Nach der Rechtsprechung einiger Instanzgerichte sowie Auffassungen in der Literatur gilt als Bewerber i.S.d. § 6 Abs. 1 S. 2 AGG nur, wer die Bewerbung subjektiv ernsthaft mit dem Ziel der Einstellung verfolgt. Damit sollen sog. „AGG-Hopper“ von Entschädigungsansprüchen nach § 15 Abs. 2 AGG ausgeschlossen werden. Der Achte Senat des BAG hat diese Frage bislang offen gelassen. Mit Beschluss vom 18.06.2015 – 8 AZR 848/13 (A) hat er nun dem EuGH die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob auch solche Personen Diskriminierungsschutz genießen, die lediglich den Status als Bewerber erreichen wollen, um Entschädigungsansprüche geltend machen zu können.
Und das bedeutet?
Mit der Vorlageentscheidung strebt das BAG eine überfällige Klärung der Frage an, wie weit der Diskriminierungsschutz der Gleichbehandlungsrichtlinien und damit des AGG zu verstehen ist. Die Gleichbehandlungsrichtlinien 2000/78/EG und 2006/54/EG schützen den „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit“. In Umsetzung dessen ist nach § 6 Abs. 1 S. 2 AGG der persönliche Anwendungsbereich des AGG auch für Bewerber eröffnet. Einige Instanzgerichte vertreten indes ebenso wie viele Autoren die Auffassung, dass der Tatbestand des § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zum Ausschluss missbräuchlicher Entschädigungsforderungen der Einschränkung bedürfe. Als Bewerber gelte danach nur, wer sich in der ernsthaften Absicht bewirbt, eingestellt zu werden. Hintergrund ist die unrühmliche Praxis, sich gezielt auf – dem Anschein nach – diskriminierende Ausschreibungen zu bewerben, in der alleinigen Absicht, nach Ablehnung einen Anspruch auf Entschädigung geltend machen zu können (sog. „AGG-Hopping“). Bislang musste sich das BAG nicht dazu positionieren, wie es mit solchen Scheinbewerbungen verfahren will. In dem nun zu entscheidenden Fall sieht es die Ernsthaftigkeit der Bewerbung jedoch als nicht gegeben an. Gemäß BAG lasse bereits der Wortlaut der Bewerbung (Betonung vorhandener Führungserfahrung für Trainee-Stelle) sowie das Ausschlagen einer Einladung zum Gespräch nach erster Ablehnung die fehlende Ernsthaftigkeit erkennen. Der Kläger ist ein bundesweit bekannter „AGG-Hopper“, der bereits zahlreiche Entschädigungsverfahren geführt hat. Der eindeutig gelagerte Sachverhalt eignet sich nun dazu, eine höchstrichterliche Klärung der Frage herbeizuführen.
Die Frage, wie weit der Schutz vor Diskriminierung reicht, stellte sich bereits i.R.v. § 611a BGB a.F. Hierzu entschied das BAG am 12.11.1998 – 8 AZR 365/97, die Norm stelle nicht auf den formalen, durch die Einreichung eines Bewerbungsschreibens begründeten Status als „Bewerber“ ab. Deshalb könne im Stellenbesetzungsverfahren nur benachteiligt werden, wer sich subjektiv ernsthaft beworben hat und objektiv für die zu besetzende Stelle in Betracht kommt. Diese Rechtsprechung wurde von Instanzgerichten und Literatur aufgegriffen und weiterentwickelt. Auf diese Weise haben sich Indizien entwickelt, die auf eine Scheinbewerbung hindeuten, wie das Betreiben zahlreicher Entschädigungsklagen (LAG Düsseldorf v. 13.08.2014 – 4 Sa 402/14), die Verwendung von Standardschreiben für die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen (LAG Schleswig-Holstein v. 29.01.2009 – 4 Sa 346/08) oder das Einsenden ungeeigneter Bewerbungsunterlagen (LAG Berlin v. 30.03.2006 – 10 Sa 2395/05).
Bisherige Rechtsprechung des BAG
Für das AGG hat das BAG die Frage, ob die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung eine Voraussetzung der Aktivlegitimation im Entschädigungsprozess nach § 15 Abs. 2 AGG ist, bislang offengelassen (BAG v. 18.03.2010 – 8 AZR 77/09; BAG v. 28.05.2009 – 8 AZR 536/08). Nachdem das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 03.03.2011 – 5 C 16/10 die Klage einer Bewerberin auf Entschädigung unter Verweis auf die mangelnde Ernsthaftigkeit der Bewerbung wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben abwies, vertritt auch das BAG die Auffassung, dass das Fehlen der subjektiven Ernsthaftigkeit einen Rechtsmissbrauch nach § 242 BGB begründen könne (BAG v. 25.04.2013 – 8 AZR 287/08; BAG v. 15.03.2012 – 8 AZR 37/11). Einen Fall, in dem es einen solchen angenommen hat, gibt es bislang aber nicht.
Vorlagebeschluss
Der dem Vorlageverfahren zugrunde liegende Sachverhalt liegt nun nach Ansicht des BAG anders als in bisherigen Verfahren. Der Kläger hatte sich auf eine Stellenausschreibung beworben, deren Anforderungen er offensichtlich nicht erfüllte. Nach der Ablehnung durch die Beklagte forderte der Kläger zunächst schriftlich eine Entschädigung. Die Einladung zu dem nunmehr angebotenen Bewerbungsgespräch lehnte er ab. Das BAG geht hier vom Fehlen der subjektiven Ernsthaftigkeit aus und vertritt die Auffassung, dass nur solche Personen als Bewerber anzusehen sind, die sich mit dem Ziel der Einstellung bewerben. Da das AGG umgesetztes Unionsrecht ist, hält es eine Vorlage an den EuGH für notwendig. Das Unionsrecht kennt zwar den Begriff des „Bewerbers“ nicht, schützt aber allgemein den „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit“. Das BAG fragt nun, ob auch derjenige „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit“ sucht, aus dessen Bewerbung hervorgeht, dass nicht eine Einstellung, sondern nur der Status als Bewerber erreicht werden soll, um Entschädigungsansprüche geltend machen zu können. Für den Fall, dass der EuGH auch diese Personen vom Schutzbereich der Richtlinien umfasst sieht, möchte das BAG wissen, ob eine solche Situation zumindest als Rechtsmissbrauch zu bewerten ist.
Bewertung
Mit Blick auf die bislang uneinheitliche Rechtsprechung zum Thema „Scheinbewerbungen“ ist eine höchstrichterliche Klärung lange überfällig und daher zu begrüßen. Dies gilt insbesondere, da innerhalb der Instanzgerichte Unklarheit darüber herrscht, was Inhalt der ständigen BAG-Rechtsprechung ist (LAG Schleswig-Holstein v. 02.12.2014 – 1 Sa 236/14). Im Ergebnis ist es geboten, nur solche Personen als „Bewerber“ in den Anwendungsbereich des Gesetzes einzubeziehen, die eine Bewerbung subjektiv ernsthaft betreiben. Anderenfalls würde der Schutz des AGG ad absurdum geführt.