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Abfindungen als Karenzentschädigung?

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Im Trennungsfall sind nachvertragliche Wettbewerbsverbote ein echter Kostenfaktor. Wenn Arbeitgeber zudem eine hohe Abfindung zahlen (müssen), kommt oft die Frage auf, ob die Abfindung nicht zumindest kostensparend mit der sogenannten Karenzentschädigung verrechnet werden kann. 

Kosten des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots – die Karenzentschädigung

Einen Schutz von Unternehmens-Know-how durch nachvertragliche Wettbewerbsverbote gibt es für Arbeitgeber nicht zum Nulltarif. Da die betroffenen Arbeitnehmer in ihrer Berufsfreiheit zum Teil erheblich eingeschränkt werden, schulden Arbeitgeber zum Ausgleich eine sogenannte Karenzentschädigung.

Die Mindesthöhe dieser Karenzentschädigung ist gesetzlich festgelegt: Für die Dauer des Wettbewerbsverbots muss der Arbeitnehmer mindestens die Hälfte seiner zuletzt bezogenen vertragsgemäßen Leistungen weitererhalten. Wird diese Mindestgrenze unterschritten, ist das nachvertragliche Wettbewerbsverbot unverbindlich. Das bedeutet: Der Arbeitnehmer darf entscheiden, ob er sich an das Wettbewerbsverbot im Gegenzug für die (zu niedrige) Karenzentschädigung hält, oder das Wettbewerbsverbot entschädigungslos nicht befolgt.

Keine Abfindungsanrechnung kraft Gesetzes

Während der Dauer des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots dürfen Arbeitnehmer Einkommen aus Nicht-Wettbewerbstätigkeiten erzielen. Das Gesetz erlaubt dem ehemaligen Arbeitgeber aber, dieses Einkommen in gewissen Grenzen auf die Karenzentschädigung anzurechnen, sodass sich die Höhe der geschuldeten Karenzentschädigung verringert (§ 74c Abs. 1 HGB). Die Anrechnungsmöglichkeit besteht aber nur für Einkommen, das der Arbeitnehmer „durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft“ erwirbt.

Abfindungen sind kein Einkommen in diesem Sinne und können somit nicht per Gesetz auf die Karenzentschädigung angerechnet werden. Sie werden Arbeitnehmern nämlich nicht im Gegenzug für Arbeitskraft bezahlt, sondern als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes. Das Anrechnungsverbot gilt dabei sowohl für eine vom selben Arbeitgeber gezahlte Abfindung als auch für Abfindungen, die ein Arbeitnehmer von einem Folgearbeitgeber erhält, mit dem das Arbeitsverhältnis noch während der Dauer des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots endet. Auch zusätzliche Abfindungen, die wegen einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses über eine sog. „Sprinterklausel“ gezahlt werden, können in der Regel nicht auf die Karenzentschädigung angerechnet werden.

Trostpflaster“ für Arbeitgeber: Zumindest zählt die Abfindung aber auch nicht zu den zuletzt bezogenen vertragsgemäßen Leistungen, nach deren Höhe sich die gesetzliche Mindest-Karenzentschädigung bemisst (§ 74 Abs. 2 HGB).

Risikofaktor: Vereinbarungen über die Abfindungsanrechnung

Gelegentlich wird schon im Arbeitsvertrag pauschal vereinbart, dass auf die gesetzliche Mindest-Karenzentschädigung mögliche Abfindungen angerechnet werden. Derartige Klauseln sind in aller Regel unwirksam und führen zur Unverbindlichkeit des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots (zum Begriff der Unverbindlichkeit s.o.). Der Grund: Arbeitgeber können sich nicht auf Vereinbarungen berufen, mit denen vom gesetzlichen Mindeststandard für nachvertragliche Wettbewerbsverbote abgewichen wird (§ 75d HGB). Dieses Verbot erstreckt sich ausdrücklich auch auf Verrechnungslösungen, durch die eine vordergründig der Mindesthöhe entsprechende Karenzentschädigung „durch die Hintertür“ abgesenkt wird.

Damit ist nicht gesagt, dass eine vertraglich vereinbarte Abfindungsanrechnung unmöglich ist – der Spielraum für Arbeitgeber ist aber begrenzt. Versprechen Wettbewerbsverbote etwa eine höhere als die gesetzliche Mindestkarenzentschädigung, kommt eine Anrechnung von Abfindungen auf den übergesetzlichen Teil in Betracht. Auch eine „gesplittete Abfindung“ in Aufhebungs- oder Abwicklungsverträgen ist möglich. Hierbei wird ein Teil einer mit dem Arbeitnehmer ausgehandelten Abfindungssumme einvernehmlich als Karenzentschädigung „verwendet“. Erforderlich ist dabei eine freiwillig gezahlte Abfindung, die die gesetzliche Mindest-Karenzentschädigung übersteigt. Die Anrechnungsklausel sollte dann klarstellen, dass und in welcher Höhe in der Abfindungssumme die Karenzentschädigung für das nachvertragliche Wettbewerbsverbot enthalten ist. Der Gewinn für den Arbeitgeber ist hierbei (nur) verhandlungspsychologischer Natur: Die Abfindungssumme erscheint hoch, besteht aber in Höhe der enthaltenen Mindestentschädigung aus „Sowieso-Kosten“.

Fazit: Abfindungsanrechnung schafft meist mehr Risiko als Nutzen

Einsparungen bei der gesetzlichen Mindest-Karenzentschädigung lassen sich über eine Abfindungsanrechnung nicht erzielen. Arbeitgeber sollten sich zudem auch deshalb vor entsprechenden Anrechnungsklauseln in nachvertraglichen Wettbewerbsverboten hüten, weil diese schnell zur Unverbindlichkeit des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots führen können. In Ausnahmefällen kann eine (vertraglich sorgfältig umgesetzte) Anrechnung sinnvoll sein, etwa bei übergesetzlichen Karenzentschädigungen oder besonders hohen Abfindungssummen.

Für Arbeitgeber bleibt es dabei: „Drum prüfe, wer sich nachvertraglich bindet“. Die Vereinbarung nachvertraglicher Wettbewerbsverbote will unter Abwägung von Kosten und Nutzen wohlüberlegt sein. Später lassen sich Einsparungen weitgehend nur unter Aufgabe des Wettbewerbsverbots erzielen, nämlich durch rechtzeitigen Verzicht des Arbeitgebers oder eine einvernehmliche Aufhebung bzw. Abkürzung des Verbots.

… und was gilt für die Abfindungsanrechnung bei Organmitgliedern?

Bei nachvertraglichen Wettbewerbsverboten für Organmitglieder, vor allem also für Geschäftsführer und Vorstände, sind die Vertragsparteien in der Gestaltung deutlich flexibler. Da die Verbote nicht den strengen gesetzlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen von Arbeitnehmer-Verboten unterliegen (§§ 74 ff. HGB), besteht auch mehr Raum für Anrechnungslösungen.

Praktisch relevant ist die Anrechnung von Abfindungen auf die Karenzentschädigung vor allem bei Vorständen. Hintergrund ist, dass der Deutsche Corporate Governance Kodex, der anerkannte Standards für eine verantwortungsvolle Unternehmensführung enthält, die Anrechnung ausdrücklich empfiehlt (Ziffer G.13).

Auch gegenüber Organmitgliedern ist durch sorgfältige Vertragsgestaltung jedoch unbedingt sicherzustellen, dass die Karenzentschädigung trotz Abfindungsanrechnung ausreichend hoch und das nachvertragliche Wettbewerbsverbot somit wirksam bleibt.

Alexander Josephs


Rechtsanwalt
Associate
Alexander Josephs berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in allen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben seinem besonderen Fokus auf betriebsverfassungsrechtliche Fragen unterstützt er Mandanten insbesondere bei der Vertragsgestaltung und in Kündigungsrechtsstreitigkeiten.
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