Ein geschäftsführender Betriebsrat nach § 22 BetrVG darf nur die laufenden Geschäfte führen. Verzögert er pflichtwidrig Neuwahlen, um weiterhin Einfluss zu nehmen, handelt er rechtsmissbräuchlich. Dies kann dazu führen, dass weder Einigungsstellen eingesetzt noch Mitbestimmungsrechte vom geschäftsführenden Betriebsrat geltend gemacht werden können.
Übergangslösung mit Grenzen: Der geschäftsführende Betriebsrat
Ein Betriebsrat wird „geschäftsführend“, wenn eine Neuwahlverpflichtung besteht, aber noch kein neuer Betriebsrat gewählt ist. Diese Situation tritt in den Fällen des § 13 Abs. 2 Nr. 1–3 BetrVG ein, etwa wenn
- die vorgeschriebene Zahl der Betriebsratsmitglieder unterschritten wird,
- der Betriebsrat zurücktritt oder
- sich die Belegschaft zahlenmäßig erheblich verändert.
Nach § 22 BetrVG darf der geschäftsführende Betriebsrat in dieser Übergangsphase nur die laufenden Geschäfte weiterführen, bis der neue Betriebsrat gewählt und das Wahlergebnis bekannt gegeben ist. In dieser Übergangsphase ist die Geschäftsführungsbefugnis grundsätzlich umfassend und erstreckt sich auf die Wahrnehmung sämtlicher Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte.
LAG Niedersachsen: Keine Einigungsstelle bei verzögerten Neuwahlen
In einem aktuellen Fall vor dem LAG Niedersachsen (Beschluss vom 24. März 2025 – 8 TaBV 85/24) war der Betriebsrat nach zahlreichen Amtsniederlegungen auf zwei Mitglieder geschrumpft. Damit lag ein Fall des § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG vor, der die unverzügliche Einleitung von Neuwahlen erfordert.
Statt sofort zu handeln, informierte der faktisch allein agierende Vorsitzende die Belegschaft erst vier Wochen später über die Möglichkeit, sich für den Wahlvorstand zu melden – und setzte zusätzlich eine Frist von mehr als zwei Wochen für Rückmeldungen. Parallel beantragte er die Einsetzung mehrerer Einigungsstellen, u. a. zur Einführung eines Dokumentenmanagementsystems.
Das LAG Niedersachsen wies den Antrag zurück: Wer Neuwahlen bewusst verzögert, um Einfluss zu behalten, handelt rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB i. V. m. § 2 Abs. 1 BetrVG). Ein geschäftsführender Betriebsrat nach § 22 BetrVG darf nur laufende Geschäfte führen – nicht aber seine Mitbestimmungsrechte ausdehnen, während er Neuwahlen blockiert. Die Folge: Keine Einsetzung einer Einigungsstelle und keine Durchsetzung von Mitbestimmungsrechten in dieser Phase.
In der Entscheidung weist das LAG Niedersachsen ausdrücklich darauf hin, dass die Möglichkeit, einen Antrag nach § 23 Abs. 1 BetrVG auf Auflösung des Betriebsrats zu stellen, in solchen Fällen nicht ausreicht. Der Grund: Ein geschäftsführender Betriebsrat könnte trotz laufendem Auflösungsverfahren weiterhin Mitbestimmungsrechte geltend machen und so die Neuwahlen weiter hinauszögern.
Handlungsempfehlung für Arbeitgeber
Die Entscheidung des LAG Niedersachsen ist ein deutliches Signal: Die Pflicht zur unverzüglichen Einleitung von Neuwahlen ist nicht verhandelbar. Betriebsräte, die diese Pflicht ignorieren oder verzögern, riskieren nicht nur den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs, sondern auch den Verlust zentraler Mitbestimmungsrechte.
Daher kann Arbeitgebern nur folgende Vorgehensweise empfohlen werden:
- Neuwahlpflicht regelmäßig prüfen – Vor allem bei größeren zahlenmäßigen Veränderungen in der Belegschaft (§ 13 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG) oder wenn die vorgeschriebene Betriebsratsgröße unterschritten wird (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG). Letzteres passiert in der Praxis häufig unbemerkt, etwa durch schrittweise Amtsniederlegungen oder längere Ausfälle.
- Dokumentation von Hinweisen – Hinweise an den Betriebsrat zur Wahlpflicht sollten sorgfältig dokumentiert werden, um im Streitfall belastbare Argumente zu haben.
- Rechtsmissbrauch erkennen und reagieren – Wird die Wahlpflicht verschleppt, kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs die Einsetzung einer Einigungsstelle verhindern.
- Risiken minimieren – Verzögerungen können zu unwirksamen Betriebsratsbeschlüssen führen. Arbeitgeber sollten prüfen, ob Maßnahmen, die in dieser Phase getroffen werden, rechtlich Bestand haben.
Werden diese Schritte beachtet, lässt sich die Chance nutzen, rechtliche Klarheit zu schaffen und strategische Vorteile bei der Gestaltung betrieblicher Prozesse zu sichern.










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