Die Abgrenzung zwischen vergütungspflichtiger Arbeitszeit und unbezahltem Arbeitsweg sorgt in der Praxis immer wieder für Unsicherheit. Besonders bei Reisetätigkeiten, erforderlichen Wegen zur eigenen Ausrüstung oder zum Umkleiden mit bereitgestellter Dienstkleidung stellt sich die Frage: Wann beginnt die vergütungspflichtige Arbeitszeit? Ein Überblick über typische Wegezeiten und ob sie zu vergüten sind.
Arbeitsweg muss nicht vergütet werden
Die Wegezeit zwischen Wohnung und Arbeitsstelle gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich nicht als vergütungspflichtige Arbeitszeit. Das Zurücklegen dieses Weges erfolgt eigennützig und zählt zur privaten Lebensführung des Arbeitnehmers, weil dieser seine Arbeitsleistung am Ort der geschuldeten Tätigkeit anbieten muss. Es handelt sich nicht um eine Tätigkeit, die im alleinigen Interesse des Arbeitgebers erbracht wird. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer sich bereits zuhause umkleidet und den Weg zur Arbeit bereits in Dienstkleidung zurücklegt (BAG vom 31. März 2021 – 5 AZR 148/20). Dabei reicht der (nicht vergütungspflichtige) Arbeitsweg bis zur konkreten Einsatzstelle endet nicht bereits mit dem Betreten des Betriebsgeländes. Das soll auch dann gelten, wenn das Betriebsgelände eine besonders große räumliche Ausdehnung hat und bis zur Einsatzstelle womöglich erhebliche innerbetriebliche Wege zurückgelegt werden müssen (hierzu Wo beginnt die Arbeitszeit? – Aktuelles zu innerbetrieblichen Wegzeiten – Kliemt.blog).
Ausnahme: Reisen gehört zum wirtschaftlichen Gesamtziel
Ausnahmsweise kann bereits der Weg von der Wohnung des Arbeitnehmers zu einem konkreten Einsatzort eine vergütungspflichtige Tätigkeit sein. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen hat und das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit darauf ausgerichtet ist, verschiedene Einsatzorte oder Kunden aufzusuchen. Dann gehört das Fahren vom Wohnort zur auswärtigen Arbeitsstelle und zurück bereits zu den vertraglichen Pflichten und ist zu vergüten (BAG vom 22. April 2009 – 5 AZR 292/08). Typische Beispiele sind Außendienstmitarbeiter oder Monteure. Bei diesen Berufsgruppen ist die Fahrt zum jeweiligen Kunden in der Regel bereits integraler Bestandteil der geschuldeten Tätigkeit. Nicht nur die Fahrten zwischen den Kunden, auch die zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück bilden mit der übrigen Tätigkeit eine wirtschaftliche Einheit und sind insgesamt die Dienstleistung i. S. d. §§ 611, 612 BGB (BAG vom 25. April 2018 – 5 AZR 424/17).
Umwegezeiten zum Rüsten auf dem Weg zum Einsatzort
Allerdings kann es auch auf dem grundsätzlich nicht vergütungspflichtigen Arbeitsweg zu notwendigen Vorbereitungsmaßnahmen für die Arbeit kommen, die dann auch zu vergüten sind. Das Bundesarbeitsgericht hatte über einen Fall zu entscheiden (BAG vom 31. März 2021 – 5 AZR 148/20), in dem ein angestellter Wachpolizist auf Weisung des Arbeitgebers seinen Dienst am zu bewachenden Objekt mit streifenfertiger Dienstwaffe antreten musste. Die Dienstwaffe wurde außerhalb des Dienstes in einem – über einen Umweg erreichbaren – Schließfach in einer Dienststelle aufbewahrt.
Das BAG meint, dass der Arbeitsweg auch dann nicht vergütungspflichtig wird, wenn der Arbeitnehmer ihn unterbricht, um sich für die Arbeit zu rüsten. Nicht jede fremdnützige Handlung auf dem Weg zur Arbeit führe dazu, dass die gesamte Fahrtzeit als vergütungspflichtige Arbeitszeit zu werten ist.
Aber: Das Aufsuchen des Schließfachs sowie das Entnehmen und Laden der Dienstwaffe stünden im unmittelbaren Zusammenhang mit der geschuldeten Arbeitsleistung des Wachpolizisten und seien als fremdnützige Tätigkeiten zu vergüten. Teil der vergütungspflichtigen Arbeitszeit sei überdies die Wegezeit, die der Arbeitnehmer für den Umweg zum Rüsten aufwendet, also die Zeit, um die sich der direkte Weg zum Einsatzort wegen des Rüstvorgangs verlängert. Allerdings werde der nicht vergütungspflichtige Arbeitsweg durch diesen Umweg nur unterbrochen und nach dem Rüstvorgang wieder fortgesetzt. Die vergütungspflichtige Arbeitszeit beginne dann erst wieder, wenn der Wachpolizist seinen Dienst ausgerüstet am Einsatzort erreicht habe.
Wegezeiten zwischen Umkleideraum und Arbeitsplatz
Anders beurteilt das BAG Wegezeiten, die innerbetrieblich zwischen Umkleideraum und konkreter Arbeitsstelle anfallen, wenn sich das Umkleiden schon als Teil der fremdnützigen Arbeitsleistung darstellt. Das ist der Fall, wenn der Arbeitgeber das Tragen bestimmter Arbeitskleidung vorschreibt und ein Umkleiden im Betrieb notwendig ist. Der für das Umkleiden erforderliche Zeitaufwand ist dann ausschließlich fremdnützig und vergütungspflichtig. Dazu zählen auch die erforderliche Zeit für die innerbetriebliche Wege von der Umkleidestelle zum konkreten Arbeitsplatz und zurück. Diese sind ebenfalls Teil der vergütungspflichtigen Arbeitszeit (BAG vom 6. September 2017 – 5 AZR 382/16).
Für die Praxis
Um Unsicherheiten zu vermeiden, sollte individual- oder kollektivrechtlich möglichst eindeutig geregelt werden, welche Reise- und Wegezeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeit gelten sollen und welche nicht. Insbesondere bei häufigen Tätigkeiten außerhalb des Betriebs empfiehlt sich eine klare Abgrenzung, um Auseinandersetzungen über diese Fragen vorzubeugen und für beide Seiten Klarheit zu schaffen. Nach dem BAG besteht dabei arbeitsvertraglich zwar insoweit rechtlicher Gestaltungsspielraum, als dass die Vergütungspflicht für Wege- und Reisezeiten „in den Grenzen des MiLoG“ grundsätzlich frei geregelt werden könne (vgl. BAG vom 17. Oktober 2018 – 5 AZR 553/17). Bei üblicher formularvertraglicher Gestaltung ist aber vor allem das Transparenzgebot zu beachten und Klauseln so zu formulieren, dass sowohl das Regelungsziel als auch die dafür verwendeten Begrifflichkeiten eindeutig und unmissverständlich formuliert sind.










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