In Zeiten sinkender Tarifbindung, eines Mitgliederrückgangs der Gewerkschaften und struktureller Probleme von Gewerkschaften sehen sich Arbeitgeber in Tarifverhandlungen zunehmend Forderungen nach Mitgliedervorteilen für Gewerkschaftsmitglieder ausgesetzt. Mitunter stellen Gewerkschaften gar den Tarifabschluss unter derartige Bedingungen. Konkret sollen tarifvertragliche Leistungen (z.B. Einmalzahlung oder Urlaubsgeld) ausschließlich Mitgliedern der tarifschließenden Gewerkschaft gewährt werden.
In diesem Blog-Beitrag erläutern wir, in welchem Rahmen gewerkschaftliche Mitgliedervorteile in Tarifverträgen derzeit überhaupt rechtlich zulässig bzw. für den Arbeitgeber akzeptabel sind. Für Arbeitgeber stellt sich sodann die Frage, inwiefern ein Mitgliedervorteil doch auch nicht oder anders organisierten Arbeitnehmern (sog. „Außenseitern“) ggf. freiwillig gewährt werden kann, und wie dies umzusetzen wäre.
Grenzen tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln
Differenziert eine Klausel in einem Tarifvertrag hinsichtlich einer Leistung zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern werden diese Differenzierungsklauseln genannt, die den folgenden Grenzen der Rechtsprechung unterliegen:
Bei einer sog. einfachen Differenzierungsklausel ist die Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft Tatbestandsvoraussetzung einer tariflichen Leistung mit der Folge, dass Außenseitern grundsätzlich die Leistung nicht zusteht. Damit zeichnet ein derartiger Vorteil für Gewerkschaftsmitglieder erstmal nur die normative Tarifbindung von Gewerkschaftsmitgliedern nach, die sich ohnehin aus in §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG ergibt. Eine einfache Differenzierungsklausel erlangt daher erst dort, wo tarifliche Arbeitsbedingungen nur aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklausel gelten, eine eigenständige Bedeutung. Denn eine arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den jeweiligen Tarifvertrag bewirkt lediglich dessen Anwendbarkeit im Arbeitsverhältnis, erfasst jedoch einen tarifvertraglichen Mitgliedervorteil nicht, da sie, selbst wenn es sich um eine Gleichstellungsabrede handelt, für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses nicht den „Status“ der Mitgliedschaft begründet oder fingiert.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung werden einfache Differenzierungsklauseln grundsätzlich als wirksam erachtet (vgl. BAG, Urteil vom 23. März 2011 – 4 AZR 366/09). Angesichts der den Tarifvertragsparteien zugewiesenen Gestaltungsfreiheit kann jedoch eine Unwirksamkeit angenommen werden, wenn die Regelung unverhältnismäßig ist, weil sie einem Zwang ähnlichen Druck ausübt, das Recht darauf, einer Koalition fernzubleiben, aufzugeben, oder ein sonstiges überwiegendes Recht eines Dritten beeinträchtigt.
Dementsprechend darf die Höhe der Leistung nicht unverhältnismäßig hoch sein, wobei Einzelheiten von der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt sind. Eine Orientierung an der Höhe des durchschnittlichen Gewerkschaftsbeitrags und eine Begrenzung auf höchstens das Doppelte des von den Arbeitnehmern jeweils zu zahlenden Jahresmitgliedsbeitrags an die Gewerkschaft ist empfehlenswert. Zudem muss sich der Mitgliedervorteil auf eine Sonder- oder Einmalzahlung (wie z.B. Urlaubs- oder Weihnachtsgeld) beziehen, welche nicht regelmäßig mit dem Arbeitsentgelt ausgezahlt, sondern aus bestimmten Anlässen oder zu bestimmten Terminen gewährt wird.
Nicht akzeptieren sollten Arbeitgeber tarifliche Klauseln, die nach derzeitiger Rechtslage auch unzulässig sein dürften, welche
- dem Arbeitgeber verbieten, eine bestimmte tarifliche Leistung auch an Nichtorganisierte zu erbringen (sog. Tarifausschlussklausel) oder
- vorsehen, dass der Arbeitgeber zwar beliebige Leistungen auch an Außenseiter gewähren darf, dass die Organisierten jedoch automatisch um einen bestimmten Betrag darüber liegen müssen (sog. Binnendifferenzierungs-/Stichtagsklauseln).
Erstreckung auf Außenseiter
Da ein tarifvertraglicher Mitgliedervorteil per se – und auch im Falle von arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln – nicht für Außenseiter gilt, haben Arbeitgeber die Möglichkeit, diesen auf freiwilliger Basis auch gleichzeitig an Außenseiter zu gewähren.
Die konkrete Ausgestaltung hängt letztlich davon ab, wie dies kommuniziert werden soll und ob sich der Arbeitgeber an eine etwaige Zusage binden lassen möchte. Zudem sind etwaige Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10, 4 BetrVG zu prüfen. Jenseits von einer Betriebsvereinbarung könnte dies durch eine Klausel im Arbeitsvertrag bzw. in einer Ergänzungsvereinbarung mit entsprechender Bindungswirkung für die Laufzeit des betreffenden Tarifvertrags geregelt werden. Soweit die Gewährung eines gewerkschaftlichen Mitgliedervorteils an Außenseiter auch freiwillig in dem Sinne gewährt werden sollte, dass gar keine Bindungswirkung für die Zukunft entsteht, kann dieser an einen Freiwilligkeitsvorbehalt geknüpft sein.
Fragerecht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit
Ob der Arbeitgeber – jedenfalls nach der Einstellung während des laufenden Arbeitsverhältnisses – aufgrund eines Mitgliedervorteil ein berechtigtes Interesse an der Antwort auf die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, hängt vom Einzelfall ab. Daher empfiehlt es sich vorsorglich, ein Fragerecht in der tariflichen Klausel detailliert zu regeln.
Ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Auskunft über die Gewerkschaftszugehörigkeit dürfte zwar grundsätzlich zu bejahen sein, wenn der Arbeitgeber Organisierten und Nichtorganisierten unterschiedliche Arbeitsbedingungen gewährt, und um den jeweils anwendbaren Tarifvertrag zu ermitteln. Das berechtigte Interesse ist aber zweifelhaft sein, wenn der Arbeitgeber ohnehin eine Bezugnahmeklausel auf einen jeweils anwendbaren Tarifvertrag in den Arbeitsverträgen zu beachten hat. Zudem kann das berechtigte Interesse während bzw. aufgrund der laufenden Tarifverhandlungen eingeschränkt sein.
Fazit und Ausblick
Zunächst einmal sollten Arbeitgeber, sofern die Forderungen der Gewerkschaft nach Vorteilen für Ihre Mitglieder unausweichlich sind, auf die sorgfältige Ausgestaltung der tarifvertraglichen Regelung achten. Wenn der Arbeitgeber zugleich anstrebt, seine Arbeitnehmer unabhängig von der Gewerkschaftszugehörigkeit gleich zu behandeln, obliegt ihm das Umsetzungsrisiko, weshalb auch insoweit auf eine besonders sorgfältige rechtliche Ausgestaltung zu achten ist.
Vor dem Hintergrund der bis zum November 2024 umzusetzenden Mindestlohnrichtlinie der Europäischen Union, nach welcher bei einer tariflichen Abdeckung von weniger als 80 Prozent Maßnahmen zu ergreifen sind, ist nicht auszuschließen, dass der deutsche Gesetzgeber vor diesem Hintergrund auch die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln ausdrücklich regelt bzw. ausweitet.










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