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Bundestag beschließt Novellierung der Betriebsratsvergütung

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Vor fast genau einem Jahr hat die von Bundesarbeitsminister Heil eingesetzte Kommission „Rechtssicherheit in der Betriebsratsvergütung“ ihren Gesetzesvorschlag vorgelegt. Am vergangenen Freitag wurde dieser nun in nahezu unveränderter Form vom Bundestag beschlossen. Einen großen Gewinn an Rechtssicherheit bringen die neuen Regelungen allerdings nicht.

So viel Einigkeit gab es im Deutschen Bundestag lange nicht: In seiner Sitzung vom 28. Juni 2024 stimmten sämtliche im Parlament vertretenen Fraktionen und Gruppen für den Regierungsentwurf zur Novellierung der Betriebsratsvergütung. Zwei Tage vorher hatte bereits der Ausschuss für Arbeit und Soziales ebenfalls einstimmig eine Empfehlung zur Annahme des Gesetzentwurfs ausgesprochen. Die parteiübergreifende Harmonie mag auf den ersten Blick erstaunen – das Konfliktpotenzial des Gesetzentwurfs war freilich auch nicht allzu hoch. Denn mehr als eine „Klarstellung der aktuellen Rechtslage“ hatte sich der Arbeitsminister ohnehin nicht auf die Fahnen geschrieben. Dieser eher minimalistische Ansatz war offenbar auch für die (sonst) kritischen Oppositionsparteien zustimmungsfähig.

Was ist neu?

Die gesetzliche Neuregelung setzt – dem Vorschlag der Expertenkommission folgend – an zwei Stellen an: Zum einen wird § 37 Absatz 4 BetrVG ergänzt, der die Grundsätze der Entgeltsicherung von Betriebsratsmitgliedern regelt. Zum anderen wird das Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot des § 78 BetrVG konkretisiert, wobei es in erster Linie um das Begünstigungsverbot geht. Ausdrücklich nicht angetastet wird hingegen das Ehrenamtsprinzip als zentrales Element zur Sicherung der Unabhängigkeit der Betriebsratsmitglieder. Die Betriebsratsarbeit als solche bleibt also weiterhin unentgeltlich.

Mehr Spielraum bei der Vergleichsgruppenbildung?

§ 37 Absatz 4 Satz und 1 und 2 BetrVG sieht vor, dass die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern nicht geringer sein darf als diejenige vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung. Diese Regelung wird nunmehr durch folgende Sätze ergänzt:

„Zur Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer nach Satz 1 ist auf den Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamtes abzustellen, soweit nicht ein sachlicher Grund für eine spätere Neubestimmung vorliegt. Arbeitgeber und Betriebsrat können in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer regeln. Die Konkretisierung der Vergleichbarkeit in einer solchen Betriebsvereinbarung kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden; Gleiches gilt für die Festlegung der Vergleichspersonen, soweit sie einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erfolgt und in Textform dokumentiert ist.“

Der erste Satz der Novellierung entspricht der ständigen Rechtsprechung des BAG: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer ist grundsätzlich die (erstmalige) Übernahme des Betriebsratsamts des Betriebsratsmitglieds (und nicht etwa die Freistellung). Das hiermit in der Praxis häufig verbundene Problem, insbesondere bei langjährigen Betriebsratskarrieren mit später Freistellung nachträglich die zutreffende Vergleichsgruppe zu bestimmen, löst die Neuregelug nicht. Zwar soll nach dem neu eingeführten zweiten Halbsatz eine „spätere Neubestimmung“ der Vergleichsgruppe möglich sei, wenn hierfür ein „sachlicher Grund“ vorliegt. Welche Anforderungen an das Vorliegen eines „sachlichen Grundes“ zu stellen sind, bleibt indessen unklar.

Die praktischen Probleme der nachträglichen Ermittlung einer Vergleichsgruppe dürften jedenfalls nicht darunterfallen. Ob der in der Gesetzesbegründung genannte Fall, dass „ein Betriebsratsmitglied die Anforderungen einer höherdotierten Stelle erfüllt und mit dem Arbeitgeber einen entsprechenden Änderungsvertrag schließt,“ allein bereits eine Neubestimmung der Vergleichsgruppe rechtfertigt, erscheint mit Blick auf das Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG zumindest fraglich. Dies gilt erst recht in Fällen, in entsprechender Änderungsvertrag gar nicht erst abgeschlossen wird.

Über eine bloße Klarstellung hinaus geht die neu eingefügte Möglichkeit für die Betriebsparteien, das Verfahren zur Bestimmung der Vergleichspersonen und sogar die konkrete Festlegung dieser Personen einvernehmlich zu regeln mit der Folge, dass eine entsprechende Vereinbarung nur auf „grobe Fehlerhaftigkeit“ überprüft werden kann. Bislang erlaubte das BAG den Betriebsparteien lediglich Konkretisierungen im Rahmen der zwingenden gesetzlichen Vorgaben und behielt sich zudem eine vollumfängliche Überprüfung vor. Künftig soll bei entsprechenden Betriebsvereinbarungen – so die Gesetzesbegründung – eine „Orientierung an dem gesetzlichen Leitbild“ genügen.

Dieses Leitbild ist freilich recht unscharf, was in Verbindung mit der eingeschränkten arbeitsgerichtlichen Kontrolldichte zwar die Spielräume der Betriebsparteien erweitert, allerdings nicht ohne Weiteres auch das Risiko strafbarer Untreue reduziert. Denn eine Verletzung fremder Vermögensinteressen im Sinne des § 266 StGB entfällt nicht schon dadurch, dass die Geschäfts- oder Personalleitung mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung abschließt, selbst wenn diese arbeitsrechtlich nicht „grob fehlerhaft“ ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn die betriebliche Regelung ohne Zustimmung des Vermögensinhabers, also regelmäßig des Gesellschafters, getroffen wird.

Berücksichtigung „hypothetischer Betriebsratskarrieren“?

Nach § 78 Satz 2 BetrVG dürfen Mitglieder des Betriebsrats wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden, und zwar ausdrücklich auch nicht im Hinblick auf ihre berufliche Entwicklung. Diese Regelung wird um den folgenden Satz ergänzt:

„Eine Begünstigung oder Benachteiligung liegt im Hinblick auf das gezahlte Arbeitsentgelt nicht vor, wenn das Mitglied einer in Satz 1 genannten Vertretung in seiner Person die für die Gewährung des Arbeitsentgelts erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt.“

Die Neuregelung zielt vor allem auf die – ebenso praxisrelevanten wie problematischen – Fälle der sog. „hypothetischen Betriebsratskarrieren“ ab, in denen ein Betriebsratsmitglied abweichend von § 37 Absatz 4 BetrVG eine höhere Vergütung erhält als die Mitglieder seiner Vergleichsgruppe. Die Berücksichtigung solcher „hypothetischen Karrieren“ war nach der Rechtsprechung des BAG im Rahmen des § 78 Satz 2 BetrVG auch bisher schon zulässig, allerdings nur unter engen Voraussetzungen. Insbesondere musste ein kausaler Zusammenhang zwischen unterbliebener (realer) Karriereentwicklung und Betriebsratsamt bestehen, d.h. das Betriebsratsmitglied musste gerade wegen seiner Amtstätigkeit oder Freistellung an der Karriere- und Vergütungsentwicklung gehindert worden sein (und nicht z.B. deshalb, weil keine höher dotierte Stelle frei war oder andere Stellenbewerber besser geeignet waren).

Nach dem Wortlaut der gesetzlichen Neureglung soll es zur Vermeidung einer unzulässigen Begünstigung künftig genügen, dass das Betriebsratsmitglied die „betrieblichen Anforderungen und Kriterien“ für die Gewährung einer (höheren) Vergütung erfüllt und diese „nicht ermessensfehlerhaft“ ist. Dies dürfte (und soll wohl auch) den Spielraum für „begünstigungsfreie“ Vergütungserhöhungen vergrößern. Der Gewinn an Rechtssicherheit bleibt aufgrund der stark interpretationsfähigen Gesetzesformulierungen sowie des zusätzlich eingefügten neuen Kriteriums der fehlenden Ermessenfehlerhaftigkeit allerdings begrenzt.

Auswirkungen für die Praxis

Für die Praxis bleibt festzuhalten: Die gesetzliche Neuregelung ist durchaus mehr als die vom Gesetzgeber postulierte „Klarstellung der aktuellen Rechtslage“. Sie enthält einige – wenn auch eher zaghafte – Ansätze zur Lösung der drängenden praktischen Probleme bei der Bemessung der Betriebsratsvergütung. Diese positiven Ansätze werden allerdings konterkariert durch eine Vielzahl neuer Auslegungsfragen und Unklarheiten, nicht zuletzt verursacht durch die geradezu inflationäre Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe. Die durch die Neuregelung vermeintlich erzielte Klarheit ist daher trügerisch. Das Thema „Betriebsratsvergütung“ bleibt weiterhin eine Herausforderung für Unternehmen und ihre Entscheidungsträger.

Dr. Jan L. Teusch 

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Jan Teusch berät Unternehmen bei Umstrukturierungen und komplexen Fragestellungen des Betriebsverfassungs- und Tarifrechts. Besondere Expertise besitzt er ferner auf dem Gebiet der Arbeitnehmerüberlassung und anderer Formen des drittbezogenen Personaleinsatzes (z.B. auf der Grundlage von Dienst- oder Werkverträgen). Darüber hinaus verfügt er über langjährige Erfahrung in der Unterstützung von Unternehmen in mitbestimmungsrechtlichen Angelegenheiten wie der Begleitung von Aufsichtsratswahlen und der mitbestimmungsrechtlichen Optimierung von Gesellschaftsstrukturen. Einen weiteren Tätigkeitsschwerpunkt bildet die Beratung von Führungskräften, insbesondere bei der Begründung und Beendigung von Anstellungs- und Organverhältnissen. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "Unternehmensmitbestimmung".
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