Viele Konzerne und Unternehmen verfügen über eine Matrixorganisation bei der Mitarbeitende und Vorgesetzte verschiedener Betriebe zusammenarbeiten. Dies führt nicht nur in der täglichen (Mitbestimmungs-)Praxis zu spannenden Fragestellungen (s. dazu etwa den Blog-Beitrag vom 12. Januar 2021), sondern bereits bei den Betriebsratswahlen. Mit Blick auf das anstehende Wahljahr 2026 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) jüngst eine wichtige Entscheidung getroffen.
Wahlberechtigt bei der Betriebsratswahl sind gemäß § 7 Satz 1 BetrVG alle Arbeitnehmer eines Betriebs, die das 16. Lebensjahr vollendet haben. Neben der Arbeitnehmereigenschaft (d.h. insbesondere kein Leitenden-Status i. S. d. § 5 Abs. 2 und 3 BetrVG) und dem Erreichen der Altersgrenze ist damit die Betriebszugehörigkeit eine der Grundvoraussetzung für das aktive Wahlrecht.
Betriebszugehörigkeit: Eingliederung in den Betrieb als Voraussetzung
Die Betriebszugehörigkeit bestimmt sich insbesondere anhand der sog. tatsächlichen „Eingliederung“ in die Betriebsorganisation. In Zeiten überörtlicher Zusammenarbeit bereitet diese Bestimmung mitunter Schwierigkeiten. Erforderlich ist nicht, dass der Arbeitnehmer seine Arbeiten auf dem Betriebsgelände oder innerhalb der Betriebsräume verrichtet. Entscheidend ist vielmehr, ob der Arbeitgeber mithilfe des Arbeitnehmers den arbeitstechnischen Zweck des jeweiligen Betriebs verfolgt, wobei ein arbeitstechnischer Zweck in mehreren Betrieben verfolgt werden kann.
Was aber gilt in Bezug auf die Eingliederung, wenn eine nicht-leitende (Matrix-)Führungskraft z.B. ein Team in Frankfurt und Köln führt, selbst aber wiederum einer Führung in Hamburg unterstellt ist und überwiegend von Berlin aus bzw. dort im Homeoffice arbeitet? In welchem Betrieb (Frankfurt, Köln, Hamburg oder Berlin) darf die (Matrix-)Führungskraft wählen?
Divergierende Instanzenrechtsprechung im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen
Im Kontext der Betriebsratswahlen bestand bisher erhebliche Rechtsunsicherheit, nachdem das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen (Beschluss vom 22. Januar 2024, 16 TaBV 98/23) und das LAG Baden-Württemberg (Beschluss vom 13. Juni 2024, 3 TaBV 1/24) hierzu grundlegend andere Ansätze vertreten hatten.
BAG: Mehrfachwahlberechtigung möglich
Das BAG hat mit seinem jüngsten Beschluss vom 22. Mai 2025, 7 ABR 28/24 (bisher nur als Pressemitteilung veröffentlicht) insoweit nun Klarheit geschaffen: Der Umstand, dass ein Arbeitnehmer bereits in einem Betrieb eingegliedert und damit in diesem wahlberechtigt ist, stehe seiner Wahlberechtigung in einem weiteren Betrieb nicht entgegen. Es sei möglich, in mehreren Betrieben wahlberechtigt zu sein, wenn ein Arbeitnehmer in mehrere Betriebsorganisationen tatsächlich eingegliedert ist.
Damit hat sich das BAG im Ergebnis der Rechtsauffassung des LAG Hessen (s.o.) angeschlossen, welches annahm, dass eine Mehrfacheingliederung und infolgedessen -wahlberechtigung möglich sei, wenn bloß fachliche Führungsaufgaben zur Erledigung der Aufgaben des Betriebs wahrgenommen werden. Praktisch dürfte eine (Matrix-)Führungskraft damit auch in jedem Betrieb wahlberechtigt sein können, in dem ein von ihr geführter Mitarbeitender eingegliedert ist.
Parallele zur Einstellung und Versetzung i. S. d. § 99 BetrVG
Eine ähnliche Fragestellung stellt sich in Matrixstrukturen bei Einstellungen und Versetzungen i. S. d. § 99 BetrVG, die ebenfalls an eine „Eingliederung“ anknüpfen. Insoweit entschied das BAG in einer wegweisenden – und viel kritisierten – Entscheidung bereits im Jahre 2019 (Az.: 1 ABR 5/18), dass eine Mehrfacheingliederung möglich sei, mit der Folge, dass seither bei der Führung in Matrixstrukturen eine Beteiligung mitunter einer Vielzahl von lokalen Betriebsratsgremien erforderlich ist.
Eine Parallelziehung bei § 7 Satz 1 BetrVG und damit die Nutzung eines „einheitlichen“ Eingliederungsbegriffes erscheint konsequent, wäre – wie das LAG Baden-Württemberg (s.o.) anhand des Sinns und Zwecks der Wahlvorschrift herausgearbeitet hat – indes nicht zwingend gewesen.
Einordnung der BAG-Entscheidung und Hinweise für die Praxis
Die Frage, ob (Matrix-)Führungskräfte in mehrere Wählerlisten einzutragen sind, ist praktisch von entscheidender Bedeutung. Sie hat nicht nur erhebliche Relevanz für die Größenverhältnisse des Betriebs und damit des zu wählenden Gremiums. Die unrichtige Zuordnung von Mitarbeitenden zu Betrieben kann auch ein Grund für eine Wahlanfechtung (§ 19 BetrVG) sein.
Auch wenn die Entscheidung des BAG unter dem Gesichtspunkt der Schaffung von Rechtsklarheit begrüßenswert ist, macht sie die praktische Zuordnung nicht gerade einfacher: Statt die (Matrix-)Führungskräfte nur in ihrem jeweiligen „Stammbetrieb“ wählen zu lassen, ist nun für jede einzelne Führungskraft die – möglicherweise auch wechselnde – Weisungsbeziehung zu Mitarbeitenden anderer Betriebe zu prüfen. Ob dieser erhebliche Arbeitsaufwand verhältnismäßig ist, mag dahinstehen; erfahrungsgemäß stehen die Interessen sich meist nur virtuell zuschaltender Führungskräfte regelmäßig nicht im Fokus der lokalen Betriebsräte.
Unklar bleibt, ob sich die Entscheidung des BAG auf die passive Wählbarkeit (§ 8 BetrVG) spiegelbildlich auswirkt und damit (Matrix-)Führungskräfte in mehreren Betrieben in den Betriebsrat gewählt werden könnten. Weiter bleibt im Unklaren, welche Auswirkungen die BAG-Entscheidung in Bezug auf internationale Konzern- und Unternehmensstrukturen hat.
Zur Vereinfachung der nationalen Strukturen könnte es für das ein oder andere Unternehmen nun jedenfalls erwägenswert sein, von der Möglichkeit gewillkürter Betriebs- bzw. Interessenvertretungsstrukturen nach § 3 BetrVG Gebrauch zu machen, um die tägliche Arbeitsweise im Sinne eines übergreifenden Gremiums zu spiegeln.