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Rechtsprechungsänderung zum Verfall virtueller Aktienoptionen

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 19. März 2025 (Az: 10 AZR 67/24) eine weitreichende Entscheidung zum Umgang mit Aktienoptionen bei Beendigung von Arbeitsverhältnissen getroffen. Es stellt klar, dass bereits „erdiente“ – also ausübungsreife virtuelle Aktienoptionen („vesting“) – mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr automatisch und unterschiedslos verfallen dürfen. Damit verabschiedet sich das BAG ausdrücklich von seiner bisherigen Linie und rückt die Aktienoptionen hinsichtlich des arbeitsrechtlichen Kontrollmaßstabes näher an herkömmliche leistungsbezogene Vergütungselemente heran.

Einführung

Virtuelle Aktienoptionen sind in vielen Unternehmen ein zentrales Instrument zur langfristigen Mitarbeiterbindung. Besonders in Start-ups und internationalen Konzernen werden sie häufig eingesetzt, um Führungskräfte und Mitarbeiter in Schlüsselpositionen an das Unternehmen zu binden und am wirtschaftlichen Erfolg zu beteiligen. Mitarbeitende werden dabei zunächst virtuelle Optionen zugeteilt. Diese virtuellen Optionen sind echten Optionen nachgebildet, verschaffen aber keine tatsächlichen Beteiligungsrechte. Sie werden in der Regel nicht sofort ausübbar, sondern werden schrittweise über mehrere Jahre erdient („vesten“) und können nach Eintritt eines Ausübungsereignisses ausgeübt werden. Die Details sind meist in umfangreichen, standardisierten Vertragswerken geregelt, die als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) gelten und damit der AGB-Kontrolle unterliegen. Diese Ausübungsbedingungen regeln regelmäßig auch Sachverhalte, bei deren Eintritt die Optionen verfallen. Mit Blick auf den Zweck der Mitarbeiterbindung ist insbesondere ein Verfall bei Austritt aus dem Arbeitsverhältnis der Regelfall.

Bisherige Rechtslage

Bislang war die Rechtsprechung des BAG in dieser Frage arbeitgeberfreundlich. In einem Urteil aus dem Jahr 2008 hatte das Gericht entschieden, dass Verfallklauseln in Bezug auf Aktienoptionen grundsätzlich zulässig seien (Urteil vom 28. Mai 2008 – Az: 10 AZR 351/07). Zur Begründung führte das BAG an, dass Aktienoptionen im Gegensatz zu klassischen Vergütungsbestandteilen einen spekulativen Charakter hätten. Es handele sich nicht um gesicherte Vergütung, sondern vielmehr um eine Erwerbschance. Daher hielt das BAG den Verfall für zulässig, nicht zwischen verschiedenen Arten der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu differenzieren, etwa ob eine Kündigung vor oder nach Ablauf der Vesting-Periode erfolgt.

Neue Rechtsprechung des BAG

Diese Argumentation hat das BAG in seiner neuen Entscheidung nun ausdrücklich verworfen. Gegenstand der Entscheidung waren Aktienoptionen, die auf ein bestimmtes Ausübungsergebnis (einen Exit in Form einer Veräußerung des Unternehmens) abgestellt waren. Die virtuellen Optionsrechte bezweckten nach der Auslegung des BAG hier neben einer langfristigen Bindung des Mitarbeiters auch die Honorierung erbrachter Arbeitsleistung. Für diese Beurteilung waren folgende Kriterien maßgeblich:

  • Die Vestingperiode wurde während einer Freistellung ausgesetzt und damit unmittelbar und erkennbar an die Erbringung der Arbeitsleistung geknüpft.
  • Der Wert der Optionsrechte war an den im Falle des Eintritts des Exitereignisses erzielten Erlös geknüpft und stellte daher auch einen Anreiz für die Erbringung einer guten Arbeitsleistung dar.

Im Falle eines Entgeltcharakters der Aktienoptionen können bereits erdiente virtuelle Optionen zukünftig nicht unterschiedslos wieder entzogen werden, auch nicht im Falle der vom Arbeitnehmer veranlassten Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dies stellt das BAG ausdrücklich für den Fall fest, wenn die Eigenkündigung des Arbeitnehmers auf eine Pflichtverletzung des Arbeitgebers zurückzuführen ist; aber auch im Übrigen verweist das BAG auf die Unzulässigkeit einer unangemessenen Kündigungserschwerung. Darüber hinaus betrachtet das Gericht eine Klausel für unwirksam, nach der die erdienten Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses innerhalb kurzer Zeit – hier die Hälfte der Dauer der Vestingperiode – wieder verfallen.

Die Entscheidung steht im Zusammenhang mit einer weiteren aktuellen Entscheidung des BAG, in der ebenfalls der Entgeltcharakter der Aktienoptionen betont wird. Am 27. März 2025 hat das BAG entschieden, dass Aktienoptionen bei der Berechnung der Karenzentschädigung im Falle der Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots zu berücksichtigen sind (Az: 8 AZR 63/24, siehe unseren Blogbeitrag vom 12. Mai 2025).

Bedeutung für Arbeitgeber

Für Arbeitgeber bedeutet die neue Linie der Rechtsprechung eine erhebliche Veränderung. Sie müssen künftig damit rechnen, dass Verfallklauseln strengeren Maßstäben unterzogen und ggf. als unwirksam betrachtet werden. Da die Reichweite der Änderung der Rechtsprechung im Sinne einer Heranführung der Aktienoptionen an herkömmliche leistungsbezogene Vergütungsbestandteile noch nicht ganz klar ist, sind Arbeitgeber gut beraten, Verfallklauseln zukünftig stärker auszudifferenzieren. Das bisherige Argument, es handle sich bei der Aktienoptionen um bloße Erwerbschancen hat wohl – jedenfalls in dieser Pauschalität –ausgedient.

Eine klare Linie scheint erkennbar: Aktienoptionen können weiterhin ungeachtet des Beendigungsgrundes nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entfallen, auch wenn sie im konkreten Einzelfall Entgeltcharakter haben. Der Verfall muss nur sukzessive erfolgen und die Verfallperiode muss mindestens der Länge der Vestingperiode entsprechen.

Dr. Oliver Vollstädt 

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Oliver Vollstädt berät Arbeitgeber und Top-Füh­rungs­kräfte in allen Fragen des Arbeits­rechts. Sein besonderes Know-how liegt bei kol­lek­tiv­recht­li­chen Themengebieten mit den Schwer­punkten Restruk­tu­rie­rungsberatung, Ver­hand­lung von Sozi­al­plä­nen und haustariflichen Gestal­tun­gen. Ferner ist Oliver Vollstädt anerkannter Experte in arbeits- und daten­schutz­recht­li­chen Fragen zum Einsatz von IT-Systemen und neuen Medien am Arbeits­platz. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "Datenschutz".
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