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Wachstumsinitiative der Bundesregierung: was kommt arbeitsrechtlich auf Unternehmen zu?

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Steuer- sowie sozialversicherungsfreie Überstundenzuschläge, Abweichungen von der Tageshöchstarbeitszeit und flexible Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten nach dem Renteneintritt – was heute noch utopisch klingt, könnte mit der Wachstumsinitiative der Bundesregierung morgen schon Realität sein. Wir zeigen Ihnen, welche arbeitsrechtlichen Neuerungen auf Unternehmen zukommen.

Die deutsche Wirtschaft wurde in den vergangenen Jahren durch verschiedene Krisen geschwächt. Dem möchte die Bundesregierung durch ihre sog. Wachstumsinitiative entgegenwirken. Ziel ist es, der Wirtschaft Impulse für mehr Dynamik zu geben und den Standort Deutschland zu stärken. Bei einem Blick auf die geplanten Neuerungen findet sich auch eine Vielzahl arbeitsrechtlicher Regelungsvorschläge.

Arbeitszeit

Im Zentrum stehen Neuerungen bei der Arbeitszeit. Zum einen sollen Zuschläge für Mehrarbeit steuer- und sozialversicherungsfrei werden, wenn diese die tariflich vereinbarte Wochenarbeitszeit von mindestens 34 Stunden oder im tariflich nicht geregelten Bereich von 40 Stunden übersteigt. Dadurch will die Bundesregierung Überstunden attraktiver machen und so die Flexibilität in Unternehmen erhöhen. Zum anderen soll die steuerliche Begünstigung von Prämien einen Anreiz schaffen, dass Teilzeitbeschäftigte ihre Arbeitszeit ausweiten.

Um flexiblere Arbeitsmodelle zu implementieren und um auf Phasen mit erhöhter Arbeitsbelastung dynamisch reagieren zu können, plant die Bundesregierung außerdem, Abweichungen von der bisher geltenden gesetzlichen Tageshöchstarbeitszeit zu ermöglichen. Voraussetzung ist allerdings eine entsprechende Regelung im Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung nach tarifvertraglicher Gestattung. Auch Vertrauensarbeitszeit soll weiter möglich sein. Diese ermöglicht es Mitarbeitern, ihre Arbeitszeit selbständig und flexibel einzuteilen. Ihre zukünftige Ausgestaltung ist jedoch maßgeblich abhängig von dem nur schleppend vorangehenden Gesetzgebungsverfahren zur Arbeitszeiterfassung.

Telefonische Krankschreibung

Während der Corona-Pandemie führte der Gesetzgeber die Möglichkeit einer telefonischen Krankschreibung ein. Nun wird analysiert, ob die telefonische Krankschreibung weiterhin beibehalten oder nicht vielmehr angepasst werden sollte.

Beschäftigung älterer Menschen

Die (Weiter-)Beschäftigung älterer Menschen, welche die Regalaltersgrenze bereits erreicht haben, soll für Arbeitgeber attraktiver werden. Dafür wird die Befristung der Arbeitsverträge erleichtert und so eine flexiblere Planung ermöglicht. Auch für die älteren Arbeitnehmer selbst soll es lohnender werden, ihre Arbeitskraft weiterhin zur Verfügung zu stellen. So plant die Bundesregierung, dass die Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung gestrichen und stattdessen direkt an die Arbeitnehmer ausgezahlt werden. Zudem soll es eine sog. (abgabenfreie) Rentenaufschubprämie geben: Die Arbeitnehmer erhalten eine Einmalzahlung in Höhe der entgangenen Rentenzahlung zuzüglich der eingesparten Krankenversicherungsbeiträge.

Lieferkettensorgfaltspflicht

Die Lieferkettenrichtlinie der EU soll im Hinblick auf die Sorgfalts- und Berichtspflichten noch in dieser Legislaturperiode durch Änderung des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes umgesetzt werden. Die Bundesregierung will dabei so bürokratiearm wie möglich vorgehen und prognostiziert, dass künftig deutlich weniger Unternehmen von den Lieferkettensorgfaltspflichten erfasst werden.

Weiterbildung, Arbeitsmarktdrehscheibe und Probebeschäftigung

Die Bundesregierung erkennt den großen Wert der Weiterbildung in Zeiten der wirtschaftlichen Transformation und möchte sie daher effektiv fördern. Ein weiterer Baustein ist die sog. Arbeitsmarktdrehscheibe. Dabei geht es um die verbesserte Vernetzung zwischen Arbeitgebern. So wird der Wechsel von Arbeitnehmern in ein anderes Unternehmen erleichtert und das Risiko der Arbeitslosigkeit vermindert. Gleichzeitig sollen Arbeitgeber auf diese Weise die Chance haben, schneller neue Mitarbeiter zu finden und diese vor einer festen Einstellung besser kennenzulernen. In diesem Zusammenhang möchte die Bundesregierung auch rechtssichere Probebeschäftigungen ermöglichen.

Bundestariftreuegesetz

Das Bundestariftreuegesetz soll dafür sorgen, dass öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die sich an Tarifverträge halten und faire Löhne zahlen. Die Bundesregierung zielt darauf ab, Lohndumping zu verhindern und faire Arbeitsbedingungen sicherzustellen.

Betriebliche Altersvorsorge

Die Bundesregierung plant, die betriebliche Altersversorgung zu überarbeiten. Sie möchte erreichen, dass künftig mehr Unternehmen eine betriebliche Altersversorgung anbieten. Insbesondere Beschäftigte mit geringen Einkommen sollen gefördert werden.

Datenschutzbeauftragter

Die Bundesregierung will den Schwellenwert, ab dem ein Datenschutzbeauftragter eingesetzt werden muss, heraufsetzen. Das wird vor allem kleinen und mittleren Unternehmen zugutekommen.

Kündigungsschutz für Spitzenverdiener im Finanzsektor

Der Kündigungsschutz für Spitzenverdiener im Finanzsektor soll weiter gelockert werden. So möchte die Bundesregierung den Finanzstandort Deutschland stärken. Denn andere europäische Finanzplätze kennen einen solch strengen Kündigungsschutz wie in Deutschland nicht.

Ausländische Fachkräfte

Der Arbeitsmarkt ist mehr denn je auf Fachkräfte auch aus dem Ausland angewiesen, sodass er attraktiver für qualifizierte Einwanderer werden soll. Im Zentrum stehen dabei der Bürokratieabbau, eine Flexibilisierung der Leiharbeit und Steuererleichterungen.

Ausblick

Bislang handelt es bei der Wachstumsinitiative noch nicht um ein Gesetz, sondern um eine Absichtserklärung der Bundesregierung. Bevor die vielen Einzelmaßnahmen Wirkung entfalten, müssen sie erst noch in einem Gesetzgebungsverfahren umgesetzt werden. Arbeitgeber sind dennoch gut beraten, bereits jetzt die anstehenden Neuerungen in den Blick zu nehmen. So können sie notwendige Änderungsprozesse im Unternehmen rechtzeitig anstoßen und die sich bietenden Chancen nutzen.

Dieser Beitrag entstand mit der freundlichen Unterstützung von Monika Manthey, Referendarin im Münchener Büro.

Dr. Vincent Jungbauer

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Associate
Vincent Jungbauer berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Seine Schwerpunkte liegen dabei in der Gestaltung von Restrukturierungsprojekten, in der Führung von Kündigungsrechtsstreitigkeiten und in Verfahren aus dem Betriebsverfassungsrecht.
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