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Bekanntgabe von Tarifverträgen – zu was ist der Arbeitgeber verpflichtet?

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Ungefähr 87.000 Tarifverträge zählte das Tarifregister des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum Jahreswechsel 2023/2024. Grund genug, um sich die Verpflichtungen des Arbeitgebers zur Bekanntmachung dieser Tarifverträge genauer anzusehen.

Gemäß § 8 TVG müssen Arbeitgeber die im Betrieb anwendbaren Tarifverträge bekanntgeben, um so Arbeitnehmer über die für sie relevanten Regelungen zu informieren (siehe unseren Blogbeitrag vom 12. Juni 2019). Flankiert wird diese Aushangpflicht von der Regelung in § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 15 NachwG, die einen allgemeinen Hinweis auf die für das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträge erfordert. Dieser Beitrag gibt einen Überblick, wozu Arbeitgeber in diesem Zusammenhang konkret verpflichtet sind, welche Konsequenzen bei einer Verletzung der Aushangpflicht drohen und ob einzelne Arbeitnehmer eine Aushändigung sämtlicher Tarifwerke verlangen können

Reichweite der Bekanntmachungspflicht

Die Bekanntmachungspflicht erstreckt sich auf die im Betrieb anwendbaren Tarifverträge. Anders als der allgemein gehaltene Nachweis aus dem Nachweisgesetz, verpflichtet § 8 TVG den Arbeitgeber zur Bekanntmachung des gesamten Tarifinhalts. Insofern muss der Arbeitgeber die Tarifverträge zwar nicht unmittelbar den Arbeitnehmern überreichen, aber jedenfalls im Betrieb bekannt machen, etwa durch Aushängung (z.B. am Schwarzen Brett, bei der Personalverwaltung oder beim Betriebsrat) oder Veröffentlichung im Intranet.

Können in einem Betrieb mehrere Tarifverträge zur Anwendung kommen, erfasst die Bekanntmachungspflicht auch vorhandene rechtskräftige Gerichtsbeschlüsse über die im Betrieb anwendbaren Tarifverträge. Mitarbeiter sollen hierdurch Aufschluss darüber erlangen, welche Regelungswerke für sie gelten.

Rechtsfolgen bei Verletzung der Bekanntmachungspflicht

Verletzt der Arbeitgeber die Bekanntmachungspflicht, hat dies keine Auswirkung auf die normative Wirkung des Tarifvertrags. Macht der Arbeitgeber (versehentlich) Tarifverträge bekannt, die nicht (mehr) gelten, ist er durch die Bekanntmachung nicht an diese gebunden.

§ 8 TVG enthält keine Sanktionsregelung im Fall eines Pflichtenverstoßes. Die Verletzung der Bekanntmachungspflicht stellt ebenso wenig eine Ordnungswidrigkeit dar. Lediglich für Tarifverträge mit Modifikationen des Arbeitszeitrechts gilt gemäß § 16 Abs. 1 ArbZG eine Auslegungs- bzw. Aushangpflicht, dessen Verstoß nach § 22 Abs. 1 Nr. 8 ArbZG bußgeldbewehrt ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts laufen auch tarifliche Ausschlussfristen unabhängig davon, ob sie den Parteien bekannt sind. Das gilt regelmäßig selbst dann, wenn der Tarifvertrag entgegen § 8 TVG nicht im Betrieb ausgelegt wird. Anderes kommt nur in Betracht, wenn der Beginn der Frist vom Aushang im Betrieb ausdrücklich abhängig gemacht wird.

Gerichtliche Geltendmachung der Aushangpflicht

Zur gerichtlichen Geltendmachung der Aushangpflicht aus § 8 TVG ist lediglich die tarifschließende Gewerkschaftberechtigt. Dagegen kann ein einzelner Arbeitnehmer weder die Bekanntmachung noch eine Herausgabe erfolgreich einklagen, da ihm kein Anspruch hierauf zusteht. Ein Anspruch folgt weder aus § 8 TVG oder § 77 Abs. 2 S. 4 BetrVG noch aus den arbeitsvertraglichen Nebenpflichten des Arbeitgebers oder § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 15 NachwG.

Wie das LAG Köln zutreffend festgestellt hat, normieren sowohl § 8 TVG als auch § 77 Abs. 2 S. 4 BetrVG eine bloße „Auslagepflicht“ des Arbeitgebers, die nicht in eine Herausgabepflicht erweitert werden kann. Aufgrund dieser ausdrücklichen gesetzlichen Einschränkung muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht aufgrund seiner allgemeinen Fürsorgepflicht sämtliche Tarifwerke aushändigen. Auch die in § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 15 NachwG niedergelegte Verpflichtung, den Arbeitnehmer allgemein über die anwendbaren Tarifverträge zu informieren, umfasst ausdrücklich nicht die Aushändigung des gesamten Tarifinhalts, sondern nur einen allgemein gehaltenen Hinweis.

Kein Schadensersatzanspruch bei Verletzung der Bekanntmachungspflicht

Arbeitgebern dürften bei Verletzung der Bekanntmachungspflicht aus dem Tarifvertragsgesetz keine Schadensersatzansprüche drohen, wenn Arbeitnehmer beispielsweise Ausschlussfristen versäumen. Die Auslegung eines Tarifvertrags soll den Arbeitnehmern als reine Ordnungsvorschrift ermöglichen, Kenntnis von den einschlägigen Tarifverträgen zu nehmen. Ziel der Bestimmung ist es jedoch nicht, Vermögensnachteile der Arbeitnehmer zu verhindern. Dadurch, dass das individualrechtliche Nachweisgesetz lediglich einen allgemeinen Hinweis auf die tariflichen Bestimmungen fordert, wird deutlich, dass es dem Arbeitnehmer selbst obliegt, sich Kenntnis über den konkreten Inhalt zu verschaffen. Dies kann etwa bei der Gewerkschaft oder dem Tarifregister erfolgen.

Schadensersatz möglich bei Verletzung des Nachweisgesetzes

Die Verletzung von § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 15 NachwG kann hingegen einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers auslösen. Die Informationspflichtverletzung kann etwa im Fall einer versäumten Ausschlussfrist einen vertraglichen Schadensersatzanspruch auslösen. Dann ist der Arbeitnehmer so zu stellen, als wäre sein Zahlungsanspruch nicht untergegangen, wenn ein solcher Anspruch nur wegen Versäumung der Ausschlussfrist erloschen ist und bei gesetzmäßigem Nachweis des Arbeitgebers geltend gemacht worden wäre.

Fazit

Zur Erfüllung der Bekanntmachungspflicht müssen Arbeitgeber den Gesamtinhalt der Tarifwerke zwar vollumfänglich den Arbeitnehmern zur Verfügung stellen. Bei einer Verletzung dieser Pflicht sind die Risken jedoch überschaubar und die gerichtliche Geltendmachung einer Aushändigung an einzelne Arbeitnehmer ausgeschlossen. Arbeitgeber sind vor allem gut beraten, die weniger detailreichen Nachweise aus dem Nachweisgesetz zu erbringen, um sich nicht der Gefahr vertraglicher Schadensersatzansprüche bei versäumten Ausschlussfristen der Arbeitnehmer auszusetzen. Tarifwerke sollten von Arbeitgebern zudem sorgfältig darauf überprüft werden, ob sie in Bezug auf die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes abweichende tarifliche Regelungen beinhalten. In diesem Fall empfiehlt sich die Einhaltung der gesetzlichen Aushangpflicht aus dem Arbeitszeitgesetz ganz besonders, um kein Bußgeld zu riskieren.

Mit freundlicher Unterstützung von Timm Weingartz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Düsseldorfer Büro.

Marina Christine Csizmadia

Rechtsanwältin

Associate
Marina Christine Csizmadia berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen sowie Führungskräfte in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät sie ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung. Sie ist Mitglied des Innovation Teams sowie der Fokusgruppe "Regulierte Vergütung".
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