Ob und welche Arbeitnehmer aus Tochtergesellschaften einer Unternehmensgruppe bei der Bildung eines Aufsichtsrats nach dem Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) mitzuzählen sind, sorgt in der Praxis immer wieder für Disput (zur Zurechnung von Arbeitnehmern anderer Konzerngesellschaften hier). Diese Zurechnungsfragen führen regelmäßig zu langwierigen Gerichtsverfahren und belasten Unternehmen mit großer Rechtsunsicherheit.
Es gibt allerdings Konstellationen, in denen ein zwingend mitbestimmter Aufsichtsrat durch bestimmte Konzernstrukturen – auch bewusst – vermieden werden kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn zwar faktisch ein Konzern oder ein Gemeinschaftsbetrieb besteht, es aber an einem formalen Beherrschungs- oder Eingliederungsvertrag fehlt.
Das KG Berlin hat sich mit einem Beschluss vom 17. Juni 2025 – 14 W 2/25 jüngst dazu erneut klar positioniert – und eine Erweiterung des Zurechnungsbereichs und damit einen mitbestimmten Aufsichtsrat abgelehnt.
Worum geht es?
Sachverhalt
Antragsteller waren Betriebsräte mehrerer Konzerngesellschaften einer Neobank. Sie begehrten die Feststellung, dass bei der Obergesellschaft, einer Aktiengesellschaft (AG), ein drittelbeteiligter Aufsichtsrat gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG zu bilden sei.
Die AG beschäftigte selbst rund 290 Arbeitnehmer; in mehreren Tochtergesellschaften waren jeweils etwa 400 Personen tätig. Nur mit einer der Tochtergesellschaften, einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE), bestand ein Beherrschungsvertrag. Nach Ansicht der Betriebsräte seien jedoch auch die Arbeitnehmer der übrigen Tochtergesellschaften bei der Ermittlung des Schwellenwerts von 500 Arbeitnehmern zu berücksichtigen – entweder im Wege einer Zurechnung über den faktischen Konzern oder wegen eines gemeinschaftlichen Betriebs.
Das LG Berlin hatte den Antrag bereits zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung legten die Betriebsräte Beschwerde ein.
Entscheidung
Das KG Berlin bestätigte die Entscheidung des LG Berlin. Die AG ist nicht verpflichtet ihren Aufsichtsrat nach den Vorgaben des DrittelbG zu besetzen.
Grundsätzlich gilt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG das Recht auf Beteiligung im Aufsichtsrat erst ab einer Beschäftigtenzahl von mehr als 500 Arbeitnehmern. Die AG erreichte diesen Schwellenwert nicht. Selbst unter Einbeziehung der nach § 2 Abs. 2 DrittelbG zurechenbaren Mitarbeiter der SE aufgrund des bestehenden Beherrschungsvertrages kam sie nur auf 370 Arbeitnehmer.
Keine Zurechnung im faktischen Konzern
Eine Zurechnung der Arbeitnehmer anderer Konzernunternehmen müsse nicht erfolgen. Dies komme nach § 2 Abs. 2 DrittelbG nur dann in Betracht, wenn ein Beherrschungs- oder Eingliederungsvertrag bestehe.
Das KG Berlin stellte klar: Bereits der Wortlaut des Gesetzes ist insoweit eindeutig. Aber auch aus Systematik und Entstehungsgeschichte ergebe sich nichts anderes. Ein rein faktischer Konzern genügt dafür nicht. Schließlich habe der Gesetzgeber seit Inkrafttreten des DrittelbG trotz wiederholter Diskussionen keine Erweiterung vorgenommen.
Keine Zurechnung über den Gemeinschaftsbetrieb
Auch über den Weg eines Gemeinschaftsbetriebs i.S.d. § 1 BetrVG sei keine Arbeitnehmerzurechnung möglich. Ein Gemeinschaftsbetrieb besteht, wenn mindestens zwei Unternehmen gemeinschaftlich, das heißt regelmäßig in einer gemeinsamen Betriebsstätte, unter gemeinsamer Nutzung von Betriebsmitteln und einer einheitlichen Leitung betrieben werden. Das DrittelbG enthalte jedoch in § 2 Abs. 2 eine abschließende Regelung, die weder eine analoge Anwendung noch eine teleologische Erweiterung zulasse. Die betriebsverfassungsrechtliche Einheit eines Gemeinschaftsbetriebs führe daher nicht automatisch zu einer mitbestimmungsrechtlichen Einheit.
Regulatorische Gründe unbeachtlich
Unerheblich sei schließlich, dass die gewählte Konzernstruktur möglicherweise aufsichtsrechtlich motiviert war. Dies spiele für die arbeitsrechtliche Mitbestimmung keine Rolle.
Fazit
Das KG Berlin schließt sich damit der gefestigten Rechtsprechung an: Die Entscheidung verdeutlicht, dass die Mitbestimmungsrechte im Aufsichtsrat nach dem DrittelbG an abgrenzbare Voraussetzungen geknüpft sind. Eine Ausweitung auf rein faktische Machtverhältnisse ist nicht vorgesehen.
Das KG Berlin hat jedoch die Rechtsbeschwerde zur Klärung der Frage, ob Arbeitnehmer eines Gemeinschaftsbetriebs gegenseitig für den Schwellenwert nach § 1 DrittelbG berücksichtigt werden können, zugelassen. Hierbei bleibt abzuwarten, ob der betriebsverfassungsrechtliche Begriff des Gemeinschaftsbetriebes nach § 1 BetrVG auch in das DrittelbG ausstrahlt. Das Verfahren ist beim BGH (Az. II ZB 11/25) anhängig.
Ausblick und Praxishinweis
Der Beschluss des KG Berlin zeigt, dass es Konzernkonstellationen gibt, in denen ein mitbestimmter Aufsichtsrat umgangen werden kann. Insbesondere die Organisation unter Vermeidung von Beherrschungs- und Eingliederungsverträgen kann von Unternehmen genutzt werden, um unter dem Schwellenwert des § 1 DrittelbG zu bleiben.
Beinhaltete der Koalitionsvertrag der vergangenen Ampelregierung noch die Absicht, die Unternehmensmitbestimmung bei faktischer Beherrschung weiterzuentwickeln und der Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften entgegenzuwirken, hat die derzeitige Regierung keine derartigen Bestrebungen geäußert.
Ohne Eingliederungs- und Beherrschungsvertrag findet keine Zurechnung von Arbeitnehmern, auch nicht bei einem faktischen Machtverhältnis innerhalb eines Konzerns, statt. Für Unternehmen kann es daher lohnenswert sein, die Konzernstrukturen vor dem Hintergrund einer drohenden zwingenden Arbeitnehmermitbestimmung zu überdenken. Ob die Konzernstruktur dabei bewusst gewählt wird, um die arbeitsrechtliche Mitbestimmung zu umgehen, ist insoweit unerheblich.
Dabei sollten Unternehmen bei der Gründung einer SE jedoch die Tücken und Schwierigkeiten des Besonderen Verhandlungsgremiums (dazu hier) und mögliche Auswirkungen auf den SE-Aufsichtsrat oder den SE-Betriebsrat (ausführlich hier) beachten.










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