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Sechs Monate Selbstbestimmungsgesetz – Das sind die Auswirkungen im betrieblichen Alltag

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Seit dem 1. November 2024 ist das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) in Kraft. Es erleichtert trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen, ihren Geschlechtseintrag und ihren Vornamen durch Erklärung gegenüber dem Standesamt zu ändern. In den Medien wurde das Gesetz kontrovers diskutiert, als gesellschaftspolitischer Einschnitt gefeiert oder kritisiert – doch in der betrieblichen Praxis zeigt sich nach sechs Monaten: Der Umbruch fällt weit weniger gravierend aus als vielfach erwartet. Für Arbeitgeber ändert sich wenig – das neue Gesetz führt eher zu klareren Regeln, nicht zu neuen Pflichten.

Verfahren zur Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen

Das SBGG ersetzt das Transsexuellengesetz (TSG) und vereinfacht die Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen durch eine Erklärung beim Standesamt. Diese Änderungen haben allerdings erst nach offizieller Eintragung rechtliche Relevanz. Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, schon vorher Namens- oder Pronomenänderungen offiziell zu übernehmen. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bleibt unverändert – und damit auch die bestehende Pflicht zur Gleichbehandlung.

Arbeitsverträge, Zeugnisse, Personalakten

Neu ist lediglich ein klar formulierter Anspruch auf Neuausstellung bestimmter Dokumente wie von Ausbildungs- und Arbeitsverträgen oder Zeugnissen nach erfolgter Änderung der Geschlechtsidentität und des Vornamens. Doch auch bisher waren Arbeitgeber verpflichtet, Ausbildungs- und Arbeitsverträge oder Zeugnisse entsprechend anzupassen – auf der Grundlage ihrer (ggf. auch nachvertraglichen) Fürsorgepflicht. Die Abläufe sind also nicht neu, sondern nun ausdrücklich gesetzlich geregelt. Personalakten müssen hingegen nicht gelöscht oder umgeschrieben werden. Lediglich die neue Information zur Geschlechtsidentität und zum Vornamen muss ergänzt werden.

Datenschutz und Offenbarungsverbot

Dass sensible personenbezogene Daten vertraulich zu behandeln sind, war auch vor dem SBGG bereits geltendes Recht. Das neue Offenbarungsverbot unterstreicht diesen Grundsatz lediglich. Demnach dürfen frühere Geschlechtseinträge ohne Zustimmung der betreffenden Person nicht offenbart oder ausgeforscht werden, es sei denn, dass besondere Gründe des öffentlichen Interesses dies erfordern oder ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird. In der Praxis ist das Risiko eines Verstoßes jedoch gering – zumal versehentliche Falschnennungen („Deadnaming“) oder das unbeabsichtigte Nutzen falscher Pronomen („misgendern“) ausdrücklich nicht sanktioniert werden.

Quoten und Mitbestimmung: Alles beim Alten

Für Betriebsratswahlen und Aufsichtsratsbesetzungen gilt weiterhin das binäre Geschlechterverständnis. Die Änderung des Geschlechts während einer laufenden Wahlperiode oder Amtszeit bleibt ohne Auswirkungen auf die Besetzung eines Gremiums wie bspw. des Betriebsrats. Bei Quotenregelungen kommt es somit auf das im Zeitpunkt der Besetzung im Personenstandsregister eingetragene Geschlecht an. Personen mit dem Eintrag „divers“ oder ohne Geschlechtseintrag bleiben bei Quoten außen vor. Auch für die betriebliche Mitbestimmung oder die Unternehmensmitbestimmung ergeben sich dadurch keine neuen Verpflichtungen für Arbeitgeber.

Sanitäranlagen und Dienstkleidung – pragmatische Lösungen gefragt

Auch bei diesen Themen gilt: Es besteht keine Pflicht zu Umbauten oder umfassender Neugestaltung. Die bestehende Arbeitsstättenverordnung gilt weiterhin. Danach sind getrennte Sanitärräume für männliche und weibliche Beschäftigte einzurichten. Unisex-Toiletten sind hingegen nur in Betrieben mit bis zu neun Beschäftigten zulässig, wenn eine zeitliche getrennte Nutzung sichergestellt ist. Arbeitgeber können nach pragmatischen Lösungen suchen und bspw. barrierefreie Sanitärbereiche für die gemeinsame Nutzung anbieten. Ebenso kann bei Dienstkleidung mit einfachen Maßnahmen auf Vielfalt reagiert werden – etwa durch neutrale oder kombinierbare Kleidungsstücke.

Fazit

Nach einem halben Jahr lässt sich nüchtern feststellen: Das Selbstbestimmungsgesetz hat keine Revolution in der Arbeitswelt ausgelöst. Stattdessen sorgt es für Rechtsklarheit in bestehenden Strukturen. Für Unternehmen bedeutet das: Der Handlungsbedarf ist begrenzt – vor allem organisatorisch. Wer bereits auf einen diskriminierungsfreien und respektvollen Umgang achtet, muss kaum etwas ändern.

Praxis-Tipps für Arbeitgeber – So gestalten Sie gesetzeskonform und pragmatisc
  1. Interne Kommunikation sensibel gestalten
    Auch ohne rechtliche Pflicht: Wenn Beschäftigte eine neue Anrede oder Vornamen nutzen möchten, kann dies im Team kommuniziert und respektiert werden – ganz unkompliziert und im Sinne eines empathischen Miteinanders.
  2. Dokumente bei Bedarf neu ausstellen
    Nach amtlicher Änderung des Vornamens und der Geschlechtsidentität sind Arbeitsverträge oder Zeugnisse neu auszustellen.
  3. Personalakte ergänzen, nicht bereinigen
    Frühere Angaben bleiben korrekt und müssen nicht gelöscht werden. Einfach den neuen Eintrag zusätzlich aufnehmen – das genügt.
  4. Datenschutz und Vertraulichkeit sicherstellen
    Vermeiden Sie unnötige Offenlegung früherer Angaben – schulen Sie Führungskräfte bei Bedarf zum Offenbarungsverbot.
  5. Dienstkleidung: Wahlfreiheit statt Zwang
    Bieten Sie geschlechtsneutrale oder kombinierbare Kleidungsstücke an – das reduziert Konflikte und wird oft positiv aufgenommen.
  6. Auf Konflikte reagieren – nicht abwarten
    Ernst nehmen, wenn sich Beschäftigte diskriminiert fühlen: Meist reichen ein Gespräch und ein Hinweis auf die gemeinsame Verantwortung für ein respektvolles Betriebsklima.

Dr. Julia Christina König

Rechtsanwältin
Fach­an­wäl­tin für Arbeitsrecht
Counsel
Julia König berät Arbeitgeber sowohl zu Fragen des Arbeit­neh­mer­da­ten­schut­zes als auch im Umstruk­tu­rie­rungkontext. Besondere Expertise besitzt sie im Bereich von Unter­neh­men in kirchlicher Trä­ger­schaft sowie aus dem Gesund­heits­sek­tor.
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