Der neue § 127 SGB IV trägt der sich kontinuierlich verschärfenden Verwaltungspraxis der Rentenversicherungsträger beim Einsatz von Solo-Freelancern im Bildungssektor Rechnung und schafft eine Möglichkeit einvernehmlich mit dem Solo-Freelancer die Selbständigkeit der Tätigkeit vor einer Umdeutung in eine abhängige Beschäftigung durch Rentenversicherungsträgern zu schützen.
Seit dem 1. März 2025 ist der § 127 SGB IV in Kraft – eine Übergangsregelung, die unter gewissen Voraussetzungen eine potenzielle Sozialversicherungspflicht bis zum 31. Dezember 2026 aufschiebt. Der neue Paragraf schafft Rechtssicherheit für hunderttausende Vertragsverhältnisse mit Solo-Freelancern im Bildungssektor, also für Honorarkräfte, Dozenten, Trainer und Coaches. Außerdem schützt sie Bildungsunternehmen vor erheblichen Beitragsforderungen (Blogbeitrag vom 9. Januar 2025 – Solo-Freelancer weiter im Fadenkreuz der DRV Bund).
Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Wirkung der Regelung und zeigt, worauf Bildungsunternehmen jetzt achten sollten.
Fiktion der Selbstständigkeit bis Ende des Jahres 2026
Kern der Regelung ist eine gesetzliche Fiktion einer selbstständigen Tätigkeit bis zum 31. Dezember 2026. Das gilt selbst dann, wenn ein Rentenversicherungsträger im Rahmen einer Statusfeststellung oder Betriebsprüfung die Tätigkeit als abhängige Beschäftigung einstuft. Voraussetzung dafür ist:
– eine übereinstimmende Annahme der Selbstständigkeit bei Vertragsschluss und
– eine ausdrückliche Zustimmung der Lehrkraft zur Anwendung des § 127 SGB IV.
Die Gesetzesbegründung zu § 127 SGB IV ist zur Auslegung der Norm wenig ergiebig. Aus Gesprächen von Interessenverbänden mit Sozialversicherungsträgern haben sich folgende Leitlinien herauskristallisiert:
- 127 SGB IV erfasst ausschließlich Lehrtätigkeiten. Die deutsche Rentenversicherung legt zwar ein weites Begriffsverständnis von „Lehrtätigkeiten“ zugrunde. So sollen z.B. Fahrstunden in einer Fahrschule noch als Lehrtätigkeit gelten. Fehlt ein pädagogischer Hintergrund, findet die Norm jedoch keine Anwendung. Dienstleistungen von Unternehmensberatungen stellen daher keine Lehrtätigkeiten dar.
- Die Voraussetzung der übereinstimmenden Annahme der Selbstständigkeit bei Vertragsschluss wird regelmäßig bei Verwendung von gängigen Vertragsmustern erfüllt sein.
- Es reicht nicht aus, dass die Parteien bei Abschluss des Vertrags eine selbstständige Tätigkeit regeln wollten. Hinzukommen muss die gesonderte Zustimmung der Lehrkraft zur Anwendung von § 127 SGB IV. Dafür reicht eine nochmalige Bestätigung der Selbstständigkeit durch die Honorarkraft nicht aus. Die Zustimmung muss sich ausdrücklich auf § 127 SGB IV beziehen.
- Die Zustimmungserklärung kann formlos durch die Honorarkraft abgegeben werden. Die Zustimmung sollte jedoch nachweisbar (z. B. per E-Mail oder unterschriebenem Formular) erfolgen.
- Die Anwendung der Norm stellt kein Indiz dafür dar, dass die Vertragsparteien derzeit oder ab dem 1. Januar 2027 eine abhängige Tätigkeit vereinbaren wollen. Im Gegenteil: Die Vertragsparteien können von der neuen Regelung auch unabhängig von einer konkreten Prüfung durch die Rentenversicherungsträger Gebrauch machen. Das sieht die Norm ausdrücklich in 127 Abs. 1 S. 2 SGB IV vor.
Rechtsfolgen für Bildungsunternehmen
Für Bildungsträger bietet die Regelung eine erhebliche Entlastung: Wird die Zustimmungserklärung eingeholt, gilt die Tätigkeit nicht nur bis Ende des Jahres 2026 als selbstständig. Die Fiktion des § 127 SGB IV entfaltet auch Rückwirkung. Diese ist nicht begrenzt auf einen Zeitraum ab Inkrafttreten.
Es drohen unabhängig von der Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses keine Nachforderungen von Sozialbeiträgen für Tätigkeiten vor dem 1. Januar 2027. Bereits gezahlte Sozialversicherungsbeiträge können unter Umständen bei abgeschlossenen behördlichen Prüfungsverfahren zurückgefordert werden.
Achtung: Laufende Statusfeststellungsverfahren werden durch die Zustimmung zu § 127 SGB IV nicht beendet, sondern die Bescheidung einer abhängigen Beschäftigung entfaltet dadurch frühstens ab dem 1. Januar 2027 Wirkung.
Rentenversicherungspflicht für Lehrkräfte
Lehrkräfte gelten bei Anwendung des § 127 SGB IV ab dem 1. März 2025 als selbstständig im Sinne des § 2 SGB VI und sind damit grundsätzlich rentenversicherungspflichtig – es sei denn, sie fallen unter eine Befreiung (z. B. geringfügige Vergütung; Tätigkeit während des Rentenbezuges). Eine Nachzahlung für Zeiträume vor dem 1. März 2025 ist ausgeschlossen, bereits gezahlte Beiträge gelten als rechtmäßig entrichtet. Diese rein klarstellende Regelung, als Kehrseite der Abwehr von Sozialversicherungsbeiträgen aufgrund abhängiger Beschäftigung, war nötig. Rentenversicherungsträger verlangten bisher von Lehrkräften bei Anmeldung Ihrer Tätigkeit vor Annahme von Beiträgen regelmäßig die Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens zur Feststellung einer abhängigen Beschäftigung.
Fazit
127 SGB IV schafft eine wichtige Zwischenlösung für den gesamten Bildungssektor – vorausgesetzt, die Zustimmungserklärung wird korrekt und erfolgreich eingeholt. Die Norm schützt Bildungsunternehmen vor potenziell existenzbedrohenden Rückforderungen für die Vergangenheit und ermöglicht bis zum Ende des Jahres 2026 Maßnahmen zur Risikominimierung vorzubereiten, sollte der Gesetzgeber nicht eine weitere Rettungsmaßnahme unternehmen. Bildungsunternehmen sollten jetzt aktiv werden, § 127 SGB IV nutzen und ihre Prozesse für die Zukunft anpassen. Unternehmen, die Solo-Freelancer außerhalb des Bildungssektors einsetzen, hilft diese Übergangsregelung nicht. Sie sind weiter der sich kontinuierlich verschärfenden Verwaltungspraxis der Rentenversicherungsträger ausgesetzt und haben keine Verschnaufpause für eine Anpassung ihrer Prozesse.