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Retention Boni im Spannungsfeld zwischen Aufsichtsrecht und Arbeitsrecht

Retention Boni – auch bekannt als Halte-, Bleibe- oder Bindungsprämien – sind im Finanzsektor seit Jahren ein bedeutendes Instrument, um wichtige Mitarbeiter während kritischer Phasen im Unternehmen zu halten. Üblicherweise wird diesen Mitarbeitern die Zahlung eines größeren Geldbetrages versprochen, sofern sie bis zu einem bestimmten Stichtag im Unternehmen verbleiben. Doch die rechtssichere Gestaltung von Retention Boni bewegt sich für Institute, für die die Institutsvergütungsverordnung (IVV) gilt, in einem komplexen Spannungsverhältnis: Einerseits müssen diese Institute die Vorgaben der IVV und die Leitlinien der European Banking Authority (EBA) einhalten. Andererseits müssen sie die arbeitsrechtlichen Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) beachten. Dieser Blogbeitrag zeigt auf, worin das Spannungsverhältnis besteht und wie es in der Praxis aufgelöst werden kann.

Das Spannungsverhältnis

Nach der IVV sind Retention Boni variable Vergütung, die ein der IVV unterliegendes Institut nur gewähren darf, wenn es hierfür ein berechtigtes Interesse hat. Ein solches berechtigtes Interesse wird in der Praxis typischerweise in Umbruchssituationen bestehen, beispielsweise wenn die Bindung von wichtigen Mitarbeitern im Rahmen von Umstrukturierungen, Kontrollwechseln oder zum Abschluss von Großprojekten erforderlich ist.

Weiterhin verlangt die IVV, dass Retention Boni auf die Erreichung der Ziele ausgerichtet sind, die in den Geschäfts- und Risikostrategien des jeweiligen Instituts niedergelegt sind, sowie dass die Anforderungen an Risikotragfähigkeit, Kapitalausstattung und Solvenz des Instituts gegeben sind. Des Weiteren müssen Retention Boni die Grenzen des Verhältnisses von variabler zu fixer Vergütung beachten, wobei sie entweder mit dem Gesamtbetrag zum Zeitpunkt der Fälligkeit oder zeitanteilig berücksichtigt werden können.

Die EBA-Leitlinien für eine solide Vergütungspolitik gehen noch einen Schritt weiter. Sie verlangen zusätzlich, dass Retention Boni sowohl an Bindungsbedingungen als auch an spezifische Leistungsbedingungen gekoppelt werden. Die Bindungsbedingungen sollen sicherstellen, dass der Mitarbeiter für einen bestimmten Zeitraum oder bis zu einem bestimmten Ereignis an das Institut gebunden wird. Die spezifischen Leistungsbedingungen sollen sich auf das berechtigte Interesse, für das der Mitarbeiter gebunden werden soll und auf das Verhalten des Mitarbeiters beziehen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu Stichtagsklauseln ist es hingegen im Grundsatz nicht wirksam möglich, eine Stichtagsklausel mit einer Leistungsbedingung zu kombinieren. Stichtagsklauseln sollen grundsätzlich nur dann zulässig sein, wenn eine Sonderzahlung reinen Betriebstreuecharakter hat. Sobald eine variable Vergütung zumindest auch eine Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistung darstellt, würde dem Arbeitnehmer verdiente Vergütung unzulässig entzogen und sein Kündigungsrecht faktisch beschränkt.

Hieraus ergibt sich ein Dilemma: Wird der Retention Bonus an eine spezifische Leistungsbedingung gekoppelt, wie es die EBA-Leitlinien verlangen, droht die Unwirksamkeit der Klausel vor den Arbeitsgerichten. Wird auf die spezifische Leistungsbedingung verzichtet, ist das Institut aufsichtsrechtlich non-compliant und riskiert Maßnahmen der BaFin.

Auflösung des Spannungsverhältnisses

Fraglich ist daher, ob und falls ja wie dieses Spannungsverhältnis zwischen Aufsichtsrecht und Arbeitsrecht aufgelöst werden kann. Keine Lösung ist es, auf die Vereinbarung einer Stichtagsklausel und damit auf den Bindungszweck zu verzichten oder die spezifischen Leistungsbedingungen wegzulassen und regulatorisch nicht compliant zu handeln. Überzeugender ist es demgegenüber, eine Lösung unter Zugrundelegung der BAG-Rechtsprechung zu Stichtagsklauseln zu suchen. Stichtagsklauseln sind regelmäßig allgemeine Geschäftsbedingungen. Sie dürfen den Vertragspartner, hier den Mitarbeiter, nicht unangemessen benachteiligen, was im Rahmen einer Interessenabwägung festzustellen ist. Zwar ist es im Grundsatz zutreffend, dass einem Mitarbeiter verdiente Vergütung nicht nachträglich entzogen und sein Kündigungsrecht nicht über Gebühr eingeschränkt werden darf. Im Fall von Retention Boni für Mitarbeiter von Instituten, die der IVV unterliegen, spricht jedoch viel dafür, dass diese Arbeitnehmerinteressen gegenüber den Arbeitgeberinteressen im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zurücktreten. Hierfür sprechen folgende Gründe:

Regulatorische Compliance: Institute sind gezwungen, Leistungsbedingungen einzubeziehen. Ein Gestaltungsspielraum besteht insoweit nicht.

Wesensnotwendigkeit des Stichtags: Ohne Stichtag würde der Bonus seinen Charakter als Halteprämie verlieren.

Einheit der Rechtsordnung: Was aufsichtsrechtlich geboten ist, kann zivilrechtlich nicht per se unzulässig sein.

Zielrichtung der spezifischen Leistungsbedingung: Es steht nicht der Vergütungsaspekt für erbrachte Arbeitsleistung, sondern die Erreichung des Bindungsziels im Vordergrund.

Wert der Arbeitsleistung: Der Wert der Arbeitsleistung hängt gerade davon ab, dass die Arbeitsleistung im gesamten Bindungszeitraum erbracht wird.

Möglichkeit von Ausnahmen: Das BAG selbst hat die Möglichkeit einer Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers gesehen und entschieden, dass eine solche ausnahmsweise bei Sonderzahlungen geboten sein kann, die an bestimmte Arbeits- oder Unternehmenserfolge gekoppelt sind oder für bestimmte zu einem Stichtag zu erbringende Leistungen versprochen werden. Ein solcher Ausnahmefall liegt bei den vorliegend diskutierten Retention Boni vor.

Fazit

Es sprechen sehr gute Argumente dafür, dass es rechtlich wirksam möglich ist, die Zahlung von Retention Boni für Mitarbeiter von Instituten, die der IVV unterliegen, sowohl an eine Stichtagsklausel zu koppeln als auch von der Erfüllung spezifischer Leistungsbedingungen abhängig zu machen. Da diese Frage bislang höchstrichterrechtlich jedoch noch nicht entschieden ist, empfiehlt es sich, die Höhe des Retention Bonus so zu bemessen, dass er weniger als 25 % der Gesamtvergütung des betroffenen Mitarbeiters ausmacht. Andernfalls könnte ein Indiz für einen überwiegenden Vergütungscharakter des Retention Bonus und damit für eine Unwirksamkeit der mit dem Retention Bonus verbundenen Stichtagsklausel gesetzt werden.

Dr. Christian Häußer, LL.M.

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Principal Counsel
Christian Häußer berät in- und ausländische Unternehmen, Investoren, Finanzmarktteilnehmer sowie Akteure im Profisport in sämtlichen individual- und kollektivrechtlichen Fragen des Arbeitsrechts. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind die Beratung zu Anstellungsverträgen für Führungskräfte und zu Vergütungssystemen, die Begleitung von komplexen Restrukturierungen sowie die Beratung im Kontext von Unternehmenstransaktionen und Compliance-Untersuchungen. Christian Häußer führt regelmäßig Verhandlungen mit Gewerkschaften, Betriebsräten und Führungskräften und vertritt Arbeitgeber in Einigungsstellen und vor Gericht. Er ist Mitglied der Fokusgruppe Regulatory bei KLIEMT.Arbeitsrecht.
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