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Amorphe Arbeitszeit – eine echte Alternative zu etablierten Arbeitszeitmodellen?

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Junge Frau arbeitet am Computer

Arbeitszeitmodelle gibt es einige. Für Arbeitgeber praktikable und Mitarbeiter attraktive Modelle zu finden, ist nicht unbedingt einfach. Ein Modell, das viele Vorteile für Arbeitgeber und Mitarbeiter gleichermaßen verspricht, ist das Modell der „amorphen Arbeitszeit“.

In der heutigen Arbeitswelt erleben wir eine zunehmende Flexibilisierung von Arbeitszeitmodellen – ob 4-Tage-Woche, Jobsharing oder Workation. Eine interessante Variante, die bislang wenig Beachtung gefunden hat, ist die amorphe Arbeitszeit. Im Gegensatz zur traditionellen, eher starren Arbeitszeit ermöglicht die amorphe Arbeitszeit Mitarbeitern und Arbeitgebern eine größere Freiheit und Flexibilität bei der Gestaltung des Arbeitseinsatzes. Wir schauen uns in diesem Blogbeitrag an, ob amorphe Arbeitszeit eine echte Alternative zu etablierten Arbeitszeitmodellen darstellt, die Arbeitgeber in ihre „Arbeitszeit-Toolbox“ im Wettkampf um die besten Talente aufnehmen sollten.

Was versteht man unter amorpher Arbeitszeit?

Amorphe oder auch gestaltlose Arbeitszeit bezieht sich auf ein Modell, bei dem die Arbeitszeiten nicht an feste Zeitfenster gebunden sind, sondern lediglich das Volumen der von Mitarbeitern geschuldeten Arbeitszeit innerhalb eines bestimmten Zeitraums, z.B. innerhalb eines Jahres, festgelegt wird. Im Unterschied zur Gleitzeit werden dabei weder die Dauer der regelmäßigen wöchentlichen oder monatlichen Arbeitszeit noch ihre Lage gleichmäßig festgeschrieben. Es wird lediglich bestimmt, in welchem Ausgleichszeitraum die Arbeitsleistung von den Mitarbeitern in vollem Umfang erbracht sein muss. Hier besteht auch der Unterschied zur Vertrauensarbeitszeit, bei der es keine Fixierung der Arbeitszeit gibt. Sollte von Arbeitgeberseite ein kurzfristiger Einsatz aufgrund von nicht vorhergesehenen Bedarfsschwankungen auftreten, können solche „Spitzen“ nur mit Einverständnis der Mitarbeiter aufgefangen werden. Dies ist der entscheidende Unterschied zur Arbeit auf Abruf.

Vorteile der amorphen Arbeitszeit

Erhöhte Flexibilität: Diese Arbeitszeitverteilung ermöglicht Arbeitgebern ein Plus an Flexibilität. Denn die Arbeitszeitsumme kann während des Ausgleichszeitraums arbeitsanfallorientiert aufgeteilt werden, d.h. „Sommerlöcher“ oder Zeiten zum „Däumchen drehen“ werden vermieden. Dies ist insbesondere für Arbeitgeber interessant, bei denen es zwar einen langfristig vorhersehbaren, aber diskontinuierlichen, z.B. saison- oder projektbezogenen Arbeitsbedarf gibt.

Gesteigerte Produktivität: Amorphe Arbeitszeit wirkt sich häufig auch auf die Effektivität und Effizienz der Mitarbeiter aus. Denn die Mitarbeiter sind in der Lage, ihre Arbeitszeiten an ihre persönlichen Höchstleistungszeiten anzupassen, sodass sie effektiver und konzentrierter arbeiten können.

Verbesserte Work-Life-Balance: Die amorphe Arbeitszeit bietet Mitarbeitern die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit an ihre persönlichen Bedürfnisse anzupassen. Dies kann besonders für Mitarbeiter mit familiären Verpflichtungen oder anderen außergewöhnlichen Lebensumständen von Vorteil sein. Eine durch amorphe Arbeitszeit verbesserte Work-Life-Balance kann das allgemeine Wohlbefinden der Mitarbeiter steigern.

Herausforderungen der amorphen Arbeitszeit

Arbeitszeitkontrolle: Die amorphe Arbeitszeit erfordert ein hohes Maß an Selbstdisziplin seitens der Mitarbeiter. Es kann für Arbeitgeber daher schwierig sein, die Arbeitszeit zu kontrollieren und sicherzustellen, dass ausreichend Stunden für die Arbeit aufgebracht werden. Auch die Einhaltung von Pausen- und Ruhezeiten können Arbeitgeber schwierig sicherstellen. In Anbetracht der durch das BAG den Arbeitgebern auferlegten Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, ein nicht zu unterschätzendes Risiko.

Zu wenig Arbeitsleistung: Aufgrund der hohen Flexibilisierung und der damit einhergehenden Selbstverantwortung der Mitarbeiter besteht das Risiko, dass am Ende des Jahres die vereinbarte Stundenzahl nicht voll erbracht ist. Wer ist hierfür verantwortlich? Der Arbeitgeber, der nicht genügend „Arbeit gegeben“ hat, oder der Mitarbeiter, der einfach „zu wenig“ gearbeitet hat? Insbesondere wenn das Arbeitsverhältnis endet, droht hier erhebliches Konfliktpotential, ob die Minusstunden mit dem Gehalt verrechnet werden können. Da dies absolut Einzelfall abhängig ist, birgt dieses Modell ein nicht unerhebliches finanzielles Risiko.

Kommunikation und Koordination: Zuletzt kann auch die Zusammenarbeit innerhalb eines Teams unter der amorphen Arbeitszeit leiden. Denn bei Mitarbeitern, die möglicherweise zu völlig unterschiedlichen Zeiten und mit keinen oder nur minimalen Überschneidungen arbeiten, kann die Kommunikation und Koordination innerhalb eines Teams eine Herausforderung darstellen. Es erfordert eine klare Kommunikation und Nutzung von Tools, um sicherzustellen, dass alle Mitglieder eines Teams gut informiert sind und reibungslos zusammenarbeiten können.

Fazit

Die amorphe Arbeitszeit ist eine spannende Variante eines Arbeitszeitmodells. Insbesondere für jüngere Mitarbeiter („Generation Z“) könnte dieses Modell interessant sein. Denn es ermöglicht den Mitarbeitern mehr Flexibilität, eine verbesserte Work-Life-Balance und potenziell gesteigerte Produktivität. Dennoch sollten Arbeitgeber die Herausforderungen wie Arbeitszeitkontrolle, möglicherweise zu wenig erbrachte Arbeitsleistung und Kommunikation und Koordination im Team nicht unberücksichtigt lassen. Es ist wichtig, dass Arbeitgeber genau abwägen, ob dieses Modell zum im Unternehmen vorliegenden Arbeitsanfall passt und die mit der amorphen Arbeitszeit einhergehenden Herausforderungen entsprechend aufwiegen. Nach unserer Einschätzung kann amorphe Arbeitszeit eine Art „Vertrauensarbeitszeit light“ und somit eine Ergänzung zu bislang etablierten Arbeitszeitmodellen darstellen. Dennoch sind erhöhte Ressourcen zur Abstimmung und Umsetzung von amorpher Arbeitszeit nicht zu unterschätzen. Wenn diese im Unternehmen vorhanden sind, dann kann amorphe Arbeitszeit dazu beitragen, eine moderne und flexible Arbeitskultur zu fördern.

Sandra Fredebeul

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Senior Associate
Sandra Fredebeul berät nationale und internationale Unternehmen vorwiegend in der Gestaltung von Anstellungs-, Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen. Darüber hinaus konzentriert sie sich auf betriebsverfassungsrechtliche Fragen.
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