Der Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen beschäftigt regelmäßig die Gerichte. Dabei geht es meist um inländische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Doch wie ist es um den Beweiswert von ausländischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AUB) bestellt?
Ausgangspunkt: inländische AUB
Eine im Inland ausgestellte AUB gilt grundsätzlich als ausreichender Nachweis für die Arbeitsunfähigkeit. Ihr kommt ein hoher Beweiswert zu – das heißt, sie begründet die Vermutung, dass der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsunfähig ist. Der Arbeitgeber kann diesen Beweiswert jedoch erschüttern, etwa bei widersprüchlichen Angaben oder auffälligen Umständen. Gelingt ihm dies, muss der Arbeitnehmer konkret darlegen, warum er nicht arbeiten konnte. Hierfür muss er vortragen, welche Symptome ihn von der Arbeitsleistung abgehalten haben und diese – bspw. durch Entbindung seines Arztes von der Schweigepflicht – beweisen.
Keine Besonderheiten für AUB aus Drittstaaten
Für Bescheinigungen aus Drittstaaten – also Staaten außerhalb der europäischen Union – gelten dieselben Maßstäbe wie für inländische AUB. Das BAG hat diese Rechtsprechung zuletzt Anfang des Jahres bestätigt (Urt. v. 15.1.2025 – 6 AZR 284/24 – siehe auch unseren Blogbeitrag vom 30. Januar 2025).
Entscheidend ist jedoch, dass die ausländische Bescheinigung nicht nur eine Krankheit attestiert, sondern ausdrücklich die Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Denn nicht jede Erkrankung führt automatisch zur Unfähigkeit, die berufliche Tätigkeit auszuüben. Bspw. kann ein gebrochener Zeh für einen Anwalt, „unbeachtlich“, für einen Berufssportler jedoch arbeitsverhindernd sein.
Besonderheiten bei AUB aus der EU
Auch diese AUB aus EU-Staaten müssen die Arbeitsunfähigkeit bescheinigen. Darüber hinaus greifen jedoch die vom EuGH in den „Paletta-Entscheidungen“ entwickelten Grundsätze. Hintergrund war ein Fall, in dem sich vier Familienmitglieder während eines Urlaubs in Italien krankmeldeten. Der Arbeitgeber verweigerte die Entgeltfortzahlung und zweifelte die Arbeitsunfähigkeit an.
Der EuGH entschied in der ersten Paletta-Entscheidung (Urt. v. 3.6.1992 – C-45/90), dass der Arbeitgeber in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an die im Ausland getroffene ärztliche Feststellung gebunden sei, wenn er nicht selbst eine Untersuchung durch einen Arzt seiner Wahl veranlasst hat. Die Sache ging in der Folge bis zum BAG, das erneut den EuGH anrief. In der zweiten Paletta-Entscheidung (Urt. v. 2.5.1996 – C-206/94) stellte der EuGH klar, dass die Grundsätze des BAG zur Erschütterung des Beweiswertes von AUB nicht mit den Zielen des Art. 18 VO (EWG) Nr. 574/72 (heute Art. 27 (VO (EG) 987/2009) vereinbar seien. Die VO solle den Arbeitnehmer gerade vor den Beweisschwierigkeiten aufgrund des Auslandsaufenthaltes schützen. Der Arbeitgeber habe aber dennoch die Möglichkeit, zu beweisen, dass der Arbeitnehmer missbräuchlich gehandelt hat. Hierfür muss er den Vollbeweis erbringen.
Die im EU-Ausland erstellte AUB hat somit einen höheren Beweiswert als die im Inland oder in einem Drittstaat ausgestellte AUB. Hierin soll auch keine Ungleichbehandlung gegenüber inländischen AUB liegen (vgl. BAG, Urteil vom 8. September 2021 – 5 AZR 149/21).
Praxistipps für den Arbeitgeber
Der Arbeitnehmer ist – auch während seines Urlaubs – verpflichtet, den Arbeitgeber unverzüglich über seine Arbeitsunfähigkeit zu unterrichten. Bei einem Auslandsaufenthalt ist er zudem gemäß § 5 Abs. 2 EFZG verpflichtet, dem Arbeitgeber auch seinen Aufenthalt mitzuteilen. Da nicht immer davon ausgegangen werden kann, dass der Arbeitnehmer hiervon Kenntnis hat, sollte der Arbeitgeber um Mitteilung der Aufenthaltsadresse und der AUB bitten.
Befindet sich der Arbeitnehmer im EU-Ausland und hat der Arbeitgeber Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit oder ergeben sich Zweifel im Laufe der Abwesenheit, sollte er den Arbeitnehmer auffordern, einen von ihm ausgewählten Arzt aufzusuchen. Der Arbeitgeber hat hierauf grundsätzlich einen Anspruch.
Die vorgelegte(n) ärztliche(n) Bescheinigung(en) sollte der Arbeitgeber darauf überprüfen, ob sie die „Arbeitsunfähigkeit“ bescheinigt und nicht nur die „Krankheit“.
Liegt keine AUB vor oder weigert sich der Arbeitnehmer, sich durch den vom Arbeitgeber ausgewählten Arzt erneut untersuchen zu lassen, können diese Aspekte ggf. ausreichen, um die Entgeltfortzahlung für den relevanten Zeitraum einzustellen.










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