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Beitragsnachzahlungen durch den Arbeitgeber – Gefahren und Prävention in der Praxis

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Nicht selten kommt es vor, dass die Deutsche Rentenversicherung (DRV) in Unternehmen Betriebsprüfungen durchführt. Im Regelfall erfolgen diese Prüfungen alle vier Jahre; manchmal gibt es auch zusätzliche Kontrollen, etwa bei einem Verdacht auf Straftaten. Geprüft wird, ob der Arbeitgeber alle Beiträge und Abgaben, insbesondere die Sozialversicherungsbeiträge, richtig berechnet und abgeführt hat. Sollte die DRV hierbei feststellen, dass Beiträge nicht gezahlt wurden, kann sie diese vom Arbeitgeber nachfordern. Wir zeigen auf, wann es zu versäumten Zahlungen kommen kann und wie Unternehmen Nachzahlungen vermeiden können.

Wer zahlt die Sozialversicherungsbeiträge?

Sozialversicherungsbeiträge dienen der Finanzierung der verschiedenen Zweige der Sozialversicherung. Dazu gehören die Beiträge zur Renten-, Arbeitslosen-, Pflege-, Kranken- und Unfallversicherung. Arbeitnehmer und Arbeitgeber tragen diese Aufwendungen je zur Hälfte. Im Arbeitsverhältnis muss jeder Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge seiner Arbeitnehmer abführen. Dazu zieht er die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge vom Gehalt des Arbeitnehmers ab und führt sie mit seiner Hälfte zusammen an die Krankenkasse des Arbeitnehmers ab. Die Beiträge zur Unfallversicherung zahlt der Arbeitgeber allein und führt sie direkt an die jeweilige Berufsgenossenschaft ab.

Typische Fallstricke bei der Beurteilung der Sozialversicherungspflicht

Gerade bei besonderen Beschäftigungsverhältnissen oder Grenzfällen kann es zu Fehlbeurteilungen bezüglich der Sozialversicherungspflicht kommen. In diesem Zusammenhang sind insbesondere folgende Konstellationen denkbar:

  1. Scheinselbstständigkeit: Ein Arbeitnehmer wird irrtümlich als Selbstständiger behandelt, obwohl er tatsächlich abhängig beschäftigt ist.
  2. Fehleinschätzung im Hinblick auf den Beschäftigungsort bei grenzüberschreitender Tätigkeit: Arbeitet ein in Deutschland wohnhafter Arbeitnehmer beispielsweise zu 40 % im Ausland und zu 60 % in Deutschland, gilt Deutschland als Beschäftigungsort – nicht das Ausland.
  3. Fehleinschätzung bei Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAEG): Fällt das Einkommen im laufenden Kalenderjahr unter die JAEG, also die Grenze, ab der die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung endet (aktuell 73.800 €/Jahr seit dem 1.1.2025), wird der Arbeitnehmer ab dem folgenden Kalenderjahr wieder versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Arbeitgeber muss dann ab diesem Zeitpunkt wieder Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung abführen. Das wird in der Praxis allerdings häufig übersehen.
Konsequenzen einer Fehlbeurteilung

Führt der Arbeitgeber trotz Bestehens einer Zahlungspflicht Sozialversicherungsbeiträge nicht ab, hat dies weitreichende Folgen.

Stellt die DRV im Rahmen der Betriebsprüfung fest, dass Sozialversicherungsbeiträge nicht ordnungsgemäß abgeführt wurden, erlässt sie einen Bescheid mit einer Nachzahlungsverpflichtung. In diesem Fall muss der Arbeitgeber die ausstehenden Beiträge nachzahlen, wobei die Verjährungsfrist für die SV Beiträge vier Jahre beträgt, was dazu führen kann, dass sämtliche Sozialversicherungsbeiträge der letzten vier Jahre nachträglich beglichen werden müssen. Sollte es sich um einen vorsätzlichen Verstoß handeln gilt sogar eine 30-jährige Verjährungsfrist.

Schließlich wird für rückständige Sozialversicherungsbeiträge ein Säumniszuschlag von aktuell 12% pro Jahr erhoben. Die Festsetzung von Säumniszuschlägen setzt jedoch zumindest bedingten Vorsatz hinsichtlich der Unkenntnis der Zahlungspflicht voraus. (hierzu etwa: Sozialversicherungsbeiträge: Wann werden Säumniszuschläge erhoben?).

Doch damit noch nicht genug: Je nach Einzelfall kann eine fehlerhafte oder unterlassene Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen auch bußgeldrechtlich relevant sein – etwa bei Verstößen gegen Meldepflichten nach § 111 SGB IV oder vergleichbare Pflichtverletzungen. Die Deutsche Rentenversicherung kann in solchen Fällen erhebliche Geldbußen verhängen. Die vorsätzliche Nichtabführung ist sogar strafbar und wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe bestraft.

Regressforderungen gegen den Arbeitnehmer

Das Unternehmen kann die nachzuzahlenden Beiträge grundsätzlich nur in Höhe der letzten drei Monatsgehälter vom Arbeitnehmer zurückfordern – und auch nur im Rahmen der nächsten Gehaltsabrechnung. Wird etwa im April ein Fehler entdeckt, können nur die Beiträge für Januar bis März einbehalten werden. Oft muss der Arbeitgeber die Beiträge also vollständig selbst tragen, insbesondere wenn kein Gehalt mehr gezahlt wird oder das Arbeitsverhältnis beendet ist. Nur wenn der Arbeitnehmer seine Mitwirkungspflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat, besteht ein Rückgriffsrecht auch außerhalb der Entgeltabrechnung. Wenn ein vermeintlich freies Dienstverhältnis nachträglich als Arbeitsverhältnis eingestuft wird, können Arbeitgeber allerdings Regressforderungen gegen „Scheinselbständige“ geltend machen, auch wenn diese kein Fehlverhalten begangen haben.

Fazit und Handlungsempfehlungen

Bei Sozialversicherungsbeiträgen gilt daher: Vorsorge ist besser als Nachsorge. Arbeitgeber sollten sorgfältig prüfen, ob alle Beiträge korrekt abgeführt werden, da sie im Ernstfall vollständig haften. Bestehen Zweifel an der Versicherungspflicht, kann ein Statusfeststellungsverfahren bei der DRV beantragt werden. Diese prüft den sozialversicherungsrechtlichen Status und erteilt einen verbindlichen Bescheid. Das Verfahren gibt dem Arbeitgeber Sicherheit über seine Beitragspflichten. Darüber hinaus kann sich bei einer Prüfung von Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten ein Statusfeststellungsverfahren im Rahmen der Beurteilung der Frage, ob vorsätzliches Handeln vorliegt, positiv für den Arbeitgeber auswirken.

Kurz gesagt: Wer rechtzeitig prüft, spart später Zeit, Geld und Nerven.

Dieser Beitrag ist mit freundlicher Unterstützung von Miriam Hähr, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Münchner Büro, entstanden.

Sebastian Schilling

Rechtsanwalt

Associate
Sebastian Schilling berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen sowie Führungskräfte in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät er seine Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung.
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