Schwangere Arbeitnehmerinnen genießen einen besonderen Kündigungsschutz nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG. Dass dieser gerade zu Beginn einer Schwangerschaft zu rechtlichen Unsicherheiten führen kann, zeigt ein aktuelles Urteil des BAG vom 3. April 2025 (2 AZR 156/24). Wir erläutern, weshalb das BAG die Hürden für eine wirksame Kündigung weiter erhöht hat – und was Arbeitgeber jetzt beachten müssen.
Eine Kündigungsschutzklage muss grundsätzlich innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung beim Arbeitsgericht eingereicht werden. Wird diese Frist versäumt, gilt die Kündigung als wirksam. Das Gesetz sieht jedoch Ausnahmen von dieser strengen Frist vor: Wenn eine Arbeitnehmerin aus einem Grund, den sie nicht zu vertreten hat, erst nach Ablauf der Klagefrist Kenntnis von ihrer Schwangerschaft erlangt, kann sie gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG einen Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage stellen. Dieser Antrag muss wiederum innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis über die Schwangerschaft gestellt werden (§ 5 Abs. 3 S. 1 KSchG). Über einen solchen Antrag hatte jüngst das BAG zu entscheiden.
Was war passiert?
Die Klägerin erhielt am 14. Mai 2022 eine Kündigung ihres Arbeitsgebers zum 30. Juni 2022. Am 29. Mai 2022, also innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist nach § 4 S. 1 KSchG, führte sie einen Schwangerschaftstest durch, der ein positives Ergebnis zeigte. Sie bemühte sich unmittelbar um einen Frauenarzttermin, erhielt diesen jedoch erst für den 17. Juni 2022. Bereits am 13. Juni 2022 reichte sie eine Kündigungsschutzklage ein und beantragte zugleich die nachträgliche Zulassung der Klage. Ihr Arzt bestätigte am 17. Juni 2022 ihre Schwangerschaft in der ca. 7 + 1 Schwangerschaftswoche.
Der Arbeitgeber vertrat die Auffassung, die Klägerin habe durch den positiven Schwangerschaftstest bereits innerhalb der Klagefrist Kenntnis von der Schwangerschaft erlangt. Die nachträgliche Zulassung der Klage scheide deshalb aus. Zwei Vorinstanzen gaben der Klägerin Recht, woraufhin der Arbeitgeber Revision beim BAG einlegte.
Entscheidung des BAG: Kenntnis erst ab der ärztlichen Bestätigung der Schwangerschaft
Das BAG bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen und wies die Revision des Arbeitgebers zurück. Zwar war die dreiwöchige Klagefrist, die am 7. Juni 2022 endete, zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 13. Juni 2022 bereits abgelaufen. Die Klage war jedoch nachträglich zuzulassen. Die Klägerin hatte aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst nach Ablauf der Klagefrist sichere Kenntnis davon erlangt, dass sie bei Zugang der Kündigung bereits schwanger war. Das Gericht stellte klar: Für die entscheidende Kenntniserlangung kommt es nicht allein auf einen positiven Schwangerschaftstest an, sondern auf die ärztliche Bestätigung durch eine Frauenärztin oder einen Frauenarzt. Die Arbeitnehmerin müsse nicht nur von der Schwangerschaft, sondern auch von dem Bestehen der Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Kündigung sichere Kenntnis haben. Da der häusliche Schwangerschaftstest keine Aussage über den Zeitpunkt des Beginns der Schwangerschaft treffe, könne dafür nur die ärztliche Bestätigung maßgeblich sein. Weil die Klägerin zudem nicht zu vertreten hatte, dass sie erst knapp drei Wochen nach ihrem eigenen Test den Arzttermin erhielt, war die Klage nachträglich zuzulassen.
Die Kündigung wurde in Folge wegen Verstoßes gegen das Kündigungsverbot gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG als unwirksam angesehen.
Entscheidung auch im Lichte der europäischen Rechtsprechung?
Der Europäische Gerichtshof übte bereits 2024 Kritik an der zweiwöchigen Frist zur nachträglichen Klagezulassung und äußerte Bedenken, dass diese gegen den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes verstoßen könnte (mehr dazu in unserem Blog-Beitrag vom 23. Juli 2024). Das BAG nahm diese Kritik auf und stellte klar: Die scheinbar kurze Zweiwochenfrist des § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG beginnt erst nach Ablauf der Dreiwochenfrist des § 4 S. 1 KSchG und mit der gesicherten ärztlichen Kenntnis über den Beginn der Schwangerschaft. Unsicherheiten über den Fristbeginn seien durch diese Auslegung beseitigt, sodass ein effektiver gerichtlicher Rechtsschutz möglich sei.
Praxishinweis für Arbeitgeber
Kündigungen gegenüber (unbekannt) schwangeren Mitarbeiterinnen sind auch nach Ablauf der regulären Klagefrist noch anfechtbar. Das gilt insbesondere dann, wenn die Schwangerschaft erst nachträglich ärztlich festgestellt wird. Auch bei bestehendem Sonderkündigungsschutz kann jedoch gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 MuSchG in bestimmten Fällen eine Kündigung durch die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde für zulässig erklärt werden. Zudem bleibt die Möglichkeit unberührt, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zu beenden.