Wenn die IT-Mitbestimmung zur Nebensache wird … Ein wesentlicher Baustein der digitalen Transformation ist in vielen Unternehmen die Umstellung auf SAP S/4HANA, die neueste Generation der ERP-Software aus dem Hause SAP. Damit sollen alle Geschäftsprozesse in einem Unternehmen einheitlich gesteuert werden. Mehr Effizienz, weniger Kosten – das ist das Ziel. Erfahrene Projektmanager wissen, dass die Umstellung auf SAP S/4HANA von der Vorbereitung bis zur Produktivnutzung ein Mammutprojekt ist, weil menschliche und finanzielle Unternehmensressourcen über Jahre beansprucht werden. Der Fokus der Projektleitung liegt dabei naturgemäß darauf, dass Budgets und Go-live-Zeitpunkte gehalten werden. Das wird aber nur gelingen, wenn die arbeitsrechtlichen Themen rechtzeitig und sauber in die Projektplanung und -umsetzung eingebunden werden. Vor allem mitbestimmungsrechtlich steckt in der Umstellung auf SAP S/4HANA nämlich „richtig viel drin“.
IT-Mitbestimmung ist die Pflicht …
Bei den SAP-Systemen handelt es sich um eine technische Einrichtung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, weshalb das zuständige Betriebsratsgremium ein Mitbestimmungsrecht hat. Bei der Verhandlung von Betriebsvereinbarungen wird der Gesamt- oder Konzernbetriebsrat zuständig sein, sofern die sog. Ein-Mandanten-Lösung gewählt wird (Näheres dazu in unserem Blogbeitrag vom 18. März 2025). Auf der Zeitschiene ist zu beachten, dass entsprechende Vereinbarungen mit dem Betriebsrat bereits für die Entwicklungs- und Testphasen, welche recht früh vor der Produktivnutzung beginnen, getroffen werden.
Eine besondere Herausforderung bei der Verhandlung von Regelungen für die Produktivnutzung besteht darin, die SAP-Systemlandschaft so zu clustern, dass der Mitbestimmungsprozess je Cluster durchgeführt werden kann und nicht ausartet. Es bietet sich eine Clusterung nach Geschäftsprozessen an. Im Interesse beider Betriebsparteien sollte das Ziel sein, allgemeine Regelungen zu finden, die für alle oder zumindest den Großteil der SAP-Anwendungen gelten. So kann man sich den Abschluss etlicher Einzel-Betriebsvereinbarungen sparen.
… Interessenausgleich und Sozialplan sind die Kür
Die Umstellung auf SAP S/4HANA ist allerdings mehr als nur die Einführung eines neuen IT-Systems. Üblicherweise gehen mit der Umstellung auf SAP S/4HANA weitreichende Änderungen der Unternehmensorganisation einher, die nicht nur die Projektmitarbeit in der Einführungsphase, sondern vor allem die Phase nach dem Go-live betreffen. Diese Änderungen rühren auch daher, dass weitere Systeme, die die Arbeitsprozesse digitalisieren und vereinfachen, über Schnittstellen an die SAP-Systemlandschaft „andocken“. Das heißt: Stellenprofile ändern sich, neue Stellen entstehen und manche Stellen fallen weg. Versetzungen werden notwendig, Qualifizierungsbedarf entsteht und möglicherweise müssen auch Arbeitsverhältnisse beendet werden.
Dies kann – je nach Intensität der Auswirkungen –eine Interessenausgleichs- und Sozialplanpflicht auslösen. Im Interessenausgleich werden etwa Besetzungsprozesse und Qualifikationsmaßnahmen geregelt, während im Sozialplan zum Beispiel Ausgleichszahlungen für den Fall räumlicher Versetzungen oder gar Abfindungszahlungen geregelt werden können. Eine besondere Herausforderung ist, dass die Maßnahmen zeitlich gestreckt in Etappen erfolgen und die konkreten Auswirkungen auf die Organisation meist erst mit der Zeit absehbar werden.
Erfolgreiches Vorgehen durch Prozess- und Rahmenvereinbarungen
Wie können Unternehmensverantwortliche diese und weitere mitbestimmungsrechtliche Themen bewältigen, ohne den reibungslosen Ablauf des Implementierungsprojekts zu gefährden? Zunächst ist für die arbeitgeberseitige Projektplanung zu klären, welche Mitbestimmungsthemen wann mit welchem Gremium relevant und zu verhandeln sind. Dafür muss das „Großprojekt SAP S/4HANA“ – aus der mitbestimmungsrechtlichen Brille betrachtet – in seine Einzelteile zerlegt und bewertet werden. Auf dieser Basis ist es sodann sinnvoll, Prozessvereinbarungen mit dem (Gesamt-/Konzern-)Betriebsrat zu treffen und sich auf einen gemeinsamen Verhandlungsfahrplan zu verständigen. Solche Prozessvereinbarungen können Regelungen zum Informationsfluss, zum Ablauf der IT-Mitbestimmung sowie zu den (vorerst) geduldeten Umsetzungsschritten enthalten. Schließlich sind Rahmenvereinbarungen mit dem Betriebsrat empfehlenswert, die sich mit den Auswirkungen auf die Mitarbeiter befassen. Denkbar sind hier etwa Regelungen zum Überlastungsschutz von Projektmitarbeitern, die für einen längeren Zeitraum in erheblichem Umfang an der Implementierung von SAP S/4HANA mitwirken. Solche Rahmenvereinbarungen dienen zugleich als „Beruhigungspille“ für den Betriebsrat.
Betriebsrat professionell einbinden
Die Erfahrung zeigt: Betriebsräte haben kein Interesse daran, die Umstellung auf SAP S/4HANA zu blockieren oder verzögern, wissen sie doch, dass in der Digitalisierung auch die Zukunft des Unternehmens und der Arbeitsplätze steckt. Reibungen zwischen den Betriebsparteien können aber entstehen, wenn Projektinhalte nicht erklärt, Mitbestimmungsrechte zu spät gesehen und Prozesse nicht aufgestellt werden.
Weitere Informationen finden Sie in unserem Webinar mit der Unternehmensberatung Nagarro zum Thema „Arbeitsrechtliche Aspekte der SAP S/4 HANA Transformation“, online hier abrufbar.