Prozessbetrug ist kein Kavaliersdelikt. Trägt der Arbeitnehmer vor Gericht bewusst wahrheitswidrige Tatsachen vor, kann dies dazu führen, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit diesem unzumutbar wird. Was der Arbeitgeber in solch einem Fall tun kann, zeigt dieser Beitrag.
I. Die prozessuale Wahrheitspflicht
Naturgemäß haben beide Parteien in einem Gerichtsprozess ein berechtigtes Interesse daran, gegnerische Ansprüche zu entkräften oder ihre eigenen Ansprüche zu stützen. Dabei dürfen sie auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen. Dies selbst dann, wenn sie ihren Standpunkt vorsichtiger hätten formulieren können. Das gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht: Die Parteien haben gemäß § 138 Abs. 1 ZPO ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. Für einen Verstoß hiergegen genügt es bereits, wenn Tatsachen bewusst sinnentstellend verschwiegen und damit nicht vollständig vorgetragen werden. Auch dürfen die Parteien vor Gericht nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegen.
Verletzt einer der Parteien die prozessuale Wahrheitspflicht und täuscht das Gericht bewusst, um eine für ihn günstige Entscheidung herbeizuführen, riskiert er nicht nur strafrechtliche Konsequenzen oder eine zivilrechtliche Schadensersatzpflicht. Für den Arbeitnehmer kann ein solches prozessuales Verhalten auch unabhängig von der strafrechtlichen Einordnung zum Verlust des Arbeitsverhältnisses führen.
II. Die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung
Trägt ein Arbeitnehmer in einem Gerichtsverfahren bewusst wahrheitswidrig vor, kann das eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Dies bestätigen zwei LAG-Entscheidungen aus dem Jahr 2020: In beiden Fällen standen falsche Tatsachenbehauptungen des Arbeitnehmers in einem Vorprozess im Raum. Mit Urteil vom 22.1.2020 – 6 Sa 297/19 entschied das LAG Nürnberg, dass ein Arbeitnehmer massiv seine nebenvertragliche Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt, wenn er im Rechtsstreit gegenüber seinem Arbeitgeber bewusst wahrheitswidrig vorträgt, weil er befürchtet, durch wahrheitsgemäße Angaben einen Anspruch nicht durchsetzen zu können. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BAG ist nach dem Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 2.9.2020 – 7 Sa 333/19 die außerordentliche Kündigung gerechtfertigt, wenn ein Arbeitnehmer leichtfertig Tatsachen behauptet, deren Unhaltbarkeit auf der Hand liegt. Dabei spiele es keine Rolle, ob der wahrheitswidrige Vortrag letztlich für das Gericht entscheidungserheblich ist. Ausreichend sei, dass er es hätte sein können. Selbst der „untaugliche Versuch“ eines „Prozessbetrugs“ könne das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers irreparabel zerstören, sodass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit künftig nicht mehr möglich sei. Dabei muss der Arbeitgeber im Prozess nicht nur die unwahre Tatsachenbehauptung widerlegen, sondern darlegen und ggf. beweisen, dass der Arbeitnehmer vorsätzlich gehandelt hat. Zur Überzeugung des Gerichts muss feststehen, dass der Arbeitnehmer die Unrichtigkeit seiner Behauptungen erkannt und deren Unwahrheit in seinem Erklärungswillen aufgenommen hat. Dabei genügt jedoch, dass der Arbeitnehmer die Unrichtigkeit seines Vortrags zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat.
III. Die Möglichkeit eines Auflösungsantrags
Reicht der wahrheitswidrige Vortrag des Arbeitnehmers für eine Kündigung nicht aus, kann er dennoch geeignet sein, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Dies hat das BAG mit Urteil vom 24.5.2018 – 2 AZR 73/18 bestätigt (Blogbeitrag vom 27. August 2018). Zwar sind die Voraussetzung dazu im Vergleich zur außerordentlichen Kündigung nicht minder streng. In einem bewusst wahrheitswidrigen Prozessvortrag sind aber regelmäßig Gründe zu sehen, die neben die gegebenenfalls noch nicht genügenden Gründe der ersten Kündigung treten und so eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht mehr erwarten lassen. Insbesondere dann, wenn das Vertrauensverhältnis bereits belastet ist, kann ein solches prozessuales Verhalten das Vertrauen in den Arbeitnehmer endgültig zerstören, sodass das Arbeitsverhältnis aufzulösen ist.
Für den Arbeitgeber birgt ein Auflösungsantrag den Vorteil, dass das Gericht das Arbeitsverhältnis zu dem ursprünglichen Kündigungszeitpunkt auflöst. Liegt dieser in der Vergangenheit, kommt die Auflösung durch das Gericht einer alternativ zum Auflösungsantrag ausgesprochenen zweiten Kündigung aufgrund des wahrheitswidrigen Vortrags zuvor, die erst ab dem Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung beim Arbeitnehmer wirkt. Nachteile ergeben sich allerdings aus der zwingend mit der Auflösung verbundenen Verurteilung des Arbeitgebers zur Zahlung einer Abfindung nach § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG.
IV. Fazit
Ein bewusst wahrheitswidriger Tatsachenvortrag vor Gericht kann für den Arbeitnehmer gravierende Konsequenzen nach sich ziehen. Gelingt es dem Arbeitgeber darzulegen und ggf. zu beweisen, dass der Arbeitgeber einen unwahren Tatsachenvortrag geleistet hat, um eine günstige Entscheidung des Gerichts zu erlangen, eröffnet sich die Möglichkeit einer (außerordentlichen) Kündigung oder eines Auflösungsantrags. Der aufgedeckte Falschvortrag des Arbeitnehmers verbessert die prozessuale Lage des Arbeitgebers in einem Kündigungsschutzprozess auch bereits dadurch, dass durch die neue Kündigungsmöglichkeit die Vergleichsbereitschaft des Arbeitnehmers nicht unerheblich steigen wird. Für Arbeitgeber lohnt es sich deshalb, den Prozessvortrag des Arbeitnehmers genau zu prüfen. Ehrlichkeit währt eben am längsten.