Homeoffice und mobile Arbeit sind längst nicht mehr nur eine pandemiebedingte Ausweichlösung, sondern haben sich in vielen Unternehmen als fester Bestandteil etabliert. Mit der Rückkehr vieler Unternehmen zur Präsenzkultur im Büro („Return to Office“) entstehen jedoch neue Reibungspunkte, gerade dann, wenn Arbeitnehmer ärztliche Bescheinigungen vorlegen, die eine ausschließliche Tätigkeit im Homeoffice empfehlen oder sogar verordnen. Was bedeuten solche sogenannten „Homeoffice-Atteste“ rechtlich? Wie verbindlich sind sie? Inwiefern schränkt das die unternehmerische Gestaltungsmöglichkeit ein und wie sollten Arbeitgeber damit umgehen?
Auswirkung des „Homeoffice-Attests“ auf die Arbeits(un)fähigkeit
Eine Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Arbeitnehmer wegen einer Krankheit die zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann (vgl. § 2 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie ((AU RL)). In einem solchen Fall entfällt zwar die Leistungsfähigkeit und -pflicht, der Vergütungsanspruch bleibt jedoch nach § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) bestehen. Grundsätzlich kommt der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dabei ein hoher Beweiswert zu, da sie eine tatsächliche Vermutung für eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründet.
Dieser Beweiswert lässt sich jedoch nicht auf die Homeoffice-Atteste übertragen. Diese stellen gerade keine vollständige Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers fest, sondern setzen dessen Leistungsfähigkeit lediglich an bestimmte Bedingungen, wie etwa die Arbeit im Homeoffice, voraus. Damit fehlt die gesetzlich geforderte klare Trennlinie zwischen arbeitsfähig und arbeitsunfähig. Eine nur „teilweise Arbeitsunfähigkeit“ ist weder gesetzlich vorgesehen noch von der Rechtsprechung anerkannt. Folglich kann ein Homeoffice-Attest auch nicht als Grundlage für eine Arbeitsunfähigkeit nach dem EFZG dienen. In der Folge entfällt auch der Beweiswert, der sonst mit einer regulären Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einhergeht. Ebenso spielt es keine Rolle, ob sich das Attest auf die Arbeitsplatzsituation oder den Arbeitsweg bezieht. Letztlich führt auch die sogenannte „Wegeunfähigkeit“ nicht zu einer Arbeitsunfähigkeit, da der Arbeitsweg nicht zu den wesentlichen Arbeitspflichten gehört, sondern dem sogenannten Wegerisiko des Arbeitnehmers unterliegt.
Berücksichtigung der „Homeoffice-Atteste“ im Rahmen der Ermessensausübung
Derzeit gibt es keine gerichtliche Entscheidung dazu, welche konkreten Rechtsfolgen sich aus der Vorlage eines „Homeoffice-Attests“ ergeben. Ein gesetzlicher Anspruch auf eine Tätigkeit im Homeoffice besteht – abgesehen von Einzelfällen, z.B. im Schwerbehindertenrecht – nicht. Ein solcher Anspruch kann allenfalls aus einer individuellen oder kollektivrechtlichen Vereinbarung folgen. Im Rahmen seines Direktionsrechts nach § 106 GewO ist es Sache des Arbeitgebers, den Ort der Arbeitsleistung näher zu bestimmen. Dabei hat er sich am Maßstab des billigen Ermessens zu orientieren und muss die Interessen beider Seiten fair gegeneinander abwägen.
Und was heißt das konkret?
Ein ärztliches Attest, das eine Tätigkeit im Homeoffice „empfiehlt“, ist also kein Automatismus, sondern ein Gesichtspunkt unterer mehreren. Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, solche Empfehlungen unbesehen zu akzeptieren. Im Gegenteil: Sie dürfen – und sollten – kritisch nachfragen. Denn nur wenn klar ist, worauf sich die ärztliche Einschätzung stützt, kann eine fundierte Entscheidung getroffen werden. Deshalb dürfte dem Arbeitgeber ein Auskunftsanspruch auf die Informationen zustehen, welche Arbeitsbedingungen bei der Ausstellung des Attests bzw. der Empfehlung zugrunde gelegt wurden und inwieweit gesundheitliche Einschränkungen gegeben sind – sei es durch eine ergänzende Stellungnahme oder des behandelnden Arztes. Er muss nachvollziehen können, ob und inwieweit die Tätigkeit am bisherigen Arbeitsplatz tatsächlich unzumutbar ist oder ob mildere Mittel – wie etwa eine ergonomische Anpassung oder ein Arbeitsplatzwechsel innerhalb des Betriebs – ausreichen.
Verweigert der Arbeitnehmer nähere Angaben und verweist pauschal auf gesundheitliche Gründe, kann dies bei der Ermessensausübung zulasten seines Begehrens gewertet werden. Denn dem Arbeitgeber ist ohne entsprechende Tatsachengrundlage eine sachgerechte Entscheidung kaum möglich – zumal neben der gesundheitlichen Situation auch betriebliche Aspekte, etwa Kommunikation im Team, Abstimmungsprozesse oder Abläufe, eine Rolle spielen.
Kommt der Arbeitgeber nach sorgfältiger Abwägung zu dem Schluss, dass die Tätigkeit im Betrieb zumutbar ist, bleibt seine Entscheidung bindend. Sollte sich der Arbeitnehmer eigenmächtig dazu entschließen, trotz entgegenstehender Weisung, aus dem Homeoffice zu arbeiten, kann dies eine Abmahnung nach sich ziehen. Wiederholtes Verhalten kann unter Umständen sogar eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen.
Fazit
Wird eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt, das ausschließlich Homeoffice empfiehlt, bedeutet das nicht automatisch, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist – und erst recht nicht, dass der Arbeitgeber verpflichtet wäre, diesem Wunsch ohne Weiteres nachzukommen. Vielmehr muss er im Rahmen seines Ermessens nach § 106 GewO prüfen, ob die gesundheitlichen Gründe tatsächlich eine Tätigkeit im Betrieb unmöglich machen oder ob mit Anpassungen vor Ort eine Lösung gefunden werden kann.
Arbeitgeber dürfen und sollten Homeoffice-Empfehlungen hinterfragen und sich ein realistisches Bild von der Situation machen. Eine transparente und gut dokumentierte Entscheidungsfindung ist in solchen Fällen unerlässlich, um mögliche rechtliche Risiken zu minimieren und das Vertrauen der Mitarbeiter zu erhalten. Gerade weil es sich hierbei um ein bislang kaum geklärtes Themenfeld handelt, kommt es auf saubere Prozesse und eine klare Kommunikation an. Nur so gelingt der Balanceakt zwischen Fürsorgepflicht und betrieblichem Interesse.