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Pflichttermin oder Störung? Wie Arbeitgeber Betriebsversammlungen in den Arbeitsalltag integrieren können

Betriebsversammlungen sind für den Betriebsrat ein gesetzlich verankertes Kommunikationsmittel – für Arbeitgeber hingegen oft ein organisatorischer Kraftakt. Denn sobald Versammlungen während der Arbeitszeit stattfinden, sind nicht nur Personalressourcen gebunden, sondern auch die betrieblichen Abläufe potenziell beeinträchtigt. Umso wichtiger ist die Frage: Was ist rechtlich zulässig, was ist zumutbar und wie lässt sich das Mitbestimmungsrecht mit den Anforderungen des laufenden Betriebs in Einklang bringen?

Grundsätze der Betriebsversammlung

Betriebsversammlungen sind ein Kerninstrumentarium der innerbetrieblichen Mitbestimmung. Sie dienen dem Austausch zwischen Betriebsrat und Belegschaft, der Information über betriebliche Entwicklungen und der Möglichkeit, Anliegen unmittelbar zu adressieren.

Nach § 43 Abs. 1 BetrVG hat der Betriebsrat einmal je Kalendervierteljahr eine Betriebsversammlung einzuberufen – insgesamt also vier Versammlungen pro Jahr. Darüber hinaus kann er aus besonderem Anlass weitere Versammlungen ansetzen, wie bei einem anstehenden größeren Personalabbau oder der Einführung neuer einschneidender IT-Systeme.

Teilnahmeberechtigt sind alle Arbeitnehmer des Betriebs unabhängig von Beschäftigungsart oder Betriebszugehörigkeit. Auch der Arbeitgeber sowie Vertreter der im Betrieb vertretenen Gewerkschaft dürfen an der Betriebsversammlung teilnehmen. Damit stellt die Betriebsversammlung das einzige Forum dar, in dem der Betrieb in seiner Gesamtheit abgebildet wird.

Für Arbeitgeber bieten Betriebsversammlungen die Gelegenheit, eigene Themen einzubringen und den Dialog mit der Belegschaft aktiv zu gestalten. Gleichzeitig stellt sich für Arbeitgeber jedoch die Frage, wie sich Betriebsversammlungen organisatorisch in den Arbeitsalltag einfügen und ob sie grundsätzlich während der Arbeitszeit stattfinden müssen.

Arbeitszeitrechtliche Einordnung

Nach § 44 Abs. 1 BetrVG gilt grundsätzlich: Betriebsversammlungen finden während der Arbeitszeit statt. Arbeitnehmer sind für die Dauer der Teilnahme einschließlich zusätzlicher An- und Abfahrtszeiten von ihrer Arbeitspflicht befreit. Diese Zeiten werden wie Arbeitszeit vergütet.

So soll gewährleistet werden, dass alle Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, an den Betriebsversammlungen teilzunehmen, ohne dafür Freizeit oder Entgelt opfern zu müssen. Gleichzeitig stehen Arbeitgeber vor organisatorischen Herausforderungen, insbesondere in Betrieben mit Schichtsystemen oder zeitkritischen Prozessen.

Das BetrVG versucht diesem Interessenkonflikt Rechnung zu tragen, indem Betriebsversammlungen ausnahmsweise außerhalb der Arbeitszeit stattfinden dürfen, wenn die „Eigenart des Betriebs“ so beschaffen ist, dass eine Versammlung während der Arbeitszeit „zwingend“ ausscheidet. Die Anforderungen hierfür sind hoch. Allgemeine betriebliche Belastungen oder wirtschaftliche Erwägungen genügen nicht. Erforderlich sind besondere Umstände, die in der technischen Organisation des Betriebs begründet sind. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn die Betriebsversammlung die Produktion für einen erheblichen Zeitraum stilllegen würde, etwa bei Fließbandarbeit, oder zwingend durchzuführende Arbeiten, etwa Wachdienste, IT-Rechenzentren, Logistikzentren, Krankenhäuser, eingestellt werden müssten. In diesen Fällen können die Betriebsversammlungen notwendigerweise für jeden Teil der Arbeitnehmer außerhalb ihrer Arbeitszeit stattfinden.

Selbst wenn die Betriebsversammlung nicht zwingend außerhalb der Arbeitszeit stattzufinden hat, darf der Betriebsrat sein Recht zur Durchführung von Versammlungen nicht schrankenlos ausüben. Auf Grund der Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit hat der Betriebsrat bei der Planung von Zeitpunkt, Dauer und Umfang auf die betrieblichen Belange Rücksicht zu nehmen, insbesondere dann, wenn die Teilnahme vieler Beschäftigter den Betriebsablauf erheblich beeinträchtigen würde.

LAG Düsseldorf zu Teilversammlungen als praktikabler Kompromiss

In dem Beschluss des LAG Düsseldorf vom 12. Dezember 2024 (LAG Düsseldorf vom 12. Dezember 2024 – 12 TaBV 21/24) wird dieser Grundsatz nunmehr erneut bekräftigt.

In dem Fall strebte der Betriebsrat eines Unternehmens, das Passagier- und Gepäckkontrollen am Flughafen durchführt, an, Betriebs- bzw. Teilbetriebsversammlungen während der Arbeitszeit durchzuführen. Das Unternehmen stellte sich auf den Standpunkt, dass die (Teil-)Betriebsversammlungen wegen der Eigenart des Betriebs nicht während der Arbeitszeit stattfinden können, da die komplexe Dienstplanung keine großflächigen Ausfälle zulasse und eine Durchführung während der Arbeitszeit die vertraglich zugesicherte Aufgabenerfüllung gegenüber der Bundespolizei gefährden würde.

Das LAG stellte klar, dass Betriebsversammlungen grundsätzlich während der Arbeitszeit stattzufinden haben, sodass sich ein Arbeitgeber nicht pauschal auf die „Eigenart des Betriebs“ berufen kann, um Versammlungen während der Arbeitszeit zu verweigern.

Jedoch betonte das Gericht, dass der Betriebsrat sein gesetzliches Recht zur Durchführung von Betriebsversammlungen anhand einer Abwägung im Einzelfall vorzunehmen hat, die neben dem Informationsrecht der Belegschaft auch die Funktionsfähigkeit des Betriebs zu berücksichtigen hat.

Im konkreten Fall verwies das LAG auf die Möglichkeit, mehrere Teilversammlungen durchzuführen. Das bedeutet, dass die Betriebsversammlung in mehreren zeitlich getrennten Sitzungen abgehalten wird. Die Versammlungen sollten weiterhin zeitlich begrenzt (vier Stunden) und außerhalb fluggaststarker Zeiten (Ferien, Wochenenden, Peak-Zeiten) stattfinden. Zusätzlich sollten die Versammlungen mit einer Frist von drei Monaten angekündigt werden, sodass ausreichende Planungssicherheit besteht.

Bedeutung und Handlungsempfehlungen für den Arbeitgeber

Der Beschluss des LAG Düsseldorf zeigt, dass Betriebsversammlungen kein bloß formaler Pflichttermin sind, sondern eine echte organisatorische Herausforderung darstellen können. Für Arbeitgeber gilt:

  • Frühzeitig planen statt kurzfristig reagieren: Termine und Themen sollten möglichst frühzeitig zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat abgestimmt werden. Ein strukturierter Jahresplan hilft, betriebliche Stoßzeiten zu vermeiden und Personalressourcen realistisch einzuplanen.
  • Teilversammlungen gezielt einsetzen: In Schicht- oder Servicebetrieben sind kleinere, zeitlich versetzte Versammlungen oft der Schlüssel, um Informationspflichten zu erfüllen, ohne den Betrieb lahmzulegen.
  • Klare Regeln schaffen: Eine freiwillige Betriebsvereinbarung oder Regelungsabrede kann verbindliche Eckpunkte festlegen, etwa zur maximalen Dauer, Teilnehmerzahl oder Vorlaufzeit. Das schafft Transparenz und reduziert Reibungspunkte.
  • Betriebliche Belange dokumentieren: Wenn betriebliche Gründe einer bestimmten Terminierung entgegenstehen, sollten diese nachvollziehbar festgehalten werden. Nur konkrete und belegbare Hinderungsgründe können im Streitfall Gewicht haben.
  • Rücksicht statt Konfrontation: Beide Seiten sind zur vertrauensvollen Zusammenarbeit verpflichtet. Der Betriebsrat darf seine Rechte nicht schrankenlos ausüben, und der Arbeitgeber sollte Spielräume nicht aus bloßer Zweckmäßigkeit heraus einschränken. Erfahrungsgemäß führen kooperative Lösungen häufigen zu tragfähigen Ergebnissen als das Beharren auf Rechtspositionen.

Wer den betrieblichen Rahmen frühzeitig definiert, klare Abläufe etabliert und das Gespräch mit dem Betriebsrat sucht, kann Betriebsversammlungen rechtssicher und störungsarm in den Arbeitsalltag integrieren und so Mitbestimmung und Effizienz in Einklang bringen.

Xenia Higer

Rechtsanwältin

Associate
Xenia Higer berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen sowie Führungskräfte in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät sie ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung.
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