Presseberichten zufolge hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) nunmehr den Entwurf eines so genannten „Mobile Arbeit Gesetzes“ fertiggestellt, um diesen in die Ressortabstimmung zu geben. Der Entwurf trifft sicherlich ein Zeitgefühl, aber ist er deswegen auch gelungen? Wir bewerten anhand der bislang veröffentlichten Statements hierzu mögliche Praxisfolgen.
1. Gesetzlicher Anspruch auf „Home Office-Arbeitsplatz“ (?)
Der Gesetzesentwurf soll erstmalig einen gesetzlichen Anspruch auf jährlich mindestens (!) 24 Tage Arbeit an einem außerbetrieblichen Arbeitsplatz erhalten.
Zum Begriff: Bislang differenzieren die gesetzlichen Regelungen nach so genannter Telearbeit, bei der der Arbeitgeber einen Bildschirmarbeitsplatz im Privatbereich des Arbeitnehmers fest einrichten und ausstatten sowie mit diesem Regelungen treffen muss (§ 2 Abs. 7 ArbStättV), sowie dem Regelarbeitsplatz. Mobiles Arbeiten an sich, d.h. das meist gelegentliche Arbeiten an einem anderen Arbeitsplatz als der betrieblichen Arbeitsstätte, ist wenig bis gar nicht geregelt.
Was genau das BMAS eigentlich regeln will, ist schon unklar. Der Titel des Gesetzesentwurfes deutet darauf hin, dass nicht „nur“ der feste Telearbeitsplatz gemeint ist – dann wäre es erforderlich, dass das Gesetz eine Definition des Mobilen Arbeitens mit sich bringt. Dazu passen aber insbesondere die in Aussicht genommenen Regelungen zum Arbeitsschutz sowie zum Versicherungsschutz nicht.
Der Anspruch von 24 Tagen ist nach Aussage des Bundesministers als „Untergrenze“ zu verstehen. In der Praxis dürfte er überall dort, wo Unternehmen nicht ohnehin schon proaktiv mobiles Arbeiten anbieten, gleichzeitig die Obergrenze darstellen.
Auch der Gesetzgeber hat erkannt, dass etwa in einer Bäckerei oder einer Maler- und Lackiererwerkstatt kaum mobil gearbeitet werden kann. Daher soll es eine Möglichkeit für Arbeitgeber geben, zwingende betriebliche Gründe vorzubringen, um den Anspruch ablehnen zu dürfen. Dass hierdurch eine „Zweiklassengesellschaft“ unter den Arbeitnehmern geschaffen wird, sieht der Gesetzgeber offenbar nicht als Problem an.
Während sich der Gesetzgeber hier an § 9 TzBfG orientiert hat, dürfte der Begriff der „zwingenden“ noch schärfer sein als der der „dringenden“ betrieblichen Gründe – und es für Arbeitgeber mithin sehr schwer sein, etwa mit der Argumentation unzumutbarer wirtschaftlicher Belastungen den Anspruch abzulehnen. Gerade für Kleinunternehmen wäre das eine schwere Bürde. Es wäre sinnvoll, jedenfalls bis zu einer bestimmten Größe Betriebe und Unternehmen aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes herauszunehmen.
Folge der gesetzlichen Regelung wäre weiter, dass Arbeitgeber in allen Branchen, in denen ein Präsenzarbeitsplatz nicht betrieblich „zwingend“ ist, Investitionen in die für mobiles Arbeiten nötige Infrastruktur zu tätigen – neben den nötigen Endgeräten auch IT-Security usw. Insoweit ist mit einem erheblichen Vollzugsaufwand für die Wirtschaft insgesamt zu rechnen. Hier wären jedenfalls Übergangsfristen dringend erforderlich, um nicht ohnehin schon durch die Corona-Krise angeschlagenen Unternehmen endgültig (wirtschaftlich) das Genick zu brechen.
„Wenn beide Eltern einen Beruf haben, in dem mobiles Arbeiten machbar ist, kann nach meinem Vorschlag jede Woche abwechselnd ein Elternteil einen Tag von zuhause arbeiten. Das erleichtert das Familienleben enorm.“ – Bundesminister Hubertus Heil
Mit Spannung zu erwarten ist anhand des vorstehenden Statements, wie die Arbeitgeber zweier berufstätiger Elternteile deren „Wunschtage“ für mobiles Arbeiten sachgerecht und (im Rahmen ihres jeweiligen Betriebes) fair regeln sollen.
Schließlich hat das Mobile Arbeiten in der Corona-Krise gezeigt, dass ein „funktionierendes“ Remote Working insbesondere eine Frage des richtigen Mindset (auf Seiten sowohl der Arbeitnehmer als auch ihrer Führungskräfte) ist. Vertrauen auf der einen Seite, ein „Nicht-Ausnutzen“ der neu gewonnenen Freiheit auf der anderen Seite sind essentiell. Es steht zu befürchten, dass das Recht auf Mobile Arbeit hier falsche Signale setzen und für zusätzliche Konflikte sorgen könnte – und zwar nicht, weil Arbeitgeber nicht bereit wären, „mit der Zeit zu gehen“.
2. Mitbestimmung
Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräte sollen nach Vorstellung des BMAS ein (wohl?) erzwingbares Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Einführung und Ausgestaltung mobiler Arbeit erhalten. Anstatt es den Betriebsparteien zu überlassen, dort, wo es für alle Beteiligten sinnvoll ist, passgenaue Lösungen zu entwickeln, kommt also nun die erzwingbare „Pflicht zur Regelung“.
Das BMAS sieht vor, dass im Rahmen der Ausgestaltung weitergehende Regelungen dazu treffen, wann und wie Arbeitnehmer bei mobilem Arbeiten erreichbar sein müssen und wann nicht, sowie wie sie in den Betrieb eingebunden werden (um z.B. sicherzustellen, dass sie von allen Informationsflüssen erreicht werden, an Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen können usw.).
3. Arbeitszeit
Das Mobile Arbeit Gesetz soll den Arbeitgeber zu einer „digitalen“ (?) Arbeitszeiterfassung verpflichten, nachdem Bedenken laut geworden sind, dass Arbeitnehmer außerhalb des betrieblichen Arbeitsplatzes tendenziell eher mehr als weniger arbeiten.
Hintergrund: In Folge des EuGH-Urteils i.S. CCOO ./. Deutsche Bank Spanien (EuGH vom 14.5.2019 – C-55/18) war weithin spekuliert worden, ob die dortigen Erwägungen auch das deutsche Arbeitszeitrecht betreffen, mithin dieses noch europarechtskonform ist, oder weitergehende Pflichten zur Erfassung der Arbeitszeit bestehen (zu unserer Bewertung geht es hier). Während das BMAS zunächst ein Gutachten in Auftrag gab, das konkrete Änderungsvorschläge vorstellte (und sodann ein weiteres Gutachten, das unter Verschluss gehalten wurde), hat die Praxis den Gesetzgeber bereits überholt: Das ArbG Emden hat mit Urteil vom 20.2.2020 (2 Ca 94/19) die Auffassung vertreten, Art. 31 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta beinhalte eine Verpflichtung zur Einrichtung eines „objektiven“, „verlässlichen“ und „zugänglichen“ Systems zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit. Verstöße könnten schon unter geltendem deutschem Recht zu Bußgeldern führen.
Der neue Gesetzesentwurf soll für Arbeitgeber, die der Verpflichtung zur „digitalen“ Arbeitszeitkontrolle nicht nachkommen, Bußgelder von bis zu 30.000 EUR vorsehen. Welche Mindestanforderungen an die Arbeitszeitkontrolle gestellt werden müssen, ist bislang nicht bekannt; genauso wenig, für welche Personenkreise sie gelten soll.
Richtig ist: Ständiges Arbeiten vom mobilen oder Telearbeitsplatz aus kann bei fehlender Disziplin zu Entgrenzungen und einem Verschwimmen von Arbeitsleben und Privatleben führen. Ob aber eine aufgezwungene Pflicht zur Nutzung einer „digitalen Stechuhr“ den Bedürfnissen der heutigen Arbeitswelt entspricht oder nicht vielmehr als Gängelung oder gar ein Rückschritt empfunden wird, liegt im Auge des Betrachters. Unternehmen, in denen mobiles Arbeiten zum Alltag gehört, haben typischerweise keine Schwierigkeiten in diesem Bereich.
4. Arbeitsschutz
Bislang differenziert das Arbeitsschutzrecht nach mobilem Arbeiten und Telearbeitsplätzen. Nur für letztgenannte bestehen weitgehende Verpflichtungen, insbesondere zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung. Die Logik dahinter ist klar: Wenn der Arbeitgeber nicht weiß, von wo aus ein Arbeitnehmer arbeitet, kann er auch schwerlich die Risiken einschätzen, die von dem mobilen Arbeitsplatz (im Zug, im Café, am Badesee …) ausgehen.
Zweifel bestanden bereits in der Vergangenheit, ob diese Differenzierung jedoch europäischem Recht (insbesondere der Bildschirmarbeitsrichtlinie 90/270/EWG) genügt, nach der bereits die „Bereitstellung“ eines Bildschirmgerätes (ohne eine weitergehende Einrichtung des Arbeitsplatzes) ausreicht.
- „Im Gesetz stellen wir klar, dass der Arbeitgeber insbesondere auch bei mobiler Arbeit auftretende Gefährdungen zu beurteilen hat, … Maßnahmen festlegen und die Betroffenen im Voraus unterweisen muss.“- Bundesminister Hubertus Heil
Hier sollen sich die Prämissen also nun dramatisch ändern. Wie die praktische Umsetzung aussehen soll, wenn man den Begriff „mobilen Arbeitens“ ernst nimmt, ist jedoch mit einer ganzen Reihe von Fragezeichen zu versehen. Welchen Arbeitsplatz soll der Arbeitgeber hier beurteilen – jeden denkbaren? Für den Arbeitnehmer typische Arbeitsplätze gemäß dessen Auskunft? Muss demnächst jeder Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurteilung für den durchschnittlichen ICE-Sitz durchführen?
Unklar ist vor diesem Hintergrund auch, ob sich das Gesetz überhaupt zu der Frage verhalten wird, dass Arbeitnehmer ggf. „mobiles Arbeiten“ von Orten aus durchführen wollen, die gar nicht allein ihrer Einflusssphäre unterliegen (z.B. Mietwohnung, die nicht für gewerbliche Zwecke genutzt werden darf; Miteigentümer oder Mitmieter, die der Nutzung widersprechen usw.). Wenn diese Dritten dem Arbeitgeber den Zutritt zu den Räumen verwehren, was passiert dann mit der Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung?
5. Versicherungsrecht, insb. SGB VII
Unter der bislang geltenden Rechtslage hat das Bundessozialgericht eine eindeutige Linie vertreten: Unfälle im „Home Office“ unterliegen nur unter sehr engen Voraussetzungen dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz. Insbesondere sind Unfälle in den Grenzregionen von Privat- und Arbeitsbereich häufig nicht versichert.
In der Praxis versuchen sich gut beratene Arbeitgeber, die „proaktiv“ mobiles Arbeiten anbieten, bislang damit zu behelfen, dass sie über private Gruppenversicherungen Unfallversicherungsschutz, Berufsunfähigkeitsleistungen sowie Krankentagegeld abdecken. Der Gesetzesentwurf will nun die bestehende Schutzlücke schließen und die gesetzliche Unfallversicherung auf Arbeitnehmer ausdehnen, die einen Unfall erleiden, während sie z.B. auf dem Weg vom heimischen Arbeitsplatz zur Kita sind.
Für Telearbeitsplätze mag diese Logik denkbar sein. Wie dieses Problem aber für „echtes“ mobiles Arbeiten ohne festen Arbeitsplatz aufgelöst werden soll, wird regelungstechnisch nur sehr schwer abbildbar sein – falls das überhaupt Ziel des Gesetzes sein sollte.
6. Was fehlt außerdem (soweit bekannt)?
Nicht enthalten – oder jedenfalls bislang nicht kommunikativ „beworben“ – ist genau der Punkt, den Arbeitgeber seit nunmehr Jahren monieren: Wenn Flexibilisierung der Arbeitszeit und des Arbeitsortes, dann muss auch eine Änderung der starren und unpraktikablen Vorgaben des ArbZG erfolgen. Insbesondere die gesetzlich geregelten Ruhenszeiten sowie täglichen Höchstarbeitszeiten sind nicht mehr zeitgemäß.
Fazit
Ein „Gute-Mobile-Arbeit-Gesetz“ (um im Sprech des BMAS zu bleiben) ist nach den bisher bekannten Informationen nicht zu erwarten – stattdessen drohen weitergehende Entflexibilisierungen und Bürokratie, die wenig mit dem Verständnis von „mobilem Arbeiten“ und zunehmender Selbstbestimmung der Arbeitnehmer zu tun haben, das sich in der Praxis längst durchgesetzt hat. Insoweit ist zu hoffen, dass die ausstehende Ressortabstimmung nochmals zu signifikanten Anpassungen führt.