Der diskriminierungsfreie Ablauf von Bewerbungsverfahren bleibt eine Herausforderung. In unserem Blogbeitrag vom 12. Februar 2025 hatten wir bereits dargestellt, welche weiteren Anforderungen die EU-Entgelttransparenzrichtlinie bringen wird. Neben der Gestaltung des Bewerbungsprozesses ist in diesem Zusammenhang auch die Darlegungs- und Beweislast im Diskriminierungsprozess ein wesentlicher Aspekt. Ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 27. März 2025 – 8 AZR 123/24 verdeutlicht dies einmal mehr.
§ 22 AGG: Wenn ein Indiz genügt – Beweislastverteilung im Diskriminierungsprozess
Das spezielle Benachteiligungsverbot des § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verbietet eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung. Zwischen der Benachteiligung und der Schwerbehinderung muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen.
Grundsätzlich trägt die Person, die einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend macht, die Darlegungslast für das Vorliegen seiner Voraussetzungen. § 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang jedoch eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bzw. der Schwerbehinderung vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Diese Beweislastumkehr soll es den Betroffenen erleichtern, ihre Rechte durchzusetzen, da sie oft nicht über die notwendigen Beweise verfügen, die sich meist im Besitz der anderen Partei befinden.
Sachverhalt
Der Kläger bewarb sich elektronisch am 24. August 2021 auf eine Stelle bei einem privaten IT-Sicherheitsunternehmen und wies in seinem Bewerbungsanschreiben auf seine Schwerbehinderung hin. Die beklagte Arbeitgeberin hatte die Stelle im Internet in verschiedenen Stellenportalen einschließlich der Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht. Einen Vermittlungsauftrag für die Besetzung freier Stellen hatte sie der Bundesagentur für Arbeit nicht erteilt.
Eine automatisierte Eingangsbestätigung wurde dem Bewerber am 24. August 2021, um 12:30 Uhr übermittelt. Am selben Tag hatte sich jedoch die Arbeitgeberin bereits um 11:09 Uhr für einen anderen Bewerber entschieden und diesem am Nachmittag desselben Tages den Entwurf eines Arbeitsvertrages zukommen lassen. Der von beiden Parteien unterzeichnete Arbeitsvertrag ging der Arbeitgeberin frühestens am 3. September 2021 zu. Bis zu diesem Tag war die Stellenausschreibung im Internet veröffentlicht. Ebenfalls am 3. September 2021 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass seine Bewerbung keine Berücksichtigung gefunden habe.
Der Kläger sah eine Diskriminierung im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung als gegeben an und machte einen Entschädigungsanspruch geltend. Er stützte sich dabei u.a. darauf, dass aus dem unterbliebenen Vermittlungsauftrag an die Bundesagentur für Arbeit eine entsprechende Indizwirkung folge, welche die Beklagte nicht habe widerlegen können.
Entscheidung des BAG
Das BAG verneinte im Ergebnis zwar einen Entschädigungsanspruch. Jedoch stellte es zunächst fest, dass der Kläger ein hinreichendes Indiz i.S.v. § 22 AGG vorgetragen habe, welches eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung vermuten lasse. Dieses Indiz sah das Gericht in dem Umstand, dass die Beklagte nicht mit der Agentur für Arbeit ordnungsgemäß i.S.v. § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX Verbindung aufgenommen habe, da sie es unterlassen hatte einen Vermittlungsauftrag zu erteilen. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, mit der Agentur für Arbeit nach § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX Verbindung aufzunehmen, erfordere jedoch die Erteilung eines Vermittlungsauftrags. Die Einstellung einer Suchanzeige in die Jobbörse der Agentur für Arbeit sei nicht ausreichend.
Die daraus folgende Vermutung einer Benachteiligung konnte die Arbeitgeberin jedoch widerlegen: Denn zum Zeitpunkt des Bewerbungseingangs des Klägers war das Stellenbesetzungsverfahren bereits abgeschlossen. Maßgeblich sei insoweit nicht der Abschluss des Arbeitsvertrages mit dem Mitbewerber, sondern die interne Einstellungsentscheidung, die im vorliegenden Fall bereits vor Eingang der Bewerbung des Klägers getroffen worden war (11:09 Uhr vs. 12:30 Uhr!). Die weitere Veröffentlichung der Stelle bis zum 3. September 2021 sei nicht entscheidend.
Fazit und Praxishinweis
Arbeitgeber müssen die Pflichten nach § 164 SGB IX ernst nehmen. Die frühzeitige Verbindungsaufnahme gemäß § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX umfasst die ausdrückliche Erteilung eines Vermittlungsauftrags gegenüber der bei der Bundesagentur für Arbeit nach § 187 Abs. 4 SGB IX vorgesehenen Stelle auf einem von der Bundesagentur dafür vorgesehenen Kommunikationsweg. Das bloße Einstellen einer Suchanzeige auf dem Vermittlungsportal der Bundesagentur für Arbeit (Jobbörse) ist daher nicht ausreichend. Um sich gegen Entschädigungsforderungen, insbes. von AGG-Hoppern, abzusichern, sollten zudem sämtliche Schritte im Bewerbungs- und Auswahlverfahren sorgfältig dokumentiert werden.