Aus Europa wächst der Druck in puncto Entgeltgleichheit. Sogenannte „Equal-Pay-Klagen“ – also Klagen auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit von Frauen und Männern – nehmen stetig zu. Das Bundesarbeitsgericht hat die Hürden für solche Klagen in Deutschland nun deutlich abgesenkt: Der Vergleich mit einem einzelnen besser verdienenden Kollegen des anderen Geschlechts reicht nun aus, um eine Vermutung der Ungleichbehandlung zu begründen – mit weitreichenden Folgen für die Praxis.
Einleitung
„Wie viel verdient eigentlich mein Kollege?“ – eine scheinbar harmlose Frage, die für Arbeitgeber schnell zur juristischen Herausforderung werden kann und unter Umständen eine Entgeltklage nach sich zieht. Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Reichweite von § 22 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Die Norm sieht vor, dass der (vermeintlich) unterbezahlte Anspruchsteller nicht beweisen muss, dass er oder sie wegen eines geschützten Merkmals diskriminiert wurde, sondern nur Indizien darlegen und beweisen muss. Gelingt dies, kommt es zu einer Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast auf die Arbeitgeberin.
Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 01. Oktober 2024 (Az. 2 Sa 14/24) sorgte zunächst für Erleichterung auf Arbeitgeberseite (hierüber hatten wir schon in unserem Blog berichtet). Es setzte hohe Maßstäbe für die Darlegung einer geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung: Allein die Tatsache, dass es einen besserverdienenden männlichen Kollegen gab, sei noch kein taugliches Indiz. Damit schien es zunächst, als würden die Hürden für erfolgreiche Entgeltgleichheitsklagen deutlich steigen und Unternehmen vor weitreichenden finanziellen Nachforderungen geschützt sein. Das BAG hat in der Revisionsinstanz nun gerade den entgegengesetzten Weg eingeschlagen: Es stellte klar, dass § 22 AGG keine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ für eine geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung verlange.
Absage an den Gruppenvergleich
Auch in anderer Hinsicht ging das BAG deutlich weiter als noch das LAG Baden-Württemberg. Dieses hatte einer Abteilungsleiterin bei einem Automobilhersteller gerade nicht die Lohndifferenz zu dem von der Klägerin benannten männlichen Spitzenverdiener auf gleicher Führungsebene zugesprochen: Da ihr Gehalt unterhalb des Medians der weiblichen Vergleichsgruppe lag, erhielt sie lediglich die Differenz zwischen den Medianentgelten der weiblichen und männlichen Vergleichsgruppe (Gruppenvergleich). Eine Anpassung „nach ganz oben“ auf das Niveau eines Spitzenverdieners war damit ausgeschlossen.
BAG: Paarvergleich ist relevant
Das BAG entschied nun am 23.10.2025 (Az. 8 AZR 300/24): Bereits der Umstand, dass eine Arbeitnehmerin für gleiche oder gleichwertige Arbeit weniger verdient als ein konkret benannter männlicher Kollege, begründet den Anschein einer geschlechtsbedingten Benachteiligung nach § 22 AGG. Ein solcher „Paarvergleich“ genüge: Die Klägerin muss keine überwiegende Wahrscheinlichkeit einer geschlechtsbedingten Benachteiligung gegenüber einer größeren Personengruppe nachweisen.
Damit folgt das BAG der Linie des Europäischer Gerichtshof (EuGH) (z. B. Entscheidungen in den Rechtssachen C-127/92 Enderby, C-427/11 Kenny, C-624/19 Tesco Stores). Es hebt die Bedeutung des unionsrechtlich garantierten Gebots des „equal pay for equal work“ (Art. 157 AEUV) hervor sowie die unionsrechtskonforme Auslegung des § 22 AGG. Insbesondere kenne das Unionsrecht keinen Median als Bezugsgröße, so das BAG in der Verhandlung am 23.10.2025.
Aktuell ist der Auskunftsanspruch nach § 11 Abs. 3 EntgTranspG (noch) auf den statistischen Median gerichtet. Ob sich hieran unter der bis zum 07.06.2026 in nationales Recht umzusetzenden Entgelttransparenzrichtlinie (ETRL) etwas ändern wird, bleibt abzuwarten: Nach Art. 7 ETRL stützt sich der Auskunftsanspruch eines Arbeitnehmers auf den Durchschnitt der Entgelthöhen von Vergleichskollegen. Auch bei den Berichtspflichten (Art.9 ETRL) wird auf das mittlere geschlechtsspezifische Entgeltgefälle verwiesen. Die These des BAG ist also zumindest mittelfristig nicht zwingend.
Anforderungen an den Gegenbeweis
Aktuell gilt nun nach dem BAG: Wenn Beschäftigte Indizien für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung vortragen, kehrt sich die Beweislast zu Gunsten der klagenden Seite um. Im Beispiel: Ein einziger besserverdienender Mann aus der Vergleichsgruppe reicht aus. Der Arbeitgeber muss dann objektive und sachliche Gründe für die unterschiedliche Behandlung darlegen, die nicht im Geschlecht begründet sind.
Das BAG sagt zwar auch, dass zur Begründung eines Entgeltunterschiedes auch eine nachvollziehbare Leistungsbeurteilung herangezogen werden kann – ein wichtiger Aspekt. Problematisch wird aber für viele Unternehmen sein, dass sie nicht jeden Entgeltunterschied – mangels entsprechender Dokumentation und Datenlage, die sie bislang nicht vorhalten mussten – erklären können und schon deswegen ein hohes Unterliegensrisiko bei jeder equal pay-Klage haben.
Bewertung
Im Bereich der Entgeltklagen gibt es fortwährend dynamische Entwicklungen in der Rechtsprechung und der Gesetzgebung, die eine ständige Anpassung notwendig machen. Für Unternehmen führt dies zu erhöhter Rechtsunsicherheit. Für Arbeitgeber wird es in Zukunft immer schwerer werden, eine Entgeltgleichheitsklage abzuwehren. Der Anschein einer Diskriminierung wird infolge des nun ausreichenden Paarvergleichs ohne sorgfältig dokumentierte und objektiv begründbare Entgeltsystematik kaum zu widerlegen sein. Dies gilt auch im Ausblick auf die verschärften Anforderungen an Entgeltsysteme durch die Entgelttransparenzrichtlinie. Nach Art. 4 ETRL sollen Entgeltstrukturen so ausgestaltet sein, dass sich anhand objektiver, geschlechtsneutraler Kriterien beurteilen lässt, ob sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Hinblick auf den Wert der Arbeit in vergleichbaren Situationen befinden. Um die Vermutung einer Entgeltdiskriminierung widerlegen zu können, sollten Arbeitgeber jetzt Vorkehrungen treffen – z. B. durch eine nachvollziehbare Leistungsbewertung oder strukturierte Vergütungsregelungen. Eine lückenlose Dokumentation ist hier von Vorteil.
Zudem drohen erhebliche Risiken, dass Arbeitnehmer sich einen/eine Besserverdiener/in „herauspicken“, um eine möglichst hohe Entgeltdifferenz geltend zu machen. Das heißt: Schon ein einziger Fall eines „Gender Pay Gaps“ kann ohne sorgfältige Dokumentation und sachlich begründetes Vergütungssystem sehr schnell rechtliche Folgen haben. Ob infolgedessen sogar eine „Entgeltschaukel“ droht – Person A (weiblich) klagt erfolgreich auf Ausgleich der Gehaltsdifferenz zum männlichen Spitzenverdiener-Kollegen B; daraufhin klagen alle vergleichbaren männlichen Kollegen ebenfalls auf Ausgleich der (neuen) Gehaltsdifferenz zu A – bleibt abzuwarten.
In jedem Fall müssen Unternehmen zukünftig nicht nur eine, sondern gleich zwei Vergleichsgruppen im Blick halten: Den Medianvergleich für Auskunftsansprüche sowie den Paarvergleich für individuelle Gleichbehandlungsansprüche.
Das Urteil zeigt einmal mehr: „Equal Pay Readiness“ sollte Teil jeder arbeitsrechtlichen ESG-Strategie sein. Best Practices und Handlungsansätze hierzu zeigt auch unser in Kürze im dfv erscheinendes Sammelwerk „Arbeitsrechtliche ESG-Strategien“.
Dieser Beitrag ist mit freundlicher Unterstützung von Franziska Krauthausen, wissenschaftlicher Mitarbeiterin im Berliner Büro, entstanden.










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