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Anonyme Hinweisgeber – ein Problem der Verwertbarkeit?

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Der aktuelle Regierungsentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz sieht in § 16 die Möglichkeit anonymer Meldungen vor. Daneben kommt es vor, dass Mitarbeiter im Rahmen von internen Untersuchungen nur gegen Zusicherung von Diskretion Aussagen machen wollen. Aber Achtung: Die Anonymität solcher Aussagen kann ihrer praktischen Verwertbarkeit entgegenstehen.

Anonyme Meldungen über ein Hinweisgebersystem können der Auslöser für Ermittlungen sein, durch die weitere Hinweise, Zeugen und Beweismittel für den vorgetragenen Sachverhalt aufgedeckt werden. Doch wenn sich die Beweislage auf die Wahrnehmungen des Hinweisgebers beschränkt und dieser anonym bleibt, kann dies die praktische Verwertbarkeit beeinträchtigen. Möglicherweise belastet der Hinweisgeber als einziger Zeuge z.B. einen Vorgesetzten wegen schwerer Pflichtverletzungen, die eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen würden.

Ähnliches gilt, wenn Mitarbeiter im Rahmen von internen Untersuchungen nur gegen Zusicherung von Diskretion bereit sind, mitzuwirken – etwa aus Angst, Einschüchterung oder Loyalität gegenüber ihren Kollegen oder Vorgesetzten.

Pflicht zur – nicht anonymen – Mitwirkung bei internen Untersuchungen

Der Arbeitsvertrag verpflichtet Mitarbeiter bei internen Untersuchungen und Befragungen mitzuwirken. Diese Pflicht folgt aus der allgemein im Zivilrecht anerkannten Treue- und Loyalitätspflicht in Vertragsverhältnissen. Arbeitsverhältnisse weisen eine besonders starke Verbindung der Vertragsparteien auf, sodass gerade diese Nebenpflichten Gewicht gewinnen. Einfach gesagt haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufeinander aufzupassen, sich zur Seite zu stehen und Schäden voneinander abzuwenden. Daraus folgt die Pflicht der Mitarbeiter, bei Befragungen im Rahmen von internen Untersuchungen teilzunehmen und wahrheitsgemäß auszusagen.

Zusicherung von Diskretion kann praktisch erforderlich sein

Die Praxis zeigt jedoch, dass ausgehend von dem im Raum stehenden Untersuchungsgegenstand Mitarbeiterbefragungen sich als zäh und ergebnislos darstellen können. Sagen Mitarbeiter aus Gründen der Angst oder falsch verstandener Loyalität zu Kollegen nicht oder nicht wahrheitsgemäß aus, lässt sich dem auch kaum mit einem Hinweis auf bestehende arbeitsvertragliche Pflichten begegnen. Im menschlichen Zusammenspiel zwischen Befragenden und Befragten kann dann die Zusicherung von Anonymität ein Mittel sein, die Bereitschaft zur Aussage zu erhöhen. Denkbar ist zudem, dass Mitarbeiter keinesfalls (später) vor Gericht aussagen wollen und bei Befragungen nur mitwirken, wenn ihnen dies zugesichert wird.

Solche Zusicherungen können sinnvoll sein, um die Untersuchung voranzutreiben und zunächst einmal mehr zu erfahren. Erschöpfen sich aber die zusammengetragenen Beweise für den im Raum stehenden Sachverhalt in anonymen Hinweisen und Mitarbeiteraussagen, zeigt sich eine nur eingeschränkte Nutzbarkeit.

Zeugenbeweis im Prozess erfordert namentliche Benennung des Zeugen

Spätestens in einem Gerichtsverfahren, etwa nach Ausspruch einer Abmahnung oder Kündigung, muss der Arbeitgeber für die im Raum stehenden Vorwürfe Beweis anbieten, wenn der Prozessgegner, also der beschuldigte Mitarbeiter, gegen den sich die im Raum stehenden Anschuldigungen richten, diese zurückweist und bestreitet. Der Sachverhalt ist dann streitig und muss im Rahmen einer Beweisaufnahme geklärt werden. Hier wäre dann der Name des Zeugen zu benennen sowie die Nennung einer ladungsfähigen Anschrift. Fehlt dies, liegt kein von dem Gericht zu beachtendes Beweisangebot vor.

Der Vorlage von im Vorfeld eines Gerichtsverfahrens festgehaltenen anonymen Aussagen oder Gesprächsprotokollen mit Mitarbeitern kommt ein gewisser Indizwert zu, eine unmittelbare Zeugenvernehmung durch das Gericht kann dadurch aber nicht ersetzt werden. Das Gericht muss Zeugen selbst befragen. Auch dem Prozessgegner steht im Rahmen einer Beweisaufnahme das Recht zu, Fragen an Zeugen zu richten.

Zeugenaussage ist Bürgerpflicht

Wird ein Mitarbeiter in einem Gerichtsverfahren als Zeuge benannt und vom Gericht geladen, muss er erscheinen. Als Zeuge vor Gericht auszusagen ist eine Bürgerpflicht, der nachgekommen werden muss. Erscheint ein Zeuge unentschuldigt nicht, können Ordnungsgelder verhängt werden bis hin zur zwangsweisen Vorführung vor das Gericht. Gleiches gilt für eine Ladung der Staatsanwaltschaft.

Eine Zusicherung der Anonymität seitens des Arbeitgebers im Vorfeld wäre insoweit also kontraproduktiv und rechtlich wirkungslos, wenn der Name doch genannt wird, und ist schon deswegen nicht zu empfehlen. Eine Benennung des Mitarbeiters entgegen einer solchen Zusicherung könnte das Vertrauen in den Arbeitgeber nachhaltig beeinträchtigen.

Mögliche Zeugenstellung vorab klarstellen

Anonyme Meldungen sind nach dem Hinweisgeberschutzgesetz möglich. Wir empfehlen diese Möglichkeit im Hinweisgebersystem vorzusehen und solche Meldungen zu bearbeiten. Die Anonymität senkt die Hemmschwelle für Meldungen, die in der Regel auch erst den Anstoß für Ermittlungen und den Fund weiterer Beweismittel geben.

Daneben kann es in Mitarbeiterbefragungen erforderlich sein, Diskretion zuzusichern, um Mitarbeiter zur Mitwirkung zu motivieren. Diskretion kann zugesichert werden, solange die Untersuchung das Unternehmen noch nicht verlassen hat. Gegenüber einem unter Verdacht stehenden Mitarbeiter besteht keine Pflicht, vor oder bei einer Anhörung die vorhandenen Zeugen zu benennen, ebenso wenig gegenüber dem Betriebsrat im Anhörungsverfahren zu einer beabsichtigen Kündigung nach § 102 BetrVG. Wir empfehlen jedoch, vorab klarzustellen, dass aber spätestens in einem Gerichtsverfahren eine Benennung als Zeuge erfolgen kann. Jedenfalls sollte eine solche Klarstellung dann erfolgen, wenn die Offenlegung der Person des Hinweisgebers notwendig oder zumindest wahrscheinlich wird, etwa wenn sich ein Kündigungsschutzverfahren abzeichnet und der Hinweisgeber damit rechnen muss, als Zeuge benannt und eventuell auch vor Gericht gehört zu werden.

Stephan Nakszynski

Fachanwalt für Arbeitsrecht
Rechtsanwalt
Senior Associate
Stephan Nakszynski berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät er seine Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "Whistleblowing und Compliance".
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