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Kündigung, allgemein

Immer wieder Ärger mit dem Zurückweisungsrecht? § 174 BGB im Arbeitsrecht

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Nach § 174 S. 1 BGB ist ein einseitiges, von einem Bevollmächtigten gegenüber einem anderen vorgenommenes Rechtsgeschäft unwirksam, wenn der Bevollmächtigte keine Vollmachtsurkunde vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Da Erklärungen des Arbeitgebers in den allermeisten Fällen (insbesondere wenn es sich bei dem Arbeitgeber um eine juristische Person handelt) von Bevollmächtigten abgegeben werden, ist § 174 BGB im Arbeitsrecht stets im Blick zu halten. Dabei spielt die Vorschrift nicht nur beim Ausspruch von Kündigungen eine große Rolle, sondern kann gegebenenfalls auch bei anderen einseitigen Willenserklärungen des Arbeitgebers zu Ärger führen.

Voraussetzungen für die Zurückweisung nach § 174 BGB

174 BGB kommt nur bei einseitigen Rechtsgeschäften zur Anwendung. Einseitige Rechtsgeschäfte sind solche, die nicht auf eine andere (vorliegende oder erwartete) Willenserklärung bezogen sind. Hierzu zählen beispielsweise die

  • Anfechtung,
  • die Bevollmächtigung oder
  • die Kündigung.

Hat der Bevollmächtigte keine Vollmachtsurkunde – das heißt keine vom Vollmachtgeber eigenhändig unterschriebene Vollmacht im Original – vorgelegt, kann der Erklärungsempfänger das Rechtsgeschäft unverzüglich zurückweisen und damit die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts herbeiführen. Dies gilt selbst dann, wenn der Erklärende tatsächlich wirksam zur Vornahme des Rechtsgeschäfts bevollmächtigt war. „Unverzüglich“ bedeutet ohne schuldhaftes Zögern. Ein solch schuldhaftes Zögern wird von der Rechtsprechung in der Regel angenommen, wenn die Zurückweisung mehr als eine Woche nach Kenntnis des Erklärungsempfängers von dem einseitigen Rechtsgeschäft sowie der Nichtvorlage der Vollmachtsurkunde erfolgt. Besondere Umstände des Einzelfalls können indes zu einer abweichenden Bewertung führen.


Ausschluss der Zurückweisung

Die Zurückweisung ist nach § 174 S. 2 BGB ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt ein In-Kenntnis-Setzen bei einer Kündigung vor, wenn der Arbeitgeber den Erklärenden – z.B. durch die Bestellung zum Prokuristen oder Leiter der Personalabteilung – in eine Position berufen hat, mit der üblicherweise ein Kündigungsrecht verbunden ist. Allein die interne Übertragung einer solchen Funktion reicht indes nicht aus. Vielmehr muss der betroffene Arbeitnehmer überdies darüber informiert sein, dass der Erklärende die Stellung tatsächlich innehat. Bei dem Leiter der Personalabteilung kann diese Information beispielsweise durch ein Rundschreiben an die Mitarbeiter oder einen Aushang am schwarzen Brett erfolgen. Bei einem Prokuristen reicht es demgegenüber aus, wenn die Prokura länger als 15 Tage im Handelsregister eingetragen ist. Vorsicht ist hier allerdings bei einem Gesamtprokuristen geboten: Hat dieser eine einseitige Willenserklärung allein unterzeichnet, kann dieses Rechtsgeschäft trotz Eintragung der Gesamtprokura im Handelsregister wirksam zurückgewiesen werden, weil sich die Einzelvertretungsbefugnis in diesem Fall gerade nicht aus dem Handelsregister ergibt.

Anwendungsfälle des § 174 BGB im Arbeitsrecht

Wegen der scharfen Rechtsfolge der Unwirksamkeit in § 174 BGB ist bei jeder Erklärung eines Arbeitgebervertreters genau zu überlegen, ob dieser eine Originalvollmacht beigefügt werden sollte. Dies gilt insbesondere für Erklärungen, bei denen eine Erklärungsfrist einzuhalten ist. Eine Zurückweisung kann hier gravierende Folgen haben:

  • Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, auf welches § 174 BGB Anwendung findet. Bei der Zurückweisung einer ordentlichen Kündigung, kann unter Umständen der ursprünglich anvisierte Beendigungstermin nicht mehr realisiert werden. Gerade bei Quartalskündigungsfristen wird die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die erforderliche neue Kündigung ggf. in das nächste Quartal verschoben. Bei außerordentlichen fristlosen Kündigung ist nach der Zurückweisung durch den Arbeitnehmer sogar in der Regel die zweiwöchige Erklärungsfrist aus § 626 Abs. 2 BGB verstrichen, so dass der Ausspruch einer wirksamen außerordentlichen Kündigung nach Ausübung des Zurückweisungsrechts überhaupt nicht mehr möglich ist. Bei erneuter (nachholender) Kündigung nach erfolgreicher Zurückweisung dürfte überdies eine erneute Betriebsratsanhörung erforderlich sein.
  • Auf die Zurückweisung eines einseitigen Rechtsgeschäfts nach § 174 BGB selbst findet § 174 BGB ebenfalls Anwendung. Die Zurückweisung durch einen Bevollmächtigten kann also ihrerseits wegen Nichtvorlage einer Vollmachtsurkunde zurückgewiesen werden, so dass es zu einer „Zurückweisung der Zurückweisung“ kommt. Dieser Rettungsanker für ein andernfalls nach § 174 BGB unwirksames Rechtsgeschäft sollte stets im Hinterkopf behalten werden. Denn eine erneute Zurückweisung des ursprünglichen Rechtsgeschäfts ist in der Regel nicht mehr unverzüglich und damit ohne Wirkung.
  • Nicht abschließend geklärt ist, ob § 174 BGB auch auf die Ablehnung eines Teilzeitantrags Anwendung findet. Zwar existiert – soweit ersichtlich – noch keine Rechtsprechung zu dieser Frage. Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch entschieden, dass die Ablehnung eines Teilzeitantrags eine empfangsbedürftige Willenserklärung und damit ein Rechtsgeschäft ist. Überdies dürfte das durch § 174 BGB geschützte Interesse des Erklärungsempfängers, Gewissheit über die (Un-)Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts zu erlangen, auch bei der Ablehnung eines Teilzeitantrags bestehen. Es spricht daher vieles für die Anwendbarkeit des § 174 BGB auf die Ablehnung eines Teilzeitantrags. Eine Zurückweisung hätte auch hier schwerwiegende Folgen: Nach § 8 Abs. 5 TzBfG gilt (bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen) die Verringerung der Arbeitszeit entsprechend den Wünschen des Arbeitnehmers als festgelegt, wenn der Arbeitgeber den Teilzeitantrag nicht innerhalb der bestimmten Frist ablehnt. Entsprechendes regelt § 15 Abs. 7 BEEG für den Teilzeitantrag in der Elternzeit. Um die Ablehnung eines Teilzeitantrags daher rechtssicher zu gestalten, ist die Vorlage einer Originalvollmacht zu empfehlen, sofern nicht die Voraussetzungen des § 174 S. 2 BGB vorliegen.
  • Demgegenüber findet § 174 BGB keine Anwendung auf die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG. Zwar handelt es sich bei der Mitteilung der Kündigungsgründe um eine geschäftsähnliche Handlung, auf die § 174 BGB grundsätzlich analog anzuwenden ist. Nach der Rechtsprechung ist die Zurückweisung eines Anhörungsschreibens aber wegen des Zwecks des Anhörungserfordernisses sowie des Zurückweisungsrechts ausgeschlossen.
  • Auch bei der Geltendmachung von Ansprüchen zur Wahrung einer tariflichen Ausschlussfrist – ebenfalls eine geschäftsähnliche Handlung – hält das Bundesarbeitsgericht § 174 BGB für nicht anwendbar. Der Zweck einer Ausschlussfrist, dem Schuldner Gewissheit über seine mögliche Inanspruchnahme zu verschaffen, sei auch gewahrt, wenn ein Bevollmächtigter bei der Geltendmachung keine Vollmachtsurkunde vorlege. Entsprechendes dürfte bei einer vertraglichen Ausschlussfrist gelten.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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