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Wachstumschancengesetz: Erleichterung für Arbeitgeber bei der Auszahlung von Abfindungen

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Am 27. März 2024 ist das Gesetz zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (kurz: Wachstumschancengesetz) verkündet worden. Ziel des Gesetzes ist unter anderem die Vereinfachung des Steuersystems. Dies soll durch zahlreiche Einzelmaßnahmen erreicht werden. Eine der Gesetzesänderungen betrifft dabei die Besteuerung von Abfindungen: Ab 2025 wird die sogenannte Fünftel-Regelung aus dem Lohnsteuerabzugsverfahren gestrichen. Doch was bedeutet diese Änderung genau?

Die sogenannte Fünftel-Regelung: Die Abfindung ist steuerlich begünstigt

Im Zuge von Trennungsverhandlungen vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien nicht selten eine Abfindung, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für den Verlust seines Arbeitsplatzes zahlt. Solche Abfindungen sind zwar in der Regel sozialversicherungsfrei. Sie gelten aber als Einkünfte aus nicht selbständiger Tätigkeit und sind daher vollumfänglich, d.h. vom ersten Euro an, lohnsteuerpflichtig (§§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 24 Nr. 1 lit. a) EStG). Der Arbeitnehmer muss sie also versteuern.

Zur Abmilderung der Steuerprogression, die durch die Kumulierung steuerpflichtiger Einnahmen entsteht, werden Abfindungen im Sinne des § 24 EStG durch die sogenannte Fünftel-Regelung (§§ 34 Abs. 1, 2 Nr. 2, 24 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) EStG) privilegiert. Ohne diese Begünstigung durch § 34 EStG müsste der Arbeitnehmer außerordentliche Einkünfte wie eine erhaltene Abfindung zusammen mit seinen laufenden Einkünften im Jahr ihrer Auszahlung vollständig versteuern. Dadurch unterläge er im Jahr der Auszahlung regelmäßig einem erhöhten Steuersatz, da dieser typischerweise mit dem zu versteuernden Einkommen steigt. Infolge des Progressionseffekts bliebe unter Umständen – je nach Einkommen und Höhe der Abfindung – von der Abfindungssumme „unterm Strich“ wenig übrig. Um diese Folgen abzumildern, wird die voll zu versteuernde Abfindung unter Anwendung der Fünftel-Regelung fiktiv auf fünf Jahre verteilt. Infolge dieser Privilegierung ist die zu entrichtende Lohnsteuer in der Regel – vereinfacht gesagt – geringer als bei regulärer Besteuerung, weil sich nur 1/5 der Abfindungssumme progressiv auswirkt (siehe ausführlich bereits unseren Blog). Insbesondere bei Zusammentreffen unterer und mittlerer Einkommen einerseits und vergleichsweise hohen Abfindungsbeträgen – etwa bei langjähriger Betriebszugehörigkeit – andererseits können sich dadurch Steuervorteile in Höhe mehrerer tausend Euro ergeben.

Bisher: Risiken für Arbeitgeber bei Anwendung der Fünftel-Regelung im Lohnsteuerabzugsverfahren

Bisher ist die Fünftel-Regelung bereits im Lohnsteuerabzugsverfahren durch den Arbeitgeber anzuwenden, sofern ihre Voraussetzungen vorliegen und sich durch ihre Anwendung für den Arbeitnehmer eine niedrigere Lohnsteuer ergibt. Für den Arbeitgeber, der hierbei eine gewisse Prognoseentscheidung zu treffen hat, geht die mitunter komplizierte Prüfung der Anwendungsvoraussetzungen mit einem erhöhten Aufwand in der Lohnsteuerabrechnung sowie einer gewissen Fehleranfälligkeit einher. Letzteres zeigt sich beispielsweise bei Ratenzahlungen: Die Geltung der Fünftel-Regelung setzt grundsätzlich voraus, dass die gesamte Abfindung in einem Veranlagungszeitraum ausgezahlt wird (sogenannte Zusammenballung von Einkünften). Deshalb findet sie bei Ratenzahlungen zwar grundsätzlich nur Anwendung, wenn der Zufluss der Gesamtsumme in einem Kalenderjahr erfolgt, allerdings hat die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (zuletzt vom 6. Dezember 2021 – IX R 10/21) wiederum Rückausnahmen entwickelt. Ob die Anwendungsvoraussetzungen tatsächlich vorliegen, wird der Arbeitgeber in der Praxis deshalb nicht immer rechtssicher beurteilen können.

Hieraus ergeben sich für den Arbeitgeber nicht zu unterschätzende Haftungsrisiken. Nach § 38 Abs. 2 EStG ist zwar grundsätzlich der Arbeitnehmer Schuldner der Lohnsteuer. Jedoch hat der Arbeitgeber die auf die Abfindung anfallende Lohnsteuer gemäß § 39b EStG zu ermitteln, einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen. Insoweit haftet der Arbeitgeber gegenüber dem Finanzamt mit dem Arbeitnehmer nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG gesamtschuldnerisch. Wendet der Arbeitgeber die Fünftel-Regelung irrtümlich an und führt fälschlicherweise einen zu geringen Betrag ab, haftet er gegenüber dem Finanzamt also unmittelbar. Kann der Regressanspruch gegenüber dem (ehemaligen) Arbeitnehmer nicht (mehr) durchgesetzt werden, bleibt der Arbeitgeber auf den Kosten sitzen.

Ab 2025: Anwendung der Fünftel-Regelung nur noch im Veranlagungsverfahren des Arbeitnehmers

Mit dem Wachstumschancengesetz wird die Fünftel-Regelung nun zwar nicht abgeschafft, aber ab dem Jahr 2025 aus dem Lohnsteuerabzugsverfahren gestrichen und auf das Veranlagungsverfahren des Arbeitnehmers verlagert. Arbeitgeber müssen die Fünftel-Regelung bei der Auszahlung von Abfindungen zukünftig nicht mehr anwenden. Infolgedessen werden Arbeitgeber künftig regelmäßig eine höhere Lohnsteuer für den Arbeitnehmer einbehalten und dem Arbeitnehmer einen geringeren Nettobetrag der Abfindung ausbezahlen. In der Lohnsteuerbescheinigung wird die Abfindung auch weiterhin gesondert ausgewiesen. Es obliegt nunmehr dem Arbeitnehmer, mit der Abgabe der Steuererklärung die Prüfung und Anwendung der Fünftel-Regelung durch das Finanzamt zu beantragen, um die steuerliche Privilegierung im Wege der Steuererstattung zu erlangen. Dadurch entsteht für den Arbeitnehmer zunächst ein Liquiditätsnachteil, da der Lohnsteuerabzug sofort fällig wird.

Bedeutung für die Praxis

Die Streichung der Fünftel-Regelung aus dem Lohnsteuerabzugsverfahren bedeutet für Arbeitgeber zunächst eine Erleichterung bei der Lohnabrechnung durch den Entfall des bisherigen Prüfungs- und Berechnungsaufwands bei der Zahlung von Abfindungen. So müssen Arbeitgeber künftig nicht mehr prüfen, ob die Fünftel-Regelung bei bestimmten Vergütungsbestandteilen greift oder nicht. Damit einhergehend entfällt künftig auch das lohnsteuerrechtliche Haftungsrisiko des Arbeitgebers, das bisher bei fehlerhafter Anwendung der Fünftel-Regelung besteht.

Arbeitgeber sind zwar rechtlich nicht verpflichtet, Arbeitnehmer auf die Änderung der Rechtslage hinzuweisen. Sie sollten ihre (ehemaligen) Mitarbeiter bei der Auszahlung einer Abfindung dennoch darauf aufmerksam machen, dass die Steuerprivilegierung der Abfindung zur Vermeidung finanzieller Nachteile in der Steuererklärung geltend zu machen ist. Es empfiehlt sich, einen entsprechenden Hinweis bereits in etwaige Aufhebungsvertragsmuster oder andere Vereinbarungen, die Arbeitnehmer zum Erhalt einer Abfindung berechtigen (Betriebsvereinbarungen, Sozialpläne, Abwicklungsverträge), aufzunehmen. Hierbei sind wir gerne behilflich.

Niklas Matschiner

Rechtsanwalt

Associate
Niklas Matschiner berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben der Führung von Kündigungsrechtsstreitigkeiten berät er seine Mandanten im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung.
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