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Hinweisgeberschutzgesetz tritt am 2. Juli 2023 in Kraft – Was Unternehmen jetzt wissen müssen

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Nach langem Hin und Her haben Bundestag und Bundesrat am 11. und 12. Mai 2023 das Hinweisgeberschutzgesetz beschlossen. Es tritt am 2. Juli 2023 in Kraft. Damit werden in Deutschland rund 90.000 Unternehmen verpflichtet, ein Hinweisgebersystem einzurichten. Wir analysieren die im Vermittlungsausschuss erzielten Kompromisse und zeigen, was in der Praxis jetzt zu tun ist. 

(Dieser Beitrag wurde aktualisiert am 2. Juni 2023)

Ab wann gelten die neuen Vorgaben?

Das Gesetz ist am 2. Juni 2023 im Bundesgesetzblatt verkündet worden und tritt genau einen Monat später, am 2. Juli 2023, in Kraft.

Damit gilt:

  • Ab 2. Juli 2023: Alle Unternehmen ab 250 Beschäftigten müssen ein Hinweisgebersystem, also sichere und zuverlässige Kanäle für die interne Meldung von Verstößen einrichten. Für Finanzinstitute (Kredit-, Finanzdienstleistungs- und Wertpapierinstitute, Wertpapierdienstleistungsunternehmen, Börsenträger, Kapitalverwaltungsgesellschaften etc.) gilt diese Pflicht unabhängig von der Mitarbeiterzahl.
  • Ab 1. Dezember 2023: Allen Unternehmen ab 250 Beschäftigten und Finanzinstituten, die noch kein Hinweisgebersystem eingerichtet haben, droht ab jetzt ein Bußgeld in Höhe von 20.000 €.
  • Ab 17. Dezember 2023: Alle Unternehmen ab 50 Beschäftigten müssen ein Hinweisgebersystem einrichten, auch ihnen droht ab jetzt ein Bußgeld in Höhe von 20.000 €.

Die Schwellenwerte sind unternehmensbezogen, es kommt also auf die Mitarbeiterzahl in der jeweiligen „Legal Entity“ an.

Was hat der Vermittlungsausschuss bewirkt?

Nachdem sich die Bundesregierung zuletzt doch noch durchgerungen hatte, den Vermittlungsausschuss anzurufen, hat dieser neben einer Halbierung des Bußgeldrahmens (ursprünglich: 100.000 €) insbesondere folgende Kompromisse ausgehandelt:

  • Keine Pflicht zur Entgegennahme anonymer Meldungen:

Bisher war vorgesehen, dass die internen Meldekanäle ab 2025 auch eine anonyme Kontaktaufnahme und Kommunikation mit dem Hinweisgeber ermöglichen müssen. Aus dem „Muss“ ist jetzt ein „Sollte“ geworden.

Einordnung: Zeitgemäße digitale Hinweisgebersysteme ermöglichen – bei mittlerweile sehr überschaubaren Kosten – auf Wunsch auch eine anonyme Kommunikation mit Hinweisgebern. Wer dafür sorgen möchte, etwaige Missstände möglichst frühzeitig intern zu identifizieren und abzustellen, sollte über diese Möglichkeit nachdenken. Denn statistisch ist nachgewiesen, dass die Hemmschwelle für Mitarbeiter damit deutlich gesenkt wird. Hinweisgeber wenden sich dann auch seltener an Behörden oder gar an Öffentlichkeit und Medien.

  • Nachschärfung des Anwendungsbereichs:

Bereits bisher war vorgesehen, dass in den Anwendungsbereich des Gesetzes nur solche Rechtsverstöße fallen, die im Rahmen einer beruflichen, unternehmerischen oder dienstlichen Tätigkeit begangen werden. Jetzt wurde zusätzlich aufgenommen, dass es um Verstöße gehen muss, die beim Beschäftigungsgeber oder bei einer anderen Stelle, mit der die hinweisgebende Person aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit im Kontakt steht, begangen werden.

Einordnung: Hierbei handelt es sich um eine Klarstellung des erforderlichen beruflichen Kontextes. Schon vorher war klar, dass Hinweise aus dem Bereich des Privatlebens nicht in den Anwendungsbereich fallen. Diskutiert wurde aber regelmäßig das Fallbeispiel, dass ein Mitarbeiter das Falschparken eines Kollegen außerhalb des Betriebsgeländes meldet. Bei Blockade etwa einer Feuerwehreinfahrt wäre zwar an sich – wie vom Gesetz gefordert – eine Vorschrift betroffen, die dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit dient. Mit der nun erfolgten Nachschärfung dürfte sich indes noch besser als vorher vertreten lassen, dass diese Konstellation nicht dem beruflichen Kontext zuzurechnen ist.

  • Bevorzugte Nutzung interner Meldekanäle:

Bisher war vorgesehen, dass Hinweisgeber ein Wahlrecht dahingehend haben, ob sie sich an eine interne Meldestelle im Unternehmen oder an eine externe Meldestelle (wird beim Bundesamt für Justiz errichtet) wenden. Unternehmen „sollen“ aber Anreize für die Nutzung interner Kanäle schaffen. Dies wurde jetzt um den zaghaft formulierten Appell ergänzt, Hinweisgeber „sollten“ die interne Meldung bevorzugen, soweit intern wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann und sie keine Repressalien befürchten.

Einordnung: Für potentielle Hinweisgeber bleibt es beim Wahlrecht, der wachsweich formulierte Kompromiss ändert hieran nichts. Aus Arbeitgebersicht ärgerlich: Der Gesetzgeber hat es versäumt, einen klaren Vorrang des innerbetrieblichen Abhilfeversuchs vorzugeben. Damit liegt es nunmehr an den Unternehmen selbst, ein möglichst attraktives, niederschwelliges und vertrauenswürdiges Hinweisgebersystem zu etablieren, damit die Mitarbeiter möglichst interne Meldewege beschreiten.

  • Aufbewahrungsfristen:

Bislang war vorgesehen, dass die gesetzlich vorgeschriebene Dokumentation der Meldung zwingend drei Jahre nach Abschluss des Verfahrens zu löschen ist. Jetzt wurde ergänzt, dass die Dokumentation auch länger aufbewahrt werden kann, solange dies im Einzelfall erforderlich und verhältnismäßig ist.

Einordnung: Eine sinnvolle Klarstellung, die unterstreicht, dass ein Löschkonzept wichtig ist, starre Fristen manchmal aber auch an der Realität vorbeigehen können: Handelt es sich um eine Meldung, die im Kontext eines größeren Compliance-Komplexes zu sehen ist, sind drei Jahre schnell vorbei. Auch wenn die eigentliche Meldung schon abgearbeitet ist, kann dann, etwa für behördliche oder gerichtliche Verfahren, noch ein berechtigtes Interesse an der Beweissicherung bestehen.

  • Beweislastumkehr beim Repressalienschutz:

Das Gesetz sah schon bislang eine Beweislastumkehr vor, wenn der Hinweisgeber eine Benachteiligung erfährt. Der Arbeitgeber muss dann die Vermutung widerlegen, dass die Maßnahme eine verbotene Repressalie ist – also beweisen, dass diese nicht als Reaktion auf eine Meldung, sondern aus anderen Gründen erfolgt ist. Der im Vermittlungsausschuss erzielte Kompromiss sieht vor, dass die Vermutungswirkung zugunsten des Hinweisgebers nur greift, wenn er sich auf diese beruft.

Einordnung: Der Repressalienschutz ist aus Sicht von (potentiellen) Hinweisgebern neben dem Vertraulichkeitsgebot das Herzstück des neuen Gesetzes. Die Beweislastumkehr ist dabei arbeitsrechtlich das wohl schärfste Schwert. Der erzielte Kompromiss ändert hieran nichts, denn in der Praxis dürfte sich ohnehin jeder, der sich z.B. gegen eine Kündigung oder Versetzung wehrt und insoweit Hinweisgeberschutz beanspruchen möchte, auf das Vorliegen einer angeblichen Repressalie berufen. Für Personalverantwortliche heißt dies: Gründe für arbeitsrechtliche Maßnahmen sollten zukünftig noch sorgfältiger als ohnehin schon dokumentiert werden (z.B. auch in der Probezeit). Denn wegen des Vertraulichkeitsgebots dürfte in aller Regel in der Personalabteilung nicht allgemein bekannt sein, ob der Mitarbeiter, mit dem man gerade zu tun hat, in der Vergangenheit als Hinweisgeber aktiv geworden ist.

  • Kein Schmerzensgeld für Hinweisgeber:

Bislang war vorgesehen, dass der Repressalienschutz durch einen Schmerzensgeldanspruch flankiert wird – also für Fälle, in denen der Hinweisgeber von verbotenen Repressalien betroffen ist. Dies ist jetzt gestrichen worden.

Einordnung: Damit sinkt das Risiko von Unternehmen, von (angeblich) benachteiligten Hinweisgebern auf hohe Geldzahlungen in Anspruch genommen zu werden. Aber: Es bleibt das Risiko, dass sich Mitarbeiter z.B. im Kündigungsschutzprozess auf Hinweisgeberschutz berufen oder materiellen Schadensersatz fordern. Zudem bleibt das Repressalienverbot bußgeldbewehrt: Geldbußen bis zu 50.000 € (für Unternehmensverantwortliche) bzw. 500.000 € (für das Unternehmen selbst) drohen – einschließlich unerfreulicher „Nebenwirkungen“ wie die Eintragung ins Gewerbezentralregister. Der Repressalienschutz ist also weiterhin ernst zu nehmen.

Was sollten Unternehmen jetzt tun?

Für Personal- und Compliance-Verantwortliche, die sich bislang noch nicht mit dem Thema beschäftigt haben, wird es jetzt höchste Zeit.

Insbesondere Unternehmen ab 250 Beschäftigten (und Finanzinstituten unabhängig von der Mitarbeiterzahl) bleibt nicht mehr viel Zeit, um die neuen Vorgaben zu erfüllen.

Die unterbliebene oder nicht rechtzeitige Einrichtung eines Hinweisgebersystems wird zwar erst voraussichtlich ab 1. November 2023 bußgeldbewehrt sein. Doch unabhängig hiervon gelten die neuen Vorgaben bereits ab Inkrafttreten des Gesetzes, also voraussichtlich Ende Juni 2023. Wer sich bis November Zeit lässt, ist somit nicht nur vorerst „non-compliant“, sondern riskiert auch, dass sich Hinweisgeber in der Zwischenzeit an Behörden wenden und – wenn diese nicht reagieren – auch legal an Öffentlichkeit und Medien wenden dürfen.

Unternehmensverantwortliche sollten daher – soweit noch nicht vorhanden – zügig ein Hinweisgebersystem einführen (Achtung: Beteiligungsrechte des Betriebsrats) bzw. ein etwaig vorhandenes System, z.B. eine Whistleblower-Hotline, auf die Einhaltung der neuen Vorgaben hin überprüfen. Wir unterstützen Sie gerne bei der Einführung und dem Betrieb eines gesetzeskonformen Hinweisgebersystems, das wir – sofern gewünscht – zusammen mit unserem Kooperationspartner EQS implementieren.

Fragen?

Besuchen Sie gerne unser kostenfreies Webinar „Tipps zur Umsetzung im Arbeitsrecht: So erfüllen Sie das Hinweisgeberschutzgesetz“ am Donnerstag, 25. Mai 2023 von 11:00 Uhr bis 12:00 Uhr. Zur Anmeldung geht’s hier.

 

Jörn-Philipp Klimburg LL.M.

Rechts­an­walt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Principal Counsel
Jörn-Philipp Klimburg berät deutsche und internationale Unternehmen sowie öffentlich-rechtliche Institutionen umfassend in allen Fragen des Arbeitsrechts. Schwerpunkte bilden die Gestaltung und Begleitung von Restrukturierungen, Outsourcing-Projekten und M&A-Transaktionen sowie die Vertretung in Arbeitsgerichtsprozessen. Besondere Expertise hat er zudem im Betriebsverfassungs- und Tarifvertragsrecht sowie im Bereich der Anstellungsverhältnisse von Vorständen und Geschäftsführern. Jörn-Philipp Klimburg ist bei KLIEMT.Arbeitsrecht verantwortlich in der Fokusgruppe "Whistleblowing und Compliance".
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