Die gerichtliche Aufarbeitung der freiwilligen Inflationsausgleichsprämie, welche Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern im Zeitraum vom 26. Oktober 2022 bis 31. Dezember 2024 steuer- und sozialabgabenfrei gewähren konnten, ist in vollem Gange. Streitig ist insbesondere, unter welchen Voraussetzungen welche Arbeitnehmergruppen (z.B. freigestellte Arbeitnehmer oder Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit) davon ausgenommen werden durften.
Eine vor Kurzem ergangene Entscheidung des BAG (Urteil vom 12. November 2024 – 9 AZR 71/24) zu der Frage, inwiefern der Ausschluss von Arbeitnehmern, die sich in der Passiv-/Freistellungsphase ihrer Altersteilzeit befinden, vom Bezug einer tarifvertraglich geregelten Inflationsausgleichsprämie unwirksam ist, lässt weiterhin Fragen offen (Update zu unserem Blog-Beitrag vom 11. November 2024).
Rahmenbedingungen
Gesetzliche Bedingungen für die Steuer- und Sozialabgabenfreiheit einer Inflationsausgleichsprämie waren lediglich (vgl. § 3 Nr. 11c EStG):
- eine Auszahlung in der Zeit zwischen dem 26. Oktober 2022 und dem 31. Dezember 2024,
- die Einhaltung der Höchstgrenze von € 3.000,
- die Gewährung der Inflationsausgleichsprämie zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn sowie
- die Erklärung des Arbeitgebers, dass die Zahlung im Zusammenhang mit der (inflationsbedingten) Preissteigerung steht.
Der Umstand, dass die Inflationsausgleichsprämie zum Ausgleich der gestiegenen Verbraucherpreise gewährt wird, bedeutet nicht, dass Arbeitgeber die Zusage einer solchen Prämie nicht mit zusätzlichen Anspruchsvoraussetzungen oder Zwecken verknüpfen durften. In Betracht kommt etwa die Belohnung zum Auszahlungszeitpunkt geleisteter Arbeit, die Anknüpfung an eine zukünftige Arbeitsleistung oder zukünftige Betriebstreue. Nicht abschließend geklärt ist, welche Anforderungen an die Ausgestaltung dieser Zwecke und die Herausnahme einzelner Arbeitnehmergruppen zu stellen sind.
Fall des 9. Senats des BAG
Der jüngsten Entscheidung des 9. Senats des BAG lag die Regelung in einem Tarifvertrag über eine anlässlich der Tarifrunde 2023 einmalig gewährte Inflationsausgleichsprämie zugrunde. Die Inflationsausgleichsprämie wurde Arbeitnehmern, die am 31. Mai 2023 (Stichtag) in einem ungekündigten und nicht ruhenden Arbeitsverhältnis standen, zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise gewährt. Arbeitnehmer, die sich zum Stichtag in der Passivphase der Altersteilzeit oder im Vorruhestand befanden, wurden vom Kreis der Begünstigten ausdrücklich ausgenommen. Der klagende Arbeitnehmer, der sich zum Stichtag in der Passivphase seiner Altersteilzeit befand, verlangte ebenfalls Zahlung der Inflationsausgleichsprämie.
Entscheidung des 9. Senats
Der 9. Senat bestätigt zunächst, dass die Auszahlung einer Inflationsausgleichsprämie mit weiteren Zwecken als dem Ausgleich des Kaufkraftverlustes verbunden werden darf. Sofern sachliche Gründe für eine Differenzierung vorliegen, musste eine Inflationsausgleichsprämie daher nicht der Gesamtbelegschaft zugewendet werden.
Bezogen auf die konkrete tarifvertragliche Regelung hat der 9. Senat angenommen, dass der Ausschluss von Arbeitnehmern in der Passivphase der Altersteilzeit gegen das Verbot der Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter in § 4 Abs. 1 TzBfG verstößt. Eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern aufgrund der Freistellung in der Altersteilzeit gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten ergebe sich daraus, dass an die Dauer (und nicht nur die Lage) der Arbeitszeit angeknüpft wird. Die Schlechterstellung werde auch nicht dadurch kompensiert, dass Tariferhöhungen an Altersteilzeitler in der Passivphase weitergegeben werden.
Der 9. Senat gesteht den Tarifvertragsparteien in der Bestimmung des Leistungszwecks zwar einen weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum (gemäß Art. 9 Abs. 3 GG) zu. Im zu entscheidenden Fall fehlte aber ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung, der sich aus dem Verhältnis der verfolgten Leistungszwecke und dem Umfang der Teilzeitarbeit herzuleiten ist. Denn die Inflationsausgleichsprämie diente nach der ausdrücklichen Zweckbestimmung allein dem Ausgleich gestiegener Verbraucherpreise für alle Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis zum Stichtag ungekündigt war. Vollzeitbeschäftigte und freigestellte Altersteilzeitler hätten keine unterschiedlichen Bedarfe aufgrund der gestiegenen Verbraucherpreise.
Konsequenzen aus der BAG-Entscheidung
Feststeht, dass eine Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmergruppen (z.B. dauerhaft freigestellte Mitarbeiter, Altersteilzeitler oder Vorruheständler) auch bei geldwerten Leistungen wie einer Inflationsausgleichsprämie sachlich gerechtfertigt sein kann, wenn diese an weitere Zwecke anknüpft. Die BAG-Entscheidung lässt weiterhin offen, welche Anforderungen an zulässige Zwecke einer Inflationsausgleichsprämie zu stellen sind.
Zulässige Differenzierungskriterien dürften insbesondere die Anknüpfung an das entgeltliche Austauschverhältnis (Belohnung für erbrachte bzw. Motivation für zu erbringende Arbeitsleistung) und künftige Betriebstreue sein. Unproblematisch dürften insoweit Fallkonstellationen sein, in denen die Inflationsausgleichsprämie als Vergütungsbestandteil oder im Rahmen einer regulären Gehaltsrunde gewährt worden ist. Im Übrigen wird die Frage, ob die Herausnahme einzelner Arbeitnehmergruppen einen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz oder spezialgesetzliche Diskriminierungsverbote (z.B. Benachteiligungsverbot von Teilzeitbeschäftigten gemäß § 4 Abs. 1 TzBfG oder mittelbare Altersdiskriminierung gemäß § 7 Abs. 1, § 1, § 3 Abs. 2 AGG) darstellt, von einer Einzelfallabwägung anhand der konkreten Ausgestaltung der jeweiligen Regelung abhängen.
Arbeitgeber waren gut beraten, wenn sie weitere arbeitsleistungsbezogene Zwecke oder die Anknüpfung an eine Betriebstreue so ausdrücklich wie möglich formuliert und auf den Stichtag bezogen haben. In diesem Kontext ist u.E. auch zu berücksichtigen, dass freigestellten Arbeitnehmern, Altersteilzeitlern oder Vorruheständlern andere Vorteile gegenüber aktiven Arbeitnehmern zugutekommen (z.B. bezahlte Freistellung und Einsparung von Zusatzkosten im Arbeitskontext). Zudem ist festzustellen, dass anders als in der vom 9. Senat getroffenen Entscheidung, die die weitere Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien betont, Regelungen außerhalb von Tarifverträgen (z.B. in Betriebsvereinbarungen oder Gesamtzusagen) von den Gerichten ggf. noch strenger beurteilt werden.