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Urlaub

Informationspflicht zum Verfall von Urlaubsansprüchen auch bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern?

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Das deutsche Urlaubsrecht unterlag in den vergangenen Jahren durch spektakuläre Entscheidungen vom EuGH und BAG ständigen Veränderungen. Große Aufmerksamkeit erlangte in den letzten Monaten die neue höchstrichterliche Rechtsprechung, dass der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub fortan nur noch dann am Ende des Kalenderjahres verfällt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret über seinen bestehenden Urlaubsanspruch und die Verfallsfristen belehrt und auffordert, den Urlaub zu nehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken – also trotz tatsächlicher Möglichkeit – nicht nimmt. Dies folgt aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BurlG (siehe dazu unsere Blogbeiträge vom 15. Juli 2019 und 15. August 2019). Arbeitgebern ist dringend anzuraten, sich hier auf dem aktuellen Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu halten.

Neue Rechtsprechung wirft erfahrungsgemäß Folgefragen und Unsicherheiten bei der praktischen Umsetzung auf. Umso erfreulicher ist es, wenn die Instanzgerichte die Möglichkeit haben, schnell für (vorläufige) Klarheit zu sorgen. Das LAG Hamm hatte sich kürzlich mit der Frage zu beschäftigen, ob die Informationspflicht des Arbeitgebers über den Verfall von Urlaubsansprüchen auch bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern besteht. Dies hat das Gericht im Ergebnis mit überzeugender Begründung klar verneint.

Der Ausgangsfall

In dem Rechtsstreit stritten die Parteien über das Bestehen von Urlaubsansprüchen der Klägerin aus dem Jahr 2017. Seit 2017 war die Klägerin durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und konnte infolge ihrer Erkrankung 14 Urlaubstage im Jahr 2017 nicht mehr in Anspruch nehmen. Sie wollte mit Verweis auf die neue Rechtsprechung des BAG zuletzt gerichtlich feststellen lassen, dass der Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2017 nicht verfallen sei, da es die Beklagte unterlassen habe, sie rechtzeitig auf den drohenden Verfall ihres Urlaubs hinzuweisen.

LAG Hamm: Keine Belehrungspflicht bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern

Das LAG Hamm bestätigte das erstinstanzliche klageabweisende Urteil des ArbG Paderborn in seiner Entscheidung vom 24. Juli 2019 (Az. 5 Sa 676/19). Dabei stellte das Gericht klar, dass die vom BAG aufgestellten Grundsätze zur Belehrungspflicht des Arbeitgebers zum Verfall von Urlaubsansprüchen nicht auf langzeiterkrankte Arbeitnehmer anzuwenden seien.

Dem Hauptargument der Klägerin, dass der Arbeitgeber auch ihr gegenüber seinen Belehrungspflichten nachkommen müsse, da andernfalls eine Schlechterstellung von arbeitsunfähigen im Vergleich zu arbeitsfähigen Arbeitnehmern vorläge, vermochte das LAG Hamm nicht zu folgen. Vielmehr seien arbeitsfähige und arbeitsunfähige Personen im Hinblick auf die Urlaubserteilung nicht vergleichbar zu behandeln. Denn bei einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit sei es dem Arbeitgeber nicht möglich, dafür zu sorgen, dass der erkrankte Arbeitnehmer den bezahlten Jahresurlaub nimmt, da arbeitsunfähige Arbeitnehmer diesen auf Grund ihrer Arbeitsunfähigkeit gerade nicht antreten können. Eine Belehrungspflicht des Arbeitgebers ergebe aber nur dann Sinn, wenn der Arbeitnehmer in der Lage sei, auf diese Belehrung zu reagieren und den Urlaub auch tatsächlich nehmen könne.

Zudem könne ein Arbeitgeber im Falle des Bestehens von Urlaubsansprüchen eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers die verlangte Belehrung nicht zutreffend erteilen. Eine Belehrung dahingehend, dass Urlaubsansprüche mit Ablauf des 31. Dezember erlöschen, wäre im Falle eines langzeiterkrankten Arbeitnehmers schlicht falsch, da diese erst nach Ablauf von 15 Monaten nach dem Ablauf des Kalenderjahres erlöschen, aus welchem sie resultieren. Die Frage eines früheren Erlöschens lasse sich erst nach Genesung des Arbeitnehmers klären. Dazu war es im vom LAG Hamm zu entscheidenden Sachverhalt jedoch noch nicht gekommen.

Praxishinweis

Das Urteil des LAG Hamm ist konsequent und in seiner Klarheit zu begrüßen. Eine Belehrung langzeiterkrankter Arbeitnehmer dahingehend, dass ihr Urlaub zum Jahresende verfällt, ist nicht notwendig und wäre auch schlicht falsch. Denn die Belehrung als Obliegenheit des Arbeitgebers soll kein Selbstzweck sein, sondern kann nur dann einen Sinn ergeben, wenn der Arbeitnehmer in der Lage ist, auf diese zu reagieren und den Urlaub auch tatsächlich nehmen kann. Dies ist bei einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit aber gerade nicht der Fall. Bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit verfällt der Urlaub auch ohne arbeitgeberseitigen Hinweis nach 15 Monaten. Erst bei Genesung muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer darauf hinweisen, dass sein Urlaub zum Jahresende bzw. zum 31. März des Folgejahres erlischt, um den Eintritt dieser Rechtsfolge zu erreichen.

Letztendlich liegt das Urteil somit auf der Linie der aktuellen Rechtsprechung. Da von der Klägerin gegen das Urteil Revision beim BAG eingelegt wurde, bleibt abzuwarten, ob das BAG der Argumentation des LAG Hamm folgen wird. Wir werden den Ausgang des Revisionsverfahrens mit Aufmerksamkeit verfolgen.

Dr. Elke Platzhoff Dipl.-Bw. (FH)

Rechtsanwältin
Fach­an­wäl­tin für Arbeitsrecht
Senior Associate
Elke Platzhoff berät Arbeitgeber ins­be­son­dere zu Ver­trags­ge­stal­tungsthemen sowie zu Fragen des kollektiven Arbeits­rechts
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