Jedes Unternehmen ist auf gesunde und motivierte Arbeitnehmer angewiesen, um erfolgreich am Markt tätig sein zu können. Insbesondere im Rahmen von Unternehmenskäufen stellt der Erwerber jedoch nach Datenraumstudium häufig fest: der Krankenstand beim Zielunternehmen liegt deutlich höher als erwartet. Das kann zunächst einmal im Kaufpreis berücksichtigt werden, löst aber für die Zukunft das operative Problem nicht. Wenn alle anderen Mittel nicht greifen, stellt sich stets (auch) die Frage: bietet das Arbeitsrecht Lösungen?
Tatsächlich gibt es einige Ansatzpunkte für – flankierende – Maßnahmen. Zuerst ein Blick auf die Fakten:
- Die durchschnittlichen krankheitsbedingten Fehlzeiten von Arbeitnehmern befinden sich in einem kontinuierlichen Aufwärtstrend. Beispielhaft waren bei der Techniker Krankenkasse versicherte Arbeitnehmer im Jahr 2015 bundesweit durchschnittlich 15,4 Tage arbeitsunfähig erkrankt (ausschließlich Tage mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung).
- Betrachtet man die Statistik der Krankenstände, ist der Montag der Wochentag, an dem Arbeitnehmer am häufigsten arbeitsunfähig erkrankt sind.
Welcher Teil dieser Krankheitstage ist nun tatsächliche Arbeitsunfähigkeit, wieviel Blaumachen, wieviel Vorsicht, auch mit einer geringfügigen Erkrankung zuhause zu bleiben – was je nach Krankheit sogar im Interesse des Arbeitgebers sein kann, um weitere Ansteckungen zu vermeiden? Eine pauschale Betrachtung verbietet sich; gleichzeitig kann aber auch nicht hinwegdiskutiert werden, dass das Missbrauchspotential hoch ist (googlen Sie nur einmal „krank feiern“).
Für den Arbeitgeber sind die Hintergründe in der Regel nicht überprüfbar und damit auch Missbrauch nicht sanktionierbar. Soll der Krankenstand auch mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen angegangen werden, muss regelmäßig ein Maßnahmenbündel geschnürt werden. Durch gezielte Anreize können Arbeitnehmer motiviert werden, nicht grundlos zu fehlen oder jedenfalls bei einer Erkrankung, die keine Arbeitsunfähigkeit begründet, zur Arbeit zu erscheinen. Gleichzeitig müssen die Anreize für einen Missbrauch der Arbeitsunfähigkeit als „Einladung zum Blaumachen“ gesenkt werden.
Vergütung als Motivator
Die „Karotte“ hilft immer: Eines der wirksamsten Mittel der Arbeitnehmermotivation ist regelmäßig die Vergütung. Diese ist grundsätzlich im Wege der Entgeltfortzahlung auch während einer Arbeitsunfähigkeit zu zahlen, jedenfalls mindestens für eine Dauer von sechs Wochen pro Erkrankung. Dem Arbeitnehmer geht im Krankheitsfalle daher zunächst kein Geld verloren. Hier ergeben sich Gestaltungsspielräume.
§ 4a EFzG erlaubt eine Kürzung von Sondervergütungen um ¼ des im Jahresdurchschnitt täglichen Arbeitsentgeltes pro Krankheitstag. Dieses Recht kann der Arbeitgeber dann ausüben, wenn er sich eine entsprechende arbeitsrechtliche Grundlage geschaffen hat. Idealerweise bietet sich eine Regelung im Arbeitsvertrag oder in einer einschlägigen Betriebsvereinbarung an.
Die Regelung erfasst jedoch nur Sondervergütungen. Darunter fallen Lohnbestandteile, die zusätzlich zum laufenden Entgelt gewährt werden und nicht unmittelbar im synallagmatischen Verhältnis zur Arbeitsleistung stehen. Typisch für solche Lohnbestandteile ist eine nicht monatliche, sondern etwa quartalsweise oder jährliche Zahlweise.
Nur einzelfallbezogen kann die Frage beantwortet werden, welche Lohnbestandteile wirksam gekürzt werden können. Weihnachtsgratifikationen, die an die Betriebstreue anknüpfen, oder speziell ausgestaltete Anwesenheitsprämien sind sicherlich geeignet.
Schwieriger gestaltet sich die Frage bei jährlichen Bonuszahlungen. Stellen sie eine echte Gegenleistung für die Arbeitsleistung dar, können sie nicht gekürzt werden.
Das „Damoklesschwert“: Urlaubskürzung
Ebenfalls von großer Bedeutung für den Arbeitnehmer ist der bezahlte Erholungsurlaub. Die meisten Arbeitgeber gewähren Urlaub in einem Umfang, der über den gesetzlich geregelten Mindesturlaub hinausgeht. Da der übergesetzliche Urlaub nicht zwingend den strengen Bedingungen des Bundesurlaubsgesetzes folgt, eröffnen sich auch hier Gestaltungsmöglichkeiten, die bereits im Arbeitsvertrag verankert werden müssen. So kann die Gewährung von zusätzlichen Urlaubstagen an eine gewisse Mindestanwesenheit des Arbeitnehmers gekoppelt werden.
Hier gilt es, die Hürden der Transparenzkontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu nehmen. Die Anforderungen an die Kürzungsmöglichkeit müssen so klar definiert werden, dass dem Arbeitnehmer klar ist, welche Anforderungen er erfüllen muss. Besonderheiten können sich ergeben, wenn dem Arbeitnehmer Urlaubsgeld gewährt wird. Hier kann unter Umständen die Regelung des § 4a EFzG tangiert sein, wonach eine Kürzung maximal in Höhe ¼ des durchschnittlichen Arbeitsgeldes pro Krankheitstag vorgenommen werden darf (noch offengelassen durch BAG, Urteil vom 15. Oktober 2013 – 9 AZR 374/12).
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ab dem ersten Krankheitstag verlangen
Ohne eine entsprechende abweichende Anordnung durch den Arbeitgeber ist der Arbeitnehmer erst am vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit verpflichtet, eine entsprechende ärztliche Bescheinigung vorzulegen, § 5 Abs. 1 S. 2 EFzG.
Der Arbeitgeber ist jedoch berechtigt, einen solchen Nachweis bereits ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit (also von Tag eins an) und am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit (Arztbesuch an Tag eins erforderlich!) zu verlangen.Eine Nichtbeachtung dieser Pflichten stellt eine (abmahnfähige) Pflichtverletzung dar. Gerade in begründeten Verdachtsfällen erweist sich dieser Schritt regelmäßig als hilfreich.
Mitarbeitergespräche und Präventionsmaßnahmen
Schließlich kann der Arbeitgeber durch Mitarbeitergespräche (so genannte Krankenrückkehrergespräche) im Rahmen der zulässigen Fragerechte versuchen zu ermitteln, wie krankheitsbedingte Fehlzeiten reduziert werden können. Zu beachten ist, dass formalisierte Krankenrückkehrergespräche ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates auslösen können.
Parallel kann der Arbeitgeber durch die Nutzung der gesetzlich vorgesehenen Verfahren (Präventionsverfahren; betriebliches Eingliederungsmanagement) versuchen, die Ursachen für entstehende Krankenstände zu identifizieren und zu beheben. Häufig kann durch niedrigschwellige Maßnahmen eine Vermeidung von auch länger andauernden Erkrankungen erreicht werden. Insoweit mag auch die Etablierung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements in Unternehmen, die derartige Prozesse bislang nicht kannten, von Nutzen sein und sich mittel- bis langfristig rentieren.
Vertiefungshinweise:
Zu weiteren Erkenntnissen, die der Arbeitgeber aus der (neuen) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gewinnen kann, lesen Sie mehr im Beitrag von Altstadt. Zur Ausgestaltung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements und den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates finden Sie mehr in den Beiträgen von Hoffmann-Remy sowie Quink-Hamdan.