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Soziale Mindeststandards durch globale Rahmenvereinbarungen mit Gewerkschaften

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Die Einhaltung sozialer Mindeststandards wird zur zentralen Aufgabe einer wertorientierten Personalarbeit. So zitierte die Financial Times auf der Titelseite aus einem Interview mit dem MARS-CEO: „MARS staff won’t stay with us if we don‘t care about ESG or purpose. (…) We don‘t believe that purpose and profits are enemies. (…) quality companies are deeply invested in this and if I walk out and I take a 25 year old associate that has joined us from university they will want us to do this.”  Wie Unternehmen das Thema gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretungen angehen, zeigt dieser Beitrag.

Status Quo

„From Minimum Wage to Living Wage“ ist nur ein Thema der wertorientierten Personalführung. Insgesamt geht es darum, entsprechend den einschlägigen Richtlinien der International Labour Organization (ILO) und der OECD ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das diskriminierungsfrei zu einem „Decent Living“ führt, also einer menschengerechten Arbeit in fairem Umfeld. Das zu Jahresbeginn in Kraft getretene Lieferkettensorgfaltsgesetz (LkSG) ist insofern in vielen Punkten identisch mit Mindeststandards internationaler Abkommen, etwa den als Kernarbeitsnormen der ILO.

Die Gewerkschaften sind seit über 20 Jahren bemüht, große und mittlere Unternehmensgruppen durch den Abschluss Globaler Rahmenvereinbarungen (GRV), auch bekannt als International Framework Agreements (IFA) auf den Schutz sozialer Mindeststandards zu verpflichten.

Was sind International Framework Agreements (IFA)?

IFA sind Vereinbarungen, die zwischen international tätigen Unternehmen oder Unternehmensgruppen und globalen Gewerkschaftsverbänden geschlossen werden, oftmals ergänzend auch von nationalen Gewerkschaften und weiteren Arbeitnehmervertretungen wie beispielsweise einem Europäischen Betriebsrat.

Die Parteien bekennen sich in den IFA zu grundlegenden Arbeitnehmerrechten. Diese stimmen meist mit den fünf in den ILO-Kernarbeitsnormen geregelten Grundprinzipien überein:

  1. Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen,
  2. Beseitigung der Zwangsarbeit,
  3. Abschaffung der Kinderarbeit,
  4. Verbot der Diskriminierung und
  5. Regelungen zu Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit.

Die erste Vereinbarung dieser Art wurde Ende der 1980er Jahre zwischen Danone und der International Union of Foodworkers (IUF) geschlossen. Seither wurden insbesondere in den 1990er und 2000er Jahren weltweit ca. 340 IFA für über 200 Unternehmen vereinbart.

Typische Inhalte der IFA

IFA weichen inhaltlich erheblich voneinander ab. Einige, insbesondere die mit französischen Unternehmen geschlossenen, gehen nicht über weit gefasste Grundsatzerklärungen hinaus; andere enthalten beispielsweise konkrete Anhörungsrechte zum Stand der Umsetzung der IFA sowie Regelungen zu Sachmitteln, zur Arbeitssprache, zur Information der Arbeitnehmer, zur Besetzung von anzuhörenden Gremien und Treffen und sonstigen Verfahrensschritten.

Die meisten IFA nehmen auf Mindeststandards internationaler Abkommen Bezug, zum Beispiel auf die Kernarbeitsnormen der ILO, die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen oder die Prinzipien des United Nations Global Compact. Oftmals bekennen sich Unternehmen überdies zu Weiterqualifizierungsmaßnahmen. Die Schnittmenge zu den Schutzgütern des LkSG ist üblicherweise hoch.

Viele IFA enthalten darüber hinaus eigene Umsetzungs- und Konfliktlösungsmechanismen. Sie  entziehen sich damit der Kontrolle von Gerichten. So werden die Zutrittsrechte von Gewerkschaften zu Betrieben ebenso geregelt wie die Bildung eines Anhörungsgremiums, dessen genaue Zusammensetzung und die Häufigkeit des Austauschs mit dem Management. Auch interne Beschwerdeverfahren sind in verschiedenen IFA geregelt.

Unternehmenskultur und IFAs

IFA können die Unternehmenskultur maßgeblich prägen und damit Compliance-Risiken vorbeugen. Da die IFA keine einseitig vom Unternehmen gesetzten Verhaltensrichtlinien sind, sondern im Austausch mit Arbeitnehmervertretungen auf freiwilliger Basis entstehen, führen sie in der Regel zu einem stärkeren Bewusstsein für die vereinbarten Standards und einem echten Bekenntnis zu den Werten des IFA auf Unternehmens- und Belegschaftsseite.

Meldungen im Rahmen eines eigens eingerichteten Beschwerdeverfahrens können Umsetzungsdefizite aufdecken und es Unternehmen ermöglichen, spezifische Vorsorgemaßnahmen in risikogeneigten Bereichen zu treffen. Werden Beschäftigte im Rahmen einer „Speak-up“-Kultur explizit dazu ermutigt, Abweichungen von vereinbarten Standards zu offenbaren zu etablieren, können Konflikte adressiert und Fehlverhalten aufgeklärt werden, bevor größere Schäden eintreten.

Schließlich bietet der Abschluss eines IFA den Sozialpartnern die Möglichkeit, in einer Arbeitsbeziehung, die oft von Interessensgegensätzen geprägt ist, Gemeinsamkeiten zu betonen und zu einer konstruktiveren Zusammenarbeit zurückzufinden.

Herausforderungen bei Verhandlungen eines IFA

Die größte Herausforderung bei der Verhandlung eines IFA besteht darin, den verschiedenen Rechtsordnungen Rechnung zu tragen, in denen das IFA Wirksamkeit entfalten soll.

Möchte sich ein Unternehmen beispielsweise auf bestimmte Vergütungsprinzipien verpflichten, gilt es zunächst die Vergütungssysteme an den jeweiligen Betriebsstandorten zu ermitteln. Die Selbstverpflichtung eines Unternehmens, stets den geltenden gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen, kann nämlich leerlaufen, wenn es an einzelnen Betriebsstandorten keinen gesetzlichen Mindestlohn gibt.

Unsicherheiten birgt auch das Bekenntnis in einigen IFA zur „angemessenen“ Vergütung der Mitarbeiter, wenn Bezugspunkte und Kriterien für die Angemessenheit nicht klar benannt werden. Formulierungen, wonach die Angemessenheit der Vergütung sich „nach den Lebenskosten sowie den Leistungen der sozialen Sicherheit“ bestimmt, können kostspielige Ermittlungen der maßgeblichen Zahlen durch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften erforderlich machen. Zusagen, die Lebenshaltungskosten bei der Lohngestaltung zu berücksichtigen, erweisen sich oft als zu vage, wenn nicht zwischen individuellen Lebensumständen oder generalisierenden Maßstäben unterschieden wird.

Nehmen die IFA Bezug auf internationale Abkommen, ist zu bedenken, dass identische Begriffen in nationalem Recht und in lokalen Sprachgewohnheiten nicht immer inhaltsgleich verstanden werden. Beispielsweise kann das Verständnis von „Koalitionsfreiheit“ je nach Rechtsordnung erheblich abweichen. Unternehmen müssen sich daher nach sorgfältiger Prüfung der rechtlichen Konzepte die Karten legen, ob ein international einheitliches Verständnis von Rechten gewünscht ist. Zusätzlich sollten sie prüfen, inwieweit eine unkomplizierte Umsetzung auf lokaler Ebene realistisch ist.

Verpflichtet sich das Unternehmen zu umfassender Neutralität, wenn sich Mitarbeiter organisieren, und verbietet das „Union Busting“, können Verstöße dagegen den Gewerkschaften als Anknüpfungspunkt für aggressive Kampagnen dienen, die auf weltweite Aufmerksamkeit und mehr Einfluss abzielen. In den USA, in Frankreich und Südamerika werden bereits zahlreiche entsprechende Verfahren gegen Unternehmen geführt.

Fazit

Trotz zunehmender Regulierung im Bereich elementarer Sozialstandards bleiben freiwillige Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Gewerkschaften wichtig. Für größere, global tätige Unternehmen und Konzerne sind IFA ein sinnvolles und nützliches Instrument, um den Willen zur Umsetzung international anerkannter Standards und gesetzlicher Pflichten zu dokumentieren.

Dr. Burkard Göpfert, LL.M.

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Burkard Göpfert berät vorwiegend in komplexen Transformations-, Integrations- und Umstruk­tu­rie­rungs­pro­jekten sowie bei der Har­mo­ni­sie­rung von Arbeits­be­din­gun­gen. Er ist Autor und (Mit)-Herausgeber zahl­rei­cher Fachbücher zu den Themen Umstruk­tu­rie­rung und Arbeitsrecht sowie Lehr­be­auf­trag­ter an der Universität Passau und leitet seit über 10 Jahren die Jahrestagung „Restrukturierung“ des Han­dels­blatts. Burkard Göpfert ist u.a. Mitherausgeber der ZIP. Er ist Mitglied der Fokusgruppen "Private Equity / M&A" und "ESG". 
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