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Die Vier-Tage-Woche in Deutschland – Ergebnisse eines Praxis-Tests

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Zusätzlich zu den momentanen Krisen und der schlechten Wirtschaftssituation (genannt sei hier nur der Fachkräftemangel) sehen sich Arbeitgeber nach wie vor vermehrt mit dem arbeitnehmer- und bewerberseitigen Wunsch konfrontiert, die Arbeitszeit auf die individuellen Bedürfnisse und Lebenssituationen anpassen zu können. Dabei hält sich hartnäckig die Forderung nach der sogenannten „Vier-Tage-Woche“.

Bereits mit unserem Blogbeitrag vom 11. Januar 2024 haben wir verschiedene Konzepte der Vier-Tage-Woche rechtlich eingeordnet und rechtliche Rahmenbedingungen, sowie Chancen und Risiken des Modells „Vier Tage/Woche bei reduzierter Arbeitszeit und gleichbleibender Vergütung“ beleuchtet. Nun liegen die Ergebnisse einer im Jahr 2024 deutschlandweit durchgeführten ersten, größer angelegten Pilotstudie vor.

Im Folgenden ordnen wir die Erkenntnisse aus dieser Studie mit Blick auf ihre potenzielle Bedeutung für die künftige Arbeitswelt ein.

1. Rahmenbedingungen der Studie

Bei der Pilotstudie handelt es sich um ein Forschungsprojekt, das unter der Verantwortung des Lehrstuhls für Transformation der Arbeitswelt an der Universität Münster in Zusammenarbeit mit mehreren externen Partnern durchgeführt wurde.

Die zunächst 45 teilnehmenden Unternehmen entstammten unterschiedlichen Branchen, darunter u.a. (Beratungs-) Dienstleistungen, Fertigung, Baugewerbe, Gesundheits- und Sozialdienste, IT- und Versorgungsorganisationen.

Gemessen an der Arbeitnehmerzahl war ein breites Spektrum an Arbeitgebern vertreten – so nahmen sowohl sehr kleine Organisationen (< 9 Arbeitnehmer) als auch große Organisationen mit mehr als 250 Arbeitnehmern teil. Mehrheitlich handelte es sich bei den teilnehmenden Arbeitgebern jedoch um kleine (10- 49 Arbeitnehmer) bis mittelgroße (50-249 Arbeitnehmer) Organisationen – konkret betrug ihr Anteil 73%.

Als Gründe für die Erprobung der Vier-Tage-Woche gaben die teilnehmenden Organisationen an, ihre Arbeitgeberattraktivität steigern und die Gesundheit ihrer Arbeitnehmer verbessern zu wollen. Zudem standen das Streben nach Produktivität und Zukunftsorientierung im Vordergrund.

Erhoben wurden zum einen subjektive Wahrnehmungen von Arbeitnehmern und Leitungsorganen (Erfassung durch Umfragen und Interviews) und zum anderen auch objektive Daten, welche u.a. durch einen Fitness-Tracker und Haaranalysen erfasst wurden (etwa: Stresslevel, körperliche Aktivität und Schlaf). Auch die wirtschaftlichen Kennzahlen der teilnehmenden Arbeitgeber wurden berücksichtigt.

2. Studienergebnisse
  • Wille zur Beibehaltung der Vier-Tage-Woche

Ein guter Indikator für die praktische Umsetzbarkeit der Vier-Tage-Woche und die Arbeitnehmer- sowie Arbeitgeberzufriedenheit mit dem neuen Modell dürfte insbesondere sein, wie viele Unternehmen das Vier-Tage-Modell nach Beendigung der Testphase weiterhin beibehalten wollen. Dies traf der Studie zufolge auf 39 % der teilnehmenden Organisationen zu. Darüber hinaus gab es einige Unternehmen, die zunächst die Testphase für einen begrenzten Zeitraum verlängern wollten (34%). Im Gegensatz dazu haben sich 20% der teilnehmenden Unternehmen dazu entschieden, das Arbeitszeitmodell Vier-Tage-Woche nicht weiterzuverfolgen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass zwei der großen Unternehmen ihre Teilnahme bereits innerhalb der Testphase beendeten – dies aufgrund wirtschaftlicher Herausforderungen und mangelnder interner Unterstützung für die eingeführte Arbeitszeitverkürzung. Im Ergebnis muss man also von einer gemischten Resonanz sprechen.

  • Wirtschaftlichkeit

Der Studie zufolge zeigten finanzielle Leistungskennzahlen wie Umsatz und Gewinn keinen signifikanten Unterschied im Vergleich zum Vorjahr. Auf den ersten Blick mag die Stabilität dieser Werte trotz reduzierter Arbeitszeit (jedenfalls in Teilen der Belegschaft) zwar auf Produktivitätsgewinne hindeuten. Allerdings sind die Ergebnisse der Studie in diesem Bereich gleich aus mehreren Gründen wenig aussagekräftig und mit Vorsicht zu interpretieren: So lagen überhaupt nur für 12 der teilnehmenden Unternehmen Finanzdaten vor und wurde die Vier-Tage-Woche teilweise nur für Arbeitnehmer in bestimmten Bereichen eingeführt, die ggf. nicht direkt an der Umsatzgenerierung mitwirken.

  • Mitarbeiterzufriedenheit und-bindung sowie Recruiting

In den Bereichen Mitarbeiterzufriedenheit und-bindung sowie Recruiting lieferte die Studie leider keine aussagekräftigen Ergebnisse.

  • Mitarbeiterwohlbefinden und -gesundheit

Die teilnehmenden Arbeitnehmer berichteten von einem Anstieg ihrer allgemeinen Lebenszufriedenheit. Hier erkannten die Forschenden einen direkten Zusammenhang mit der zur Verfügung stehenden Zeit für persönliche Interessen und Hobbies. Des Weiteren führte die Vier-Tage-Woche zu einem Anstieg in der selbst wahrgenommenen mentalen als auch physischen Gesundheit. Dies belegten auch die per Fitness-Tracker gemessenen Gesundheitsdaten: Diese zeigten eine Verringerung der Stressminuten, sowie eine Erhöhung der wöchentlichen körperlichen Aktivität und des Schlafpensums. Eine positive Auswirkung in Form einer Verringerung krankheitsbedingter Abwesenheiten konnte jedoch nicht festgestellt werden.

3. Limitierungen der Studie

Die Studie ist bereits aufgrund der begrenzten Anzahl an teilnehmenden Unternehmen nicht hinreichend aussagekräftig oder repräsentativ für die vielfältigen Arbeitgeber in Deutschland. Zudem erlaubt sie aufgrund ihrer nur sehr begrenzten Dauer von sechs Monaten keine Schlussfolgerungen über langfristige Effekte. Hinzu kommt, dass die Vier-Tage-Woche bei den teilnehmenden Unternehmen nicht einheitlich eingeführt wurde und den Forschenden (insbesondere im Bereich der Finanzkennzahlen) nicht zu allen teilnehmenden Unternehmen Daten vorlagen.

4. Fazit

Im Ergebnis halten wir fest, dass die mit Spannung erwartete Pilotstudie nur in einem ganz begrenzten Umfang verallgemeinerungsfähige Schlussfolgerungen zulässt und diese sich zudem auf die Ebene des subjektiven Empfindens der Arbeitnehmer beschränken. Vor diesem Hintergrund ist die Studie unseres Erachtens auch nur in begrenztem Maße dazu geeignet, zur Versachlichung der Debatte rund um etwaige Vorzüge und Risiken des Arbeitszeitmodells Vier-Tage-Woche beizutragen.

Spannend fanden wir jedoch, welche Ansätze und Maßnahmen in den teilnehmenden Unternehmen gewählt wurden, um eine Effizienzsteigerung während der Arbeitszeit zu erzielen. Genannt wurden in diesem Zusammenhang: (i) Reduzierung von Ablenkungen; (ii) Optimierung von Prozessen; (iii) Reduzierung und Verkürzung von Meetings; (iv) Vorantreiben von Digitalisierung und (v) die Einführung von Fokuszeiten. Denn diese Maßnahmen scheinen geeignet – auch ganz unabhängig von der Einführung eines neuen Arbeitszeitmodells – zugleich die Mitarbeiterzufriedenheit zu steigern und Effizienzgewinne zu bringen.

Sophie Haubold

Rechtsanwältin

Associate
Sophie Haubold berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät sie ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung.
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