Die Reichweite des Direktionsrechts ist nicht selten Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (etwa zu grenzüberschreitenden Versetzungen) oder mit dem Betriebsrat zur Reichweite von dessen Mitbestimmungsrecht. Selten spielt eine Rolle, in welcher Form es ausgeübt wird. Eine aktuelle Entscheidung befasst sich mit Weisungen per SMS während der Freizeit eines Arbeitnehmers.
Gemäß § 106 GewO bestimmt der Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen. Unter der Zeit der Arbeitsleistung versteht man dabei nicht die Dauer, sondern die zeitliche Lage der Arbeitszeit. So ist der Arbeitgeber kraft seines Direktionsrechts befugt, die Lage der Arbeitszeit durch Weisungen festzulegen und einseitig zu ändern. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers wird aber begrenzt durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das Arbeitsschutzrecht, durch Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen sowie durch den Arbeitsvertrag selbst. Dabei stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber Weisungen auch während der Freizeit eines Arbeitnehmers erteilen kann. Das LAG Schleswig-Holstein hat kürzlich klargestellt, dass Arbeitnehmer in ihrer Freizeit keine dienstlichen Anrufe entgegennehmen bzw. SMS oder E-Mails lesen müssen (LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 27.09.2022 – 1 Sa 39 öD/22).
Worum ging es?
Das LAG hatte darüber zu entscheiden, ob ein Notfallsanitäter in seiner Freizeit auf eine kurzfristige Dienstplanänderung für den Folgetag reagieren muss. Der Arbeitnehmer war in zwei Fällen telefonisch und per SMS und in einem Fall per E-Mail nicht zu erreichen und meldete sich jeweils wie ursprünglich eingeteilt zu seinen Diensten. Der Arbeitgeber sah darin ein unentschuldigtes Fehlen und erteilte zunächst eine Ermahnung und sodann eine Abmahnung unter Abzug der nicht geleisteten Arbeitsstunden vom Arbeitszeitkonto.
Die Entscheidung des LAG
Das LAG entschied zugunsten des Arbeitnehmers. Die Abmahnung müsse entfernt und die Fehlstunden dem Arbeitszeitkonto wieder gutgeschrieben werden. Sein Weisungs- bzw. Direktionsrecht übt der Arbeitgeber durch eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung aus. Diese muss so in den Bereich des Empfängers gelangen, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Hierbei gehören zum Bereich des Empfängers Einrichtungen wie Briefkasten, Postfach, E-Mail-Postfach oder Anrufbeantworter. Der Arbeitgeber ist jedoch für den Zugang der Weisung an den Arbeitnehmer darlegungs- und beweisbelastet.
In der Änderung eines Dienstplans ist die Ausübung des Direktionsrechts des Arbeitgebers gegenüber dem betroffenen Arbeitnehmer zu sehen. Die Änderung muss dem Arbeitnehmer daher zugehen. Ein Arbeitnehmer sei aber nicht verpflichtet, so das LAG, sich in seiner Freizeit zu erkundigen, ob sein vor Beginn der Freizeitphase geltender Dienstplan nachträglich geändert worden ist. Er sei auch nicht verpflichtet, eine Mitteilung des Arbeitgebers – etwa per Telefon – entgegenzunehmen oder eine SMS zu lesen. Dies stelle eine Arbeitsleistung dar und gehöre damit zur Arbeitszeit. Nehme der Arbeitnehmer eine Information über eine Dienstplanänderung nicht zur Kenntnis, gehe ihm diese erst bei Dienstbeginn (gemäß dem ursprünglichen Dienstplan) zu.
Das LAG sah auch kein treuwidriges Verhalten des Arbeitnehmers. Freizeit zeichne sich gerade dadurch aus, dass Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nicht zur Verfügung stehen müssten und selbstbestimmt entscheiden könnten, wie und wo sie diese Freizeit verbringen. In dieser Zeit wären sie nicht Bestandteil einer fremdbestimmten arbeitsrechtlichen Organisationseinheit und nicht Arbeitskraft. Es gehöre zu den „vornehmsten Persönlichkeitsrechten, dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er/sie in dieser Zeit erreichbar sein will oder nicht“. Selbst der nur minimale Zeitaufwand, der mit dem Lesen einer SMS verbunden wäre, rechtfertige keine andere Einschätzung, so das LAG Schleswig-Holstein.
Etwas anderes kann jedoch gelten, wenn der Arbeitnehmer mit der Abgabe rechtserheblicher Erklärungen durch den Arbeitgeber rechnen musste oder den Zugang der Weisung vereitelt, etwa, wenn der Arbeitnehmer im Bewusstsein über die Möglichkeit der Änderung des Dienstplanes das Schreiben des Arbeitgebers nicht annimmt.
Fazit
Arbeitgeber müssen bei Ausübung ihres Direktionsrechts außerhalb der Arbeitszeit des Arbeitnehmers sicherstellen (und gegebenenfalls nachweisen) können, dass eine Weisung tatsächlich zur Kenntnis genommen wurde. Anderenfalls bleibt die Nichtbefolgung folgenlos und kann nicht als Pflichtverletzung gewertet und z.B. abgemahnt werden. Bei Änderung eines Dienstplanes während der Freizeit des Arbeitnehmers entsteht das weitere Risiko, dass Arbeitgeber mit der vom Arbeitnehmer gemäß dem ursprünglichen Dienstplan angebotenen Arbeitsleistung in Annahmeverzug geraten und das Arbeitsentgelt trotz des Nichteinsatzes des Arbeitnehmers fortzahlen müssen.
Anders könnte der Fall dann liegen, wenn die Kommunikation per SMS/E-Mail mit einem Arbeitnehmer üblich und ständige Praxis ist und – erst recht – wenn sich der Arbeitgeber eine Lesebestätigung geben lässt oder wenn der Arbeitnehmer ebenfalls dieses Medium als Kommunikationskanal nutzt. Allgemeine Aussagen dürften insofern aber schwierig sein; wie immer ist die Bewertung im Einzelfall entscheidend.