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Neues zur Schadensersatzpflicht bei verspäteter Zielvorgabe

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Viele Arbeitsverträge enthalten Regelungen zu variablen Vergütungsbestandteilen, deren Zahlung an das Erreichen bestimmter Ziele geknüpft ist. Eine solche erfolgsabhängige Vergütung dient der Mitarbeitermotivation und soll einen Anreiz zur Leistungssteigerung schaffen. Dabei können individuelle Ziele und/oder Unternehmensziele für die Bestimmung der erfolgsabhängigen Vergütung maßgeblich sein. Streitigkeiten entstehen in der Praxis regelmäßig dann, wenn die Vertragsparteien eine Zielvereinbarung nicht oder zu spät schließen oder der Arbeitgeber eine Zielvorgabe nicht oder zu spät erteilt. Bei unterlassenem oder verspätetem Abschluss einer Zielvereinbarung macht sich der Arbeitgeber nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) grundsätzlich schadensersatzpflichtig. Doch was gilt im Fall einer unterlassenen oder verspäteten Zielvorgabe? Hierzu hat sich das Bundesarbeitsgericht jüngst positioniert.

Zielvereinbarung oder Zielvorgabe?

Im Ausgangspunkt ist durch Auslegung der vertraglichen Abrede zunächst zu ermitteln, ob es sich um eine Zielvereinbarung oder eine Zielvorgabe handelt. Während die Arbeitsvertragsparteien die Ziele bei einer Zielvereinbarung gemeinsam festlegen, bestimmt der Arbeitgeber die Ziele bei einer Zielvorgabe hingegen einseitig (siehe zu dieser Abgrenzung bereits unseren Blog).

Bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu Zielvereinbarungen

Höchstrichterlich entschieden war bisher, dass der schuldhafte Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtung zur Vereinbarung gemeinsamer Ziele für eine bestimmte Zielperiode, jedenfalls nach Ablauf der Zielperiode, einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers aus §§ 280 Abs. 1, 3, 283 S. 1 BGB begründet. Denn als variable Vergütung soll die Zielvereinbarung den Mitarbeiter motivieren und ihn zu einer Leistungssteigerung anhalten. Diese Anreizfunktion kann die Zielvereinbarung aber nur erfüllen, wenn der Mitarbeiter die für ihn maßgeblichen persönlichen und/oder unternehmensbezogenen Ziele und die diesbezügliche Erwartungshaltung seines Arbeitsgebers bereits bei der Ausübung seiner Tätigkeit kennt. Spätestens mit Ablauf der Zielperiode wird die Erfüllung der Anreizfunktion einer Zielvereinbarung also unmöglich. Im Rahmen der Schadensberechnung ist nach der Rechtsprechung (BAG vom 17. Dezember 2020 – 8 AZR 149/20) grundsätzlich davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer vereinbarte Ziele zu 100 % erreicht hätte. Soweit besondere Umstände dieser Annahme entgegenstehen, obliegt es dem Arbeitgeber, diese darzutun und gegebenenfalls zu beweisen. Anders als bei Zielvorgaben muss unter Mitverschuldensgesichtspunkten unter Umständen aber auch der Arbeitnehmer tätig werden und zum Abschluss einer Zielvereinbarung auffordern.

Bisherige obergerichtliche Rechtsprechung zu Zielvorgaben

Ob diese Grundsätze auch für Zielvorgaben gelten, also für den Fall, dass der Arbeitgeber zu einer einseitigen Zielvorgabe verpflichtet ist, diese aber nicht innerhalb der Zielperiode oder erst kurz vor Ablauf der Zielperiode vornimmt, hat das BAG bisher offengelassen. Die obergerichtliche Rechtsprechung hatte dies zunächst jedenfalls im Fall unterbliebener Zielvorgaben angenommen (etwa LAG Hessen vom 30. April 2021 – 14 Sa 606/19) und zuletzt auch auf den Fall einer verspäteten Zielvorgabe übertragen (LAG Köln vom 6. Februar 2024 – 4 Sa 390/23).

Jüngste Rechtsprechung des LAG Köln

Nach Auffassung des LAG Köln machte sich der Arbeitgeber also auch dann schadensersatzpflichtig, wenn eine Zielvorgabe zwar erfolgt, allerdings zu einem so späten Zeitpunkt, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr erfüllen kann. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall sollten die Ziele bis spätestens zum 1. März des Kalenderjahres festgelegt werden. Die Unternehmensziele teilte der Arbeitgeber allerdings erst im September, also nach Ablauf von 3/4 des Bemessungszeitraums, mit, während die Vorgabe individueller Ziele für den Kläger gänzlich unterblieb. Nach Auffassung des LAG Köln könne jedenfalls nach Ablauf von 3/4 des Bemessungszeitraums die Anreizfunktion der Zielvorgabe nicht mehr erfüllt werden. Dabei sei es für den Schadensersatzanspruch im Übrigen unerheblich, ob es sich bei den Zielen (teilweise) um unternehmensbezogene Ziele handele, auf die der Arbeitnehmer weniger Einfluss gehabt habe. Auch solche Ziele hätten eine Anreizfunktion, insbesondere bei Führungskräften, die durchaus Einfluss auf die Unternehmensentwicklung haben könne (siehe dazu bereits unseren Blog).

Neu: Bestätigung durch das BAG

Diese Auffassung bestätigte das BAG (vom 19. Februar 2025 – 10 AZR 57/24) – wie der Pressemitteilung zu entnehmen ist – nun. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des LAG Köln blieb ohne Erfolg. Dem Kläger stehe infolge der verspäteten Zielvorgabe ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu, im konkreten Fall in Höhe von 16.035,93 Euro brutto. Durch die Nichtvorgabe der individuellen Ziele sowie der verspäteten Vorgabe der Unternehmensziele habe die Beklagte ihre Pflichten verletzt. Eine ihrer Motivations- und Anreizfunktion gerecht werdende Zielvorgabe sei nach Ablauf von bereits 3/4 der Zielperiode nicht mehr möglich. Deshalb komme auch eine nachträgliche gerichtliche Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BGB nicht mehr in Betracht. Bei der im Wege der Schätzung (§ 287 Abs. 1 ZPO) zu ermittelnden Schadenshöhe sei gemäß § 252 S. 2 BGB von der für den Fall der Zielerreichung zugesagten variablen Vergütung auszugehen und anzunehmen, dass der Kläger bei einer billigem Ermessen entsprechenden Zielvorgabe die Unternehmensziele zu 100 % und die individuellen Ziele entsprechend dem Durchschnittswert von 142 % erreicht hätte. Die Beklagte habe keine besonderen Umstände vorgetragen, die dieser Annahme entgegenstehen. Ein anspruchsminderndes Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 BGB) scheide bei unterlassenen oder verspäteten Zielvorgaben regelmäßig aus, da die Initiativlast für die Zielvorgabe allein beim Arbeitgeber liege.

Fazit

Mit der Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht Rechtssicherheit geschaffen und deutlich gemacht: Arbeitgeber sollten im eigenen Interesse frühzeitig im Jahr handeln und die Ziele zu einem Zeitpunkt vorgeben, zu dem die Anreizfunktion ihre Wirkung noch entfalten kann. Insbesondere in Arbeitsverträgen oder Betriebsvereinbarungen festgelegte Zeitpunkte für Zielvorgaben sollten Arbeitgeber sehr genau beachten. Das Fehlen einer solchen zeitlichen Festlegung für die Vorgabe von Zielen entbindet den Arbeitgeber jedoch nicht davon, den Zeitpunkt der Vorgabe so zu wählen, dass die Anreizfunktion ihre Wirkung noch voll entfalten kann. Andernfalls können sowohl eine unterlassene als auch eine verspätete Zielvorgabe eine Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers auslösen, sodass die zugesagte variable Vergütung unter Umständen trotzdem – als Schadensersatz – zu zahlen ist. Anders als bei Zielvereinbarungen gilt dies unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer den Arbeitgeber zuvor zur Erteilung einer Zielvorgabe aufgefordert hat.

Niklas Matschiner

Rechtsanwalt

Associate
Niklas Matschiner berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben der Führung von Kündigungsrechtsstreitigkeiten berät er seine Mandanten im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung.
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