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Neues zur verspäteten Zielvorgabe: Ohne Anreiz zahlt der Arbeitgeber im Zweifel voll

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Die Vereinbarung einer variablen Vergütung auf Basis von Zielvorgaben bleibt ein beliebtes Mittel zum Leistungsanreiz. Dabei können individuelle Ziele, Unternehmensziele oder eine Kombination aus beidem zur Bestimmung einer erfolgsabhängigen Vergütung herangezogen werden. Nicht nur im „angespannten“ Arbeitsverhältnis können unterbliebene und verspätete Zielvorgaben zu Streitigkeiten führen. Bei unterbliebener Zielvorgabe bietet die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits eine gute Orientierung. Bei der Diskussion um die Folgen einer verspäteten Zielvorgabe hat sich nun das LAG Köln positioniert.

Zielvorgabe oder Zielvereinbarung?

Zu unterscheiden ist zunächst, ob es sich um eine Zielvorgabe oder um eine Zielvereinbarung handelt. Bei einer Zielvorgabe bestimmt der Arbeitgeber die Ziele einseitig im Rahmen seines Direktionsrechts, sodass es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung handelt. Die Zielvorgabe unterliegt damit der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB. Bei der Zielvereinbarung hingegen betrifft die Festlegung der Ziele die Bestimmung der Hauptleistungspflichten im Arbeitsverhältnis. Daher handelt es sich bei Zielvereinbarungen grundsätzlich um Abreden, die keiner allgemeinen Billigkeits- oder Inhaltskontrolle nach den AGB-Vorschriften unterliegen. Dennoch müssen auch sie dem Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 S. 2 BGB) entsprechen.

Folgen einer verspäteten Zielvorgabe

Verweigert der Arbeitgeber den Abschluss einer Zielvereinbarung, macht er sich schadenersatzpflichtig. Die Weigerung stellt eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar, die nach §§ 280 Abs. 1 und 3, 283 BGB zum Schadenersatz statt der Leistung verpflichtet, weil die Erfüllung der Ziele dadurch unmöglich wird. Diese Unmöglichkeit beruht darauf, dass die Zielvereinbarung jedenfalls nach Ablauf der Zielperiode ihre Anreizfunktion nicht mehr erfüllen kann. Dem liegt der Grundgedanke einer variablen Vergütung zugrunde, nach dem das Ziel die Leistungssteigerung und Motivation des Arbeitnehmers ist. Zur Erreichung dieser Funktion muss der Arbeitnehmer aber wissen, die Erreichung welcher persönlichen und/oder unternehmensbezogenen Ziele der Arbeitgeber erwartet (BAG, Urt. v. 17.12.2020 – 8 AZR 149/20). Dies gilt nach obergerichtlicher Rechtsprechung auch dann, wenn der Arbeitgeber einseitig eine Zielvorgabe zu treffen hat und diese schuldhaft unterbleibt (LAG Hessen, Urt. v. 30.04.2021 – 14 Sa 606/19; LAG Köln, Urt. v. 26.01.2018 – 4 Sa 433/17, bestätigt durch LAG Köln, Urt. v. 6.2.2024 – 4 Sa 390/23).

In Fortführung dieses Gedankens macht sich der Arbeitgeber nach Auffassung des LAG Köln auch dann schadensersatzpflichtig, wenn die Zielvorgabe zwar vom Arbeitgeber getroffen wird, aber zu einem so späten Zeitpunkt erfolgt, dass es die Anreizfunktion nicht mehr erfüllt. Im vom LAG Köln zu entscheidenden Fall sollten die Ziele spätestens bis zum 1.3. festgelegt werden. Der Arbeitgeber teilte diese jedoch erst am 26.9. des Jahres mit. Als Bemessungszeitraum für den Bonus war ein Kalenderjahr vorgesehen. Jedenfalls dann, wenn bereits ¾ des Bemessungszeitraums abgelaufen ist, werde der Zweck der Leistungssteigerung und Motivation mit einer derart verspäteten Zielvorgabe aber nicht mehr erreicht. Für den Schadensersatzanspruch sei es auch nicht entscheidend, ob es sich bei den vorzugebenden Zielen (teilweise) um unternehmensbezogene Ziele handle, auf die der Berechtigte weniger Einfluss als auf die Erreichung seiner persönlichen Ziele gehabt hätte. Auch solche Ziele haben nach dem LAG Köln jedoch Anreizfunktion, da regelmäßig derartige Zielvorgaben regelmäßig an hochrangige gerichtet sind, die durchaus Einfluss auf die Unternehmensentwicklung haben (LAG Köln, Urteil vom 6.2.2024 – 4 Sa 390/23).

Prozessuale Erwägungen

Im Rahmen der Schadensberechnung findet § 287 ZPO Anwendung, nach dem das Gericht nach freier Überzeugung unter Würdigung aller Umstände entscheiden kann, wenn die Höhe des Schadens streitig ist. Dabei ist bei Zielvorgaben im Grundsatz davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer die Ziele zu 100% erreicht hätte (BAG, Urt. v. 17.12.2020 – 8 AZR 149/20). Umstände, die dies entkräften, sind vom Arbeitgeber vorzutragen und ggf. zu beweisen. Ein solcher entkräftender Umstand kann sein, dass der Arbeitnehmer auch in der Vergangenheit regelmäßig Ziele nicht erreicht hat (BAG, Urt. v. 12.05.2010 – 10 AZR 390/09).
Ein Mitverschulden kann dem Arbeitnehmer in der Regel nicht vorgeworfen werden, wenn er den Arbeitgeber nicht auffordert, ihm Ziele vorzugeben. Er muss den Arbeitgeber nicht zur Vorgabe der Ziele „mahnen“. Die Initiativlast zur Bestimmung der Ziele liegt dabei allein beim Arbeitgeber (BAG, Urt. v. 12. 12. 2007 – 10 AZR 97/07).

Für die Praxis

Es bleibt abzuwarten, ob sich auch das BAG der Auffassung anschließt, dass eine verspätete Zielvorgabe wie eine gänzlich unterbliebene Zielvorgabe zu behandeln ist. Bis dahin sollten Arbeitgeber aber die zeitlichen Vorgaben im Rahmen zielorientierter variabler Vergütungsmodelle im Blick behalten. Denn das Unterlassen oder das (deutlich) verspätete Bestimmen der Ziele stellt sich häufig als die teuerste Option dar.
Besonderes Augenmerk sollten Arbeitgeber in jedem Fall auch auf die Dokumentation der Zielvorgaben legen. Im Bereich der Zielvereinbarungen sollte zudem der Prozess ihres (Nicht-) Zustandekommens sauber nachgehalten werden, um im Streitfall etwaige Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers belegen zu können. Bei bereits eingetretener Verspätung ist jedenfalls bei Zielvereinbarungen zudem in Erwägung zu ziehen, ob eine sinnvolle Vereinbarung für den noch ausstehenden Zeitraum gefunden werden kann. Dies kann schadensbegrenzend wirken. Zudem kann bereits die durchdachte Gestaltung des Bonus mit Zielvorgabe oder Zielvereinbarung unerwünschten Ergebnissen vorbeugen (vgl. dazu unsere Blogbeiträge vom 14.1.2020: Alle Jahre wieder: Schadensersatz wegen unterbliebener Zielfestlegung und vom 24.9.2018: Bonus oder kein Bonus – sind „Topflösungen“ zulässig?).

Lukas Forte

Rechtsanwalt

Associate
Lukas Forte berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät er seine Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "Arbeitszeit und Arbeitszeiterfassung".
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