU-Richtlinie über Plattformarbeit wird nach langem Hin und Her nun doch kommen. Das förmliche Annahmeverfahren der Richtlinie steht zwar noch aus. Am 11. März 2024 haben die zuständigen Minister und Ministerinnen für Beschäftigung und Soziales jedoch die vorläufige Einigung vom 8. Februar 2024 final bestätigt, sodass dem Abschluss der lang diskutierten und verhandelten Richtlinie zur Plattformarbeit nichts mehr im Wege steht.

Der Verlauf der Verhandlungen

Plattformarbeit ist ein neueres Phänomen der Arbeitswelt, das Personen ermöglicht, über eine Online-Plattform mit anderen Personen in Kontakt zu treten, um gegen Bezahlung spezifische Dienstleistungen zu erbringen. Zur Sicherstellung der Rechte der Plattformarbeiter soll ein EU-Rechtsakt her. Der erste Vorschlag der Kommission zur Richtlinie über Plattformarbeit wurde im Dezember 2021 veröffentlicht. Es folgten zahlreiche Verhandlungen und kontroverse Diskussionen über die grundsätzliche Ausrichtung der Richtlinie. Im Dezember 2023 haben sich Parlament und der Rat sodann vorläufig auf einen Kompromiss geeinigt, der im Wesentlichen dem ursprünglichen Kommissionsentwurf entsprach. Dies berechtigte zur Annahme, dass die Richtlinie in dieser Fassung final auch beschlossen würde (wir berichteten hierzu). Die vorläufige Einigung erhielt von den EU-Staaten jedoch keine Mehrheit, sodass am 8. Februar 2024 eine weitere vorläufige Kompromisslösung vereinbart wurde, die jedoch im Rat erneut nicht die benötigte Mehrheit finden konnte. Deutschland, Frankreich, Griechenland und Estland enthielten sich. Nötig war eine qualifizierte Mehrheit von 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die 65% der EU-Bevölkerung repräsentieren. Die zuständigen Arbeitsminister haben im Rat für „Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz“ nunmehr doch noch eine Einigung zum Richtlinienentwurf vom 8. Februar 2024 finden können. Griechenland und Estland haben sich zu der Kompromisslösung bereit erklärt. Deutschland hat sich bis zuletzt enthalten, weil die FDP innerhalb der Koalition eine Zustimmung verweigert hat.

Anwendungsbereich der Richtlinie

Als Plattformarbeit gilt jede Arbeit, die über eine digitale Arbeitsplattform organisiert wird. Digitale Arbeitsplattformen stellen nach den Begriffsbestimmungen der Richtlinie jede natürliche oder juristische Person dar, deren erbrachte Dienstleistungen folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllen:

  • Sie wird zumindest teilweise auf elektronischem Weg (Webseite oder mobile Anwendung) aus der Ferne bereitgestellt
  • Sie wird auf Verlangen eines Empfängers der Dienstleistung erbracht
  • Sie umfasst als notwendigen und wesentlichen Bestandteil die Organisation der von Einzelpersonen entgeltlich geleisteten Arbeit (digital oder vor Ort)
  • Sie geht mit dem Einsatz automatisierter Überwachungs- und Entscheidungssysteme einher

Die Begriffsbestimmung zielt somit auf die typischerweise als Plattformarbeit verstandenen Liefer-, Betreuungs- oder Programmierdienste ab.

Gesetzliche Vermutung für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses

Man war sich stets einig, dass durch die Richtlinie die Arbeitsbedingungen von Plattformarbeitern verbessert werden sollen. Hintergrund ist, dass vor allem die rechtliche Einordnung der Plattformarbeiter für Unsicherheiten sorgt. Das Bundesarbeitsgericht hat am 1. Dezember 2020 hierzu entschieden, dass es letztlich auf die tatsächliche Vertragsdurchführung ankommt. Dabei ist eine Einzelfallbewertung vorzunehmen, sodass Plattformarbeiter nach deutschem Recht sowohl Selbstständige als auch Arbeitnehmer sein können (siehe hierzu unseren Blogbeitrag vom 7. Dezember 2020). An die dadurch entstehende Rechtsunsicherheit knüpft die Richtlinie an. Es sollen Maßnahmen eingeführt werden, die zur Erleichterung der korrekten Bestimmung eines Beschäftigungsverhältnisses führen.

Der größte Streitpunkt im Rahmen der Verhandlungen war die Ausgestaltung dieser Maßnahmen. Einigkeit bestand darüber, dass eine gesetzliche Vermutung für ein Beschäftigungsverhältnis implementiert werden soll. Diese soll sowohl für die Vertragsparteien als auch für handelnde Behörden (insbesondere Sozialversicherungsträger) bindend sein, aber durch einen Nachweis des Plattformbetreibers widerlegt werden können. Höchst umstritten war jedoch, nach welchen Kriterien sich die Voraussetzungen für die gesetzliche Vermutung bemessen sollen. Lange Zeit hat man einen Katalog von fünf Kriterien vorgesehen, von dem zwei erfüllt sein sollten. Zwischenzeitlich gab es einen Entwurf mit sieben Kriterien, von denen drei erfüllt werden mussten. Im nunmehr bestätigten Richtlinienentwurf sind diese als zu regulatorisch und streng empfundenen Voraussetzungen gestrichen worden. Stattdessen soll ein Arbeitsverhältnis dann vermutet werden, wenn nach den nationalen Rechtsvorschriften, Kollektivverträgen oder den Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten und unter Berücksichtigung der EU-Rechtsprechung Tatsachen festgestellt werden, die auf Kontrolle und Steuerung hindeuten.

Diese Regelungsvariante eröffnet den Mitgliedstaaten einen weiten Gestaltungsspielraum. Einerseits droht dadurch ein Flickenteppich an unterschiedlichen innereuropäischen Gesetzen zur Plattformarbeit. Andererseits ergeben sich aus den vagen Richtlinienvorgaben auch Unklarheiten über den tatsächlichen Gestaltungsspielraum der nationalen Gesetzgeber und ob deren Umsetzung den Richtlinienbestimmungen genügen. Langwierige Rechtsstreitigkeiten mit kontroversen Entscheidungen scheinen daher vorprogrammiert zu sein. Zugleich besteht die Sorge, dass durch die fortgeführte Rechtsunsicherheit weniger Aufträge an Plattformarbeiter vergeben würden, da das Risiko einer Scheinselbstständigkeit zu hoch sei.

Transparenz und algorithmisches Management

Weiterhin soll durch die Richtlinie die Verwendung von Algorithmen transparenter gemacht werden. Denn die alltägliche Arbeit von Plattformarbeitern wird häufig über digitale Tools – meistens Apps – gesteuert, die auf Basis bestimmter Algorithmen funktionieren.

Durch die neuen Bestimmungen soll etwa sichergestellt werden, dass Plattformbeschäftigte eine ordnungsgemäße Unterrichtung erhalten, wenn automatisierte Überwachungs- und Entscheidungssysteme – zum Beispiel in Bezug auf ihre Arbeitsbedingungen oder ihren Verdienst – eingesetzt werden.

Zugleich wird der Einsatz automatisierter Überwachungs- oder Entscheidungssysteme für bestimmte personenbezogene Daten verboten. Das betrifft etwa biometrische Daten oder den psychischen Zustand der Plattformarbeiter.

Letztlich wird eine menschliche Aufsicht und Bewertung hinsichtlich automatisierter Entscheidungen gewährleistet. Plattformarbeiter haben das Recht auf eine Erklärung und Überprüfung der Entscheidung.

Grenzüberschreitende Plattformarbeit

Ferner soll die Plattformarbeit auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten verbessert werden. Der Richtliniengeber will vermeiden, dass durch grenzüberschreitende Ausgestaltungen eine Aushöhlung von Schutzrechten erfolgt.

Ausblick

Zunächst stehen die förmlichen Schritte des Annahmeverfahrens aus. Danach haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Man darf gespannt sein, welche Ausgestaltungen die einzelnen Mitgliedstaaten treffen werden. Plattformbetreiber sollten die gesetzgeberischen Entwicklungen genauestens beobachten, um frühzeitig reagieren zu können. Dies gilt im Besonderen für grenzüberschreitend tätige Unternehmen.

Marina Christine Csizmadia

Rechtsanwältin

Associate
Marina Christine Csizmadia berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen sowie Führungskräfte in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät sie ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung. Sie ist Mitglied des Innovation Teams sowie der Fokusgruppe "Regulierte Vergütung".
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