Streitigkeiten um Annahmeverzugslohnansprüche bleiben weiterhin im Fokus der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Alleine in der ersten Jahreshälfte 2025 gibt es schon einen reichen Fundus an Entscheidungen (siehe unseren Blog vom 25. März 2025 zum Urteil des BAG vom 12. Februar 2025), die dem Thema Annahmeverzugslohn weitere Mosaikstücke hinzufügen. Zentrales Streitthema: Wann ist von einem „böswillig“ unterlassenen Zwischenverdienst des Arbeitnehmers auszugehen und inwieweit muss ein Arbeitnehmer über seine Bewerbungsbemühungen Auskunft geben? Im Nachfolgenden sollen im Jahr 2025 ergangene Entscheidungen zum Annahmeverzugslohn in den Blick genommen und praxistaugliche Hinweise an die Hand gegeben werden.
I. Scheinbewerber muss Auskunft geben
Wie sorgsam Arbeitnehmer ihre Bewerbungsbemühungen dokumentieren und ggf. offenlegen sollten, um sich nicht dem Vorwurf des „böswillig“ unterlassenen Zwischenverdienstes auszusetzen, zeigt einmal mehr ein aktuelles Urteil des LAG Köln vom 7. Januar 2025 (Az.: 7 SLa 78/24). Nach Ansicht des LAG Köln hat der Arbeitnehmer auf ein entsprechendes Auskunftsverlangen der Arbeitgeberin hin detaillierte Informationen über Form und Inhalt der von ihm abgegebenen Bewerbungen zu liefern, wenn und soweit Indizien auf bloße „Scheinbewerbungen“ hindeuten und die Arbeitgeberin ein berechtigtes Interesse an der Auskunft hat. Ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes sei nach Auffassung des LAG Köln nämlich auch dadurch möglich, dass sich der Arbeitnehmer zwar formal bewirbt, aber durch den Inhalt der Bewerbung direkt oder konkludent zum Ausdruck bringt, an einer Arbeitsaufnahme nicht interessiert zu sein. Dies entspreche nicht dem Verhalten einer tatsächlich um eine Beschäftigung bemühten Person.
1. Streitgegenständlicher Fall
Der Arbeitnehmer hatte sich nach eigenen Aussagen auf 65 Stellen beworben, ganze 62 Bewerbungen – und damit über 95% – waren aber ohne Rückmeldung geblieben, obwohl in der Branche unstreitig großer Arbeitskräftemangel herrschte und der Arbeitnehmer zudem über die notwendige Qualifikation verfügte. Dies könne laut dem LAG Köln darauf hindeuten, dass mit den Bewerbungen etwas nicht stimme, zumal unter den potenziellen Arbeitgebern namhafte Unternehmen waren, von denen man eine Reaktion erwarten würde. Aufgrund dieser Umstände bestehe die Wahrscheinlichkeit, dass Scheinbewerbungen abgegeben worden seien. Darüber hinaus hatte der Arbeitnehmer hinsichtlich einer weiteren Bewerbung mitgeteilt, „wegen Kündigungsschutzverfahren nicht genommen“ worden zu sein, woraus geschlossen werden könne, dass der Arbeitnehmer dies im Bewerbungsverfahren proaktiv mitgeteilt habe.
2. Auskunftsanspruch über Form und Inhalt der vom Arbeitnehmer gemachten Bewerbungen
Aus diesen Umständen ergibt sich für das LAG Köln nach § 242 BGB ein berechtigter Auskunftsanspruch der Arbeitgeberin über Form und Inhalt der vom Arbeitnehmer verschickten Bewerbungen (siehe zu den Voraussetzungen des Auskunftsanspruchs u.a. auch unseren Blog vom 7. September 2020). Die Auskunft dürfte sich auf den gesamten Bewerbungsprozess und sämtliche Bewerbungsunterlagen einschließlich der Rückmeldung des potenziellen Arbeitgebers erstrecken. Solange dieser Anspruch nicht erfüllt wird, kann der Arbeitgeber die Zahlung des Annahmeverzugslohns jedenfalls für denjenigen Zeitraum zurückbehalten, für den der Arbeitnehmer seiner Auskunftspflicht (bisher) noch nicht nachgekommen ist. Arbeitgeber sollten sich deshalb nicht scheuen, bei auffälligen Bewerbungsmustern die Vorlage sämtlicher Bewerbungsunterlagen zu verlangen.
II. Prozesstaktik mit Nebenwirkungen: Arbeitgeberverhalten beeinflusst Böswilligkeitsprüfung
Durchaus aufhorchen lässt eine weitere – gleichzeitig aber auch diskutable – Entscheidung des LAG Köln vom 16. Januar 2025 (Az.: 6 Sa 633/23): Demnach könne auch das arbeitgeberseitige Prozessverhalten bei der Interessenabwägung zur näheren Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Böswilligkeit“ heranzuziehen.
1. Worum ging es?
Im streitgegenständlichen Fall hatte die Arbeitgeberin eine Kündigung ausgesprochen, die nach Ansicht des LAG Köln willkürlich und damit rechtswidrig sei, da der behaupteten Organisationsentscheidung die Darlegung eines unternehmerischen Konzepts fehle. Zudem habe die Arbeitgeberin dem LAG Köln zufolge eine Sozialauswahl nicht ordnungsgemäß durchgeführt. Des Weiteren habe sie den Arbeitnehmer ohne jegliche Begründung als faul und geldgierig dargestellt und ehrenrührige Behauptungen ins Blaue hinein getätigt.
Aber damit nicht genug: Die Arbeitgeberin hielt den Arbeitnehmer zudem mit – nach Ansicht des LAG Köln – fragwürdigen bzw. ungewöhnlichen prozessualen Methoden hin, indem sie u.a. das Verfahren durch ausführliche Vergleichsverhandlungen und Vergleichsangebote, die anschließend widerrufen wurden, verzögerte. Zudem wandte sich die Arbeitgeberin an den Arbeitnehmer persönlich und nicht etwa an dessen Prozessbevollmächtigten. Schließlich kam es auch noch zu einem Rechtsbruch der Arbeitgeberin durch Nichtbefolgung des Handlungsappells aus dem Weiterbeschäftigungstenor der arbeitsgerichtlichen Entscheidung.
All diese Umstände können nach Auffassung des LAG Köln im Rahmen der Interessenabwägung zum Begriff „Böswilligkeit“ zu berücksichtigen sein und je nach Ausmaß des treuwidrigen Verhaltens – ggf. zusammen mit weiteren Indikatoren – dazu führen, dass das Verhalten des Arbeitnehmers zu seinen Gunsten nicht als böswillig im Sinne des § 615 S. 2 BGB zu beurteilen ist und eine Anrechnung ausscheidet.
2. Einordnung der Entscheidung
Dass auch arbeitgeberseitiges Fehlverhalten im Rahmen der Interessenabwägung zum Begriff „Böswilligkeit“ zu berücksichtigen ist, ist nichts Neues. Dies hatte das BAG bereits zuvor angedeutet, etwa, wenn der Arbeitgeber nicht auf die Pflicht des Arbeitnehmers zur Arbeitsuchendmeldung hinweist (siehe dazu schon unseren Blog vom 14. Mai 2024). Ob hingegen auch prozessuales Fehlverhalten entsprechend zu berücksichtigen ist, darüber lässt sich streiten. Gegen die Entscheidung ist Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BAG unter dem Aktenzeichen 5 AZN 142/25 eingelegt, sodass eine klärende Entscheidung durch das BAG – soweit eine solche erfolgt – abzuwarten bleibt.
3. Über 30 Bewerbungen sprechen gegen böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes
Zudem hat das LAG Köln festgestellt, dass ein Arbeitnehmer, der eigeninitiativ über 30 Bewerbungen schreibt und trotzdem keinen Job findet, nicht böswillig handelt. Bereits zuvor hatte das BAG die deutlich zu weit gehende Rechtsprechung des LAG Berlin-Brandenburg vom 30. September 2022 kassiert, das vom gekündigten Arbeitnehmer Bewerbungsbemühungen im Umfang einer Vollzeittätigkeit forderte (siehe dazu bereits unseren Blog vom 14. Mai 2024 und unseren Blog vom 23. Januar 2023).
III. Ablehnung eines zumutbaren Änderungsangebots
Arbeitnehmer dürfen auch mit dem Ausspruch einer Änderungskündigung unterbreitete Änderungsangebote nicht vorschnell ablehnen. Denn auch in einer solchen Ablehnung kann ein böswilliges Unterlassen einer zumutbaren Arbeit im Sinne von § 11 Nr. 2 KSchG zu sehen sein, wie jüngst das BAG in seinem Urteil vom 15. Januar 2025 (Az.: 5 AZR 135/24) erneut bestätigte. Die Ablehnung des Änderungsangebots im Zusammenhang mit einer Änderungskündigung ist deshalb im Grundsatz nicht anders zu beurteilen als die Ablehnung eines entsprechenden Angebots nach erfolgter Kündigung.
Das BAG stellte zudem klar, ein geringerer Verdienst, eine andere Arbeit oder die anderweitige Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber mache ein unterbreitetes Änderungsangebot nicht per se unzumutbar. Die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers gebiete es aber nicht, während des Annahmeverzugs erheblich schlechtere Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, bei denen der zu erzielende Nettoverdienst unter dem ALG 1 liegt. Vor Ausspruch einer Änderungskündigung sollten Arbeitgeber daher über den Arbeitslosengeldrechner der Bundesagentur für Arbeit prüfen, ob die neue Vergütung über dem ALG 1 liegt.
IV. Ausblick
Die aktuelle Rechtsprechung zeigt eindrücklich, dass Fragen zum Themenkreis Annahmeverzug weiterhin an Dynamik gewinnen, sowohl im Hinblick auf die Anforderungen an die Bewerbungsbemühungen von Arbeitnehmern als auch in Bezug auf die Anforderungen an das arbeitgeberseitige (Prozess-)Verhalten. Die „Spielregeln“ verschärfen sich auf beiden Seiten. Aus Arbeitgebersicht ist und bleibt der Einwand des böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienstes ein effektives Verteidigungsmittel, welches gerade auch in aussichtlosen Kündigungsschutzprozessen von Arbeitgebern genutzt werden kann, um zu einer Beendigungslösung zu kommen.