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Dürfen Roboter sonntags arbeiten?

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Am Sonntag schnell noch für den Grill- oder Fußballabend einkaufen – das ist in vielen Ländern möglich, in Deutschland noch eine Wunschvorstellung. Einige Unternehmen und Start-ups wollen es ermöglichen, auch in Deutschland sonntags für den täglichen Bedarf einzukaufen. Doch sie dürften an den Verwaltungsgerichten scheitern. Die Sonntagsruhe gelte auch für Selbstbedienungssupermärkte, entschied kürzlich der Verwaltungsgerichtshof Hessen und legt damit das Gesetz konservativ aus.

Sonntagsruhe zur „seelischen Erhebung“

Das gesetzliche Verbot der Sonntagsarbeit wurzelt auf Regelungen aus dem Arbeiterschutzgesetz von 1892. Der Sonntag soll als „Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung“ geschützt werden. Heutzutage ist die Sonntagsruhe in Deutschland durch das Arbeitszeitgesetz reguliert und Sonntagsarbeit nur in Ausnahmefällen zulässig. An Sonntagen darf im Grundsatz nur gearbeitet werden, wenn dies zum Wohle der Allgemeinheit notwendig ist. Zum Beispiel sind Mitarbeiter von Krankenhäusern und Sicherheitsdiensten auch sonntags im Einsatz. Aber wie steht es um die Sonntagsruhe, wenn die Arbeit nicht von Menschen, sondern von Maschinen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) verrichtet wird?

Entscheidung des VGH Hessen

Mit dieser Fragestellung befasste sich der Verwaltungsgerichthof (VGH) Hessen in seiner Entscheidung vom 8. Dezember 2023 (8 B 77/22). In der Entscheidung ging es um einen Selbstbedienungssupermarkt, der ohne Mitarbeiter und ohne physisches Kassensystem betrieben wird und rund um die Uhr und auch sonntags geöffnet sein sollte. Der Supermarkt funktioniert so, dass sich die Kunden online registrieren und dann am Supermarkteingang ihren personalisierten Code scannen. Im Supermarkt erfasst eine KI, welche Produkte der Kunde in seinen Einkaufskorb legt. Bezahlt wird nicht mehr an einer Kasse, sondern der Kunde scannt seinen Code am Ausgang und zahlt die erfassten Produkte automatisch mit seiner online hinterlegten Zahlungsmethode. Der Laden kommt so ohne ständig anwesende Mitarbeiter aus.

Maschinen, Roboter und künstliche Intelligenzen unterfallen dem Arbeitszeitgesetz nicht. Das Gesetz dient der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer, sodass ein Selbstbedienungssupermarkt ohne Mitarbeiter zumindest nach dem Arbeitszeitgesetz auch sonntags öffnen dürfte. Der VGH Hessen untersagte die Sonntagsöffnung aber dennoch. Grund dafür ist nicht das Arbeitszeitgesetz, sondern das Gewerberecht des Landes. Das Hessische Ladenschlussgesetz (HLöG) untersagt, dass Geschäfte an Sonntagen geöffnet sind. Das Ladenschlussgesetz schützt Sonntage als „Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung“. Geschützt werden damit nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die übrige Gesellschaft, wie z.B. die Anwohner.

Auch der Vergleich zu den rund um die Uhr – also auch sonntags – verfügbaren Onlineshops überzeugte den VGH nicht. Die Richter argumentierten, dass ein Onlinebestellvorgang keinerlei Außenwirkung habe und nicht geeignet sei, die Sonntagsruhe der übrigen Bevölkerung zu beeinträchtigen. Zudem finde die Auslieferung an den darauffolgenden Werktagen statt.

Nicht mehr zeitgemäße Auslegung des Landesgesetzes

Maßgeblich für die Entscheidung war die Einordnung eines Selbstbedienungssupermarktes als „Verkaufsstelle“, aus der Waren „feilgehalten“ werden (§ 2 I Nr. 1, 3 HLöG). Verkaufsstellen sind Ladengeschäfte aller Art, falls in ihnen von einer festen Stelle aus ständig Waren zum Verkauf an jedermann feilgehalten werden. Feilhalten ist das gewerbliche Anbieten von Waren zum Verkauf innerhalb und außerhalb von Verkaufsstellen. Das Kriterium des „Feilhaltens“ ist laut VGH auch dann erfüllt, wenn kein Verkaufspersonal vor Ort ist. Die Entscheidung des VGH erntete Kritik, weil die Einordnung des Selbstbedienungssupermarktes als die Öffentlichkeit störende Verkaufsstelle nicht mehr zeitgemäß ist.

Das Begriffsverständnis der „Verkaufsstelle“ geht auf das bereits 1956 geschaffene bundesweite LadSchlG zurück. Der Gesetzgeber hatte damals noch keine durch künstliche Intelligenz und Maschinen betriebenen Supermärkte im Blick. Das Gesetz war nämlich von dem Gedanken getragen, dass der Zweck des Sonn- und Feiertagsschutzes beeinträchtigt wird, wenn Arbeitnehmer arbeitend eingebunden sind und der allgemeine Kundenverkehr eine Geschäftstätigkeit entfaltet, die Dritte etwa in ihrer Sonntagsruhe stören könnte. Ohne Verkaufspersonal und Anlieferungen ist diese Beeinträchtigung allerdings auf ein niedriges Maß reduziert.

Vielmehr ist ein Selbstbedienungssupermarkt mit einem Warenautomaten vergleichbar, der von dem Sonntagsarbeitsverbot ausgenommen ist. Warenautomaten sind seit 2003 im bundesweiten Ladenschlussgesetz bereits von den Sonntagsregelungen ausgenommen, weil der Gesetzgeber für deren Erfassung keine Notwendigkeit sah (BT-Drs. 15/396 S. 7). Die Differenzierung des VGH, dass anders als Warenautomaten der Selbstbedienungssupermarkt begehbar ist, Kunden die Waren aussuchen und zur Kasse befördern und die Warenentnahme vor dem Bezahlvorgang stattfindet, vermag nicht zu überzeugen. Ob dadurch die Nachbarschaft in erheblichem Maße in der Sonntagsruhe gestört wird, ist zweifelhaft.

Entscheidung nicht nur für Hessen relevant

Die Entscheidung ist ein Präzedenzfall für mitarbeiterlose Geschäfte und zeigt, dass Unternehmen und Start-ups bei neuen Geschäftsmodellen nicht nur das Arbeitszeitgesetz, sondern auch die Ladenschlussgesetze der Bundesländer im Blick haben müssen. Die Ladenschlussgesetze der Länder sehen alle ein Sonntagsöffnungsverbot vor und unterscheiden sich nur marginal. Es ist daher zu erwarten, dass Verwaltungsgerichte aus anderen Bundesländern ähnlich entscheiden wie in Hessen. 2023 untersagte bereits der VG Hamburg die Öffnung eines mitarbeiterlosen „Automatenkiosks“ (7 E 3608/23) an Sonntagen.

Ausblick

Die hessische FDP-Fraktion hat nun einen Gesetzesentwurf für ein „Minimarkt-Gesetz“ vorgelegt (LT-Drs. 21/36). Es soll eine neue Regelung im HLöG eingeführt werden, die klarstellt, dass die geregelten begrenzten Öffnungszeiten nicht für vollautomatisierte Verkaufsstellen gelten, soweit für deren Betrieb keine Mitarbeiter eingesetzt werden, diese der Grundversorgung für den täglichen Bedarf dienen und eine Verkaufsfläche von 100 Quadratmeter nicht überschreiten.

Zumindest in Hessen besteht damit die Hoffnung, dass in Zukunft ein spontaner Sonntagseinkauf doch noch möglich wird.

Miriam Siemen


Rechtsanwältin
Associate
Miriam Siemen berät nationale und internationale Unternehmen in allen Angelegenheiten des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt in der Ausgestaltung und Beendigung von Arbeits- und Dienstverhältnissen. Sie begleitet Restrukturierungsprozesse und berät Mandant in Kündigungsstreitigkeiten und im Bereich des Betriebsverfassungsrechts. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe „Whistleblowing und Compliance.“
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