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Betriebsübergang in der Insolvenz – und wer zahlt jetzt die Rente?

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Der Erwerb eines Betriebs aus der Insolvenz kann Tücken haben – insbesondere, wenn die betriebliche Altersversorgung der Mitarbeiter im Spiel ist. Bleibt es hier bei der erwerberfreundlichen Rechtsprechung des BAG?

Die Zusage einer betrieblichen Altersversorgung macht Unternehmen für (potentielle) Mitarbeiter zu einem attraktiven Arbeitgeber. Steht irgendwann jedoch ein Verkauf an, können die Versorgungsverpflichtungen aus Erwerbersicht zum Dealbreaker werden. Gerade wenn es um die Übernahme eines Betriebs(teils) aus der Insolvenz geht, erscheint die Aussicht, sich als Erwerber umfangreiche, langfristige Belastungen durch Pensionsverpflichtungen ins Haus zu holen, wenig verlockend. Für weitgehende Entspannung in dieser Hinsicht sorgte bisher die Rechtsprechung des BAG, wonach die Haftung des Erwerbers eines insolventen Betriebs(teils) für Leistungen der betrieblichen Altersversorgung deutlich begrenzt war. Doch kann das BAG dieser Linie angesichts neuer Impulse aus Luxemburg treu bleiben?

Die Erwerberhaftung für Leistungen der betrieblichen Altersversorgung

Zu den Rechten und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen, die gemäß § 613a Abs. 1 BGB auf den Betriebserwerber übergehen, zählen auch die vom Veräußerer erteilten Versorgungszusagen. Geht ein übernommener Arbeitnehmer nach dem Betriebsübergang in Rente, kann er die zugesagte Betriebsrente daher grundsätzlich in voller Höhe vom Erwerber verlangen, auch wenn er den Großteil seiner Rentenanwartschaften während seiner Beschäftigung beim Veräußerer erdient hat. Soweit der Grundsatz.

Für den Fall, dass der Betriebserwerb nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erfolgt, hat die Rechtsprechung jedoch schon frühzeitig eine Ausnahme entwickelt und die Haftungsregelung des § 613a Abs. 1 BGB teleologisch reduziert: Die Haftung des Betriebserwerbers in der Insolvenz ist danach beschränkt auf den Teil der Betriebsrentenansprüche, der durch die Betriebszugehörigkeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erdient worden ist. Die Rechtsprechung gab hier den insolvenzrechtlichen Regelungen den Vorzug, die eine gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger vorsehen. Mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger wäre es nicht zu vereinbaren, wenn die übernommene Belegschaft ihre Forderungen gegenüber einem neuen, zahlungskräftigen Schuldner geltend machen könnte. Dies ginge letztlich zu Lasten der übrigen Gläubiger, da sich die übernommene Haftung in einem geringeren Kaufpreis niederschlagen würde. Überdies werde durch die Haftungserleichterung auch die (sozialpolitisch) gewünschte Übernahme von Betrieben in der Insolvenz und damit der Erhalt von Arbeitsplätzen erleichtert (ständige Rechtsprechung seit BAG Urteil vom 17. Januar 1980 – 3 AZR 160/79).

Haftung des PSV

Trotz dieser eingeschränkten Haftung des Betriebserwerbers gehen den Arbeitnehmern die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens erdienten Anwartschaften nicht verloren. Insoweit springt grundsätzlich der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) als gesetzlich bestimmter Träger der Insolvenzsicherung ein.

Im Einzelfall kann es jedoch dazu kommen, dass ein Arbeitnehmer vom PSV keine oder lediglich geringere Leistungen erhalten würde, als es ohne die Insolvenz des Arbeitgebers der Fall gewesen wäre. Sind beispielsweise die Rentenanwartschaften des Arbeitnehmers zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht gesetzlich unverfallbar, besteht (nach nationalem Recht) überhaupt keine Leistungspflicht des PSV.

Ist die teleologische Reduktion des § 613a BGB auch in diesen Fällen gerechtfertigt oder muss dann doch der Erwerber einspringen? Mit dieser Frage hatte sich das BAG in jüngerer Zeit mehrfach zu beschäftigen und nahm dies zum Anlass für eine Vorlage an den EuGH. Nachdem der EuGH die eingeschränkte Erwerberhaftung im Wesentlichen abgesegnet hatte (Urteil vom 9. September 2020 – C-674/18 und C-675/18), bestätigte das BAG seine bisherige Rechtsprechung in einer Entscheidung vom 26. Januar 2021 (3 AZR 878/16).

Worum ging es?

Der Kläger hatte bei seinem Arbeitgeber eine Zusage auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung erhalten. Über das Vermögen des Arbeitgebers wurde 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Beklagte übernahm kurze Zeit später im Wege des § 613a BGB den Betrieb, in dem der Kläger beschäftigt war.

Zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens waren die Voraussetzungen für eine gesetzliche Unverfallbarkeit der Versorgungsanwartschaften des Klägers noch nicht erfüllt. Nach deutschem Recht stand ihm daher im Leistungsfall kein Anspruch gegen den PSV zu. Der Kläger machte geltend, dass der Erwerber in einem solchen Fall für die gesamte Rente aufkommen müsse, die sich nach Maßgabe der für ihn einschlägigen Versorgungsordnung im Leistungsfall ergeben wird.

Entscheidung nach „grünem Licht“ vom EuGH

Im Revisionsverfahren blieb der Kläger – ebenso wie bereits in den Vorinstanzen – erfolglos.

Zuvor hatte das BAG das Revisionsverfahren indes ausgesetzt, um die Vereinbarkeit seiner Rechtsprechung zur eingeschränkten Erwerberhaftung mit dem Unionsrecht durch den EuGH klären zu lassen (Beschluss vom 18. Oktober 2018 – 3 AZR 878/16 [A]).

Mit Urteil vom 9. September 2020 (C-674/18 und C-675/18) hatte der EuGH der bisherigen Auslegung des § 613a BGB durch die deutschen Arbeitsgerichte im Wesentlichen „grünes Licht“ gegeben. Die eingeschränkte Erwerberhaftung ist danach mit Unionsrecht vereinbar, wenn ein gewisser Mindestschutz der Arbeitnehmer gewährleistet ist. Dies setzt voraus, dass

  • der Arbeitnehmer im Versorgungsfall mindestens 50 % der Leistungen erhält, auf die er aus dem betrieblichen Versorgungssystem einen Rentenanspruch erworben hat und
  • die infolge der Haftungsbeschränkung reduzierten Versorgungsleistungen nicht derart gering sind, dass der Arbeitnehmer unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle lebt oder künftig leben müsste.

Dieser aus Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG hergeleitete Schutz gilt für sämtliche Versorgungsanwartschaften. Erfasst sind damit insbesondere auch solche Anwartschaften, die zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung nach nationalem Recht noch nicht unverfallbar waren.

Das BAG hat in seiner anschließenden Entscheidung festgestellt, dass dieser unionsrechtlich gebotene Mindestschutz in Deutschland in jedem Fall gewährleistet ist. Denn wenn die eingeschränkte Erwerberhaftung dazu führt, dass die Versorgungsleistungen das vom EuGH geforderte Mindestniveau unterschreiten, besteht nach Ansicht des BAG ein unionsrechtlicher Anspruch der betroffenen Arbeitnehmer gegen den PSV, die Leistungen entsprechend aufzustocken. Der PSV sei insoweit unmittelbar aus Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG verpflichtet. Dies gilt selbst dann, wenn nach nationalem Recht überhaupt keine Einstandspflicht des PSV bestünde (beispielsweise weil die Versorgungsanwartschaften des Arbeitnehmers zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht gesetzlich unverfallbar waren). Insoweit verdrängt der hier unmittelbar anwendbare Art. 8 der RL 2008/94/EG die entgegenstehenden nationalen Regelungen.

Fazit

Betriebserwerber können angesichts der Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung des BAG aufatmen. Die aktuellen Entscheidungen sind auch rechtspolitisch ein wichtiges Signal. Eine Abkehr von der eingeschränkten Erwerberhaftung hätte die Fortführung von Betrieben aus der Insolvenz erheblich erschwert. Überdies hätte es die betriebliche Altersversorgung, die angesichts der kaum noch finanzierbaren gesetzlichen Rente dringend gestärkt werden muss, für Arbeitgeber deutlich unattraktiver gemacht.

Der „schwarze Peter“ liegt nun beim PSV, den aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben zukünftig eine Einstandspflicht auch in Fällen treffen kann, in denen er nach den Regelungen des BetrAVG nicht zu leisten hätte. Die Inanspruchnahme des PSV kommt dabei allerdings nur dann in Betracht, wenn das unionsrechtlich gebotene Mindestschutzniveau tatsächlich unterschritten ist. Ob dies der Fall ist, wird sich in der Regel erst bei Eintritt des Versorgungsfalls feststellen lassen.

Jochen Saal

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Jochen Saal berät Arbeitgeber und Füh­rungs­kräfte vor allem bei der Umsetzung jeglicher Umstruk­tu­rie­rungsmaßnahmen. Besondere Expertise besitzt Jochen Saal zudem im Bereich der betrieb­li­chen Alters­ver­sor­gung. Hier unterstützt er unter anderem bei der Ver­ein­heit­li­chung von Pen­si­ons­plä­nen, dem Out­sour­cing von Pensionsverpflichtungen sowie betriebs­ren­ten­recht­li­chen Fragen im Zusam­men­hang mit Betriebs­über­gän­gen. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "Betriebliche Altersversorgung".
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