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Wenn der „Mini-Job“ plötzlich keiner mehr ist – Neue Gefahren bei Arbeit auf Abruf

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Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter ohne vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit auf Abruf beschäftigen, sehen sich seit der Änderung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes zum 1. Januar 2019 neuen, kostenintensiven Gefahren und Risiken ausgesetzt. Werden sie nicht tätig, kann aus einem Mini-Job schnell eine versicherungspflichtige Beschäftigung werden. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der neuen Gesetzeslage und der Frage, was Arbeitgeber beachten und ändern sollten.

Arbeit auf Abruf

Geringfügige Beschäftigungsverhältnisses sind in der Praxis weit verbreitet und aufgrund der lohnsteuer- und sozialversicherungsrechtlichen Vorteile bei Arbeitgebern immer noch sehr beliebt. Zwar ist die Zahl der „Mini-Jobber“ im Vergleich zum Vorjahr weiter gesunken, wie die bundesweit zuständige Minijob-Zentrale in Essen im aktuellen Quartalsbericht vom 11. Oktober 2019 registrierte. Jedoch sind trotz dieses Rückgangs immer noch gut 6,74 Millionen Beschäftigte in Mini-Jobs tätig. Da „Mini-Jobber“ häufig als Aushilfskräfte tätig werden und zeitlich flexibel arbeiten, werden geringfügige Beschäftigungsverhältnisse regelmäßig in Form der „Arbeit auf Abruf“ ausgeübt. Demnach müssen Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistung entsprechend dem schwankenden tatsächlichen Arbeitsanfall erbringen und nur „auf Abruf“ tätig werden, wobei dieser Abruf vier Tage im Voraus mitgeteilt werden muss. Der Arbeitgeber bestimmt somit einseitig die Dauer als auch die Lage der Arbeitszeit. Die Vereinbarung der Abrufarbeit hat für den Arbeitgeber den klaren Vorteil, dass er über ein Flexibilisierugsinstrument verfügt, mit dem er nicht an feste Arbeitszeiten gebunden ist und hinsichtlich der Einsatzzeiten über einen gewissen Spielraum verfügt.

Fiktion einer 20-Stunden-Woche

12 Abs. 1 S. 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz wurde zum 1. Januar 2019 derart modifiziert, dass eine wöchentliche Arbeitszeit von zwanzig Stunden als vereinbart gilt, sofern die Parteien im Arbeitsvertrag keine bestimmte Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit festgelegt haben. Die Vorschrift führt nicht dazu, dass die Parteien nicht mehr frei über die Arbeitszeiten disponieren können. Vielmehr fingiert sie nur subsidiär eine bestimmte Arbeitszeit für den Fall, dass die Parteien vertraglich keine Dauer bestimmt haben. Eine solche Regelung ist nicht neu: Wurde bis zum 31. Dezember 2018 weder eine wöchentliche noch eine tägliche Arbeitszeit vereinbart, galt eine wöchentliche Arbeitszeit von zehn Stunden als vereinbart. Diese Vermutung hatte in der Vergangenheit jedoch wenig praktische Relevanz, da die meisten geringfügig Beschäftigten mehr als zehn Stunden pro Woche arbeiteten und sich daher nicht auf die Regelung berufen mussten. Aber auch bei Anwendung der 10-Stunden-Fiktion bestand aufgrund des geltenden (geringeren) Mindestlohns nicht die Gefahr, die Geringfügigkeitsschwelle zu übersteigen. Anders die derzeitige Lage, nachdem der Gesetzgeber die fiktiv zu vergütende Wochenstundenzahl auf zwanzig Stunden angehoben hat: Unter Zugrundelegung des momentanen Mindestlohns ergibt sich basierend auf einer fiktiv zu berücksichtigenden Arbeitszeit von zwanzig Wochenstunden ein monatliches Arbeitsentgelt von mehr als 450 Euro. Die Geringfügigkeitsgrenze wird somit überschritten. Aus den bisherigen Mini-Jobbern wurden somit „über Nacht“ sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtige Arbeitnehmer.

Folgen der Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze

Der Arbeitgeber kann das Überschreiten der Geringfügigkeitsschwelle nicht verhindern, indem er bestimmte Beträge nicht auszahlt. Bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung kommt es nicht darauf an, welche Beträge dem Arbeitnehmer tatsächlich zugeflossen sind, sondern es ist maßgeblich, welche Beträge dem Arbeitnehmer zugestanden hätten. Wird daher nachträglich festgestellt, dass aufgrund der 20-Stunden-Fiktion zwischen den Parteien ein Mindestwochenlohn von (derzeit) 9,19 Euro x 20 Stunden = 183,80 Euro und damit ein Bruttomonatslohn von 735,20 Euro (183,80 Euro x 4) als vereinbart galt, steht fest, dass die Geringfügigkeitsgrenze überschritten wurde. Dies führt dazu, dass die sozialversicherungsrechtliche Privilegierung entfällt und der Arbeitgeber sich Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer ausgesetzt sieht, zuzüglich entsprechender Säumniszuschläge. Überdies besteht die Gefahr, dass die Arbeitnehmer den höheren Arbeitslohn nachträglich einfordern.

Rechtliche Problematik und Einschätzung

Inwiefern die Gerichte bei fehlender Arbeitszeitvereinbarung die Vorschrift anwenden und dem Arbeitsverhältnis eine 20-Stunden-Woche zugrunde legen, kann derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden. Die Vorschrift hatte in ihrer alten Fassung auch deswegen keine bzw. wenig praktische Relevanz, da das Bundesarbeitsgericht in einem Fall die Vorschrift gar nicht anwendete, sondern die wöchentliche Arbeitszeit durch ergänzende Vertragsauslegung ermittelte und dazu auf die tatsächliche Vertragsdurchführung in der Vergangenheit abstellte (Urteil vom 7. Dezember 2005 – Az. 5 AZR 535/04). Die bisherige durchschnittliche Arbeitszeitdauer wurde als vertraglich vereinbart angesehen. Ein Rückgriff auf die gesetzliche Fiktion wurde vom Gericht als nicht interessengerecht empfunden, da sie dem Willen der Parteien widerspreche. Im Gegensatz dazu zog das Bundesarbeitsgericht jedoch in einer weiteren Entscheidung nicht das „gelebte Arbeitsverhältnis“ zur Bestimmung der Arbeitszeiten heran, sondern stellte ausschließlich auf die gesetzliche Fiktion ab (Urt. v. 24.9.2014 – 5 AZR 1014/12).

Da somit in der Rechtsprechung keine einheitliche Linie erkennbar ist und es zudem in all diesen Urteilen um die Konstellation ging, dass ohnehin eine höhere Arbeitszeit erbracht wurde, ist noch unklar, wie Gerichte in Fällen entscheiden werden, in denen tatsächlich weniger als 20 Stunden gearbeitet wurde. Da in der Begründung des Gesetzesentwurfes als Ziel ausdrücklich die erhöhte Planungs- und Einkommenssicherheit für Arbeitnehmer angeführt wird, spricht vieles dafür, die Vorschrift nicht als Auffangtatbestand zu verstehen, sondern ihr zwingender Charakter beizumessen.

Empfehlung für Arbeitgeber

Aufgrund der noch ungewissen Entwicklung in der Rechtsprechung und den genannten Risiken sollte der sichere Weg gewählt werden: Werden Mini-Jobber ohne vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit auf Abruf beschäftigt, ist Arbeitgebern zu raten aktiv zu werden und die Arbeitsverträge umgehend an die gesetzlichen Anforderungen anzupassen, damit der „Mini-Job“ weiterhin ein „Mini-Job“ bleibt. Es ist zu empfehlen, die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit schriftlich mit dem Arbeitnehmer festzulegen und entweder die wöchentliche Mindest- oder eine Höchstarbeitszeit zu vereinbaren. Dabei muss darauf geachtet werden, dass die Geringfügigkeitsgrenze nicht überschritten wird, insbesondere im Hinblick auf die Erhöhung des Mindestlohns zum 1. Januar 2020.

Autorin: Franziska Wenzler

KLIEMT.Arbeitsrecht




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